Laut Prof. Dr. med. Peter Flachenecker, Chefarzt am Rehabilitationszentrum Quellenhof Bad Wildbad und Vorsitzender des Ärztlichen Beirats der AMSEL, unterliegt das Immunsystem wie der Körper des Menschen Alterungsprozessen, man spricht von der Immunoseneszenz (=langsame Verschlechterung des Immunsystems bei älteren Menschen). Bei der Therapiewahl für ältere MS-Erkrankte sollten daher Wirksamkeit und Sicherheit im Fokus stehen. Therapiestudien hätten eine altersabhängige Wirksamkeit gezeigt und ließen vermuten, dass Immuntherapien bei Erkrankten über 53 Jahren wenig bis kaum noch Wirkung zeigten. Eine sorgfältige Indikationsstellung und kritische Nutzen-Risiko-Analyse seien daher bei älteren Patienten unerlässlich.
Zum aktuellen Stand der MS-Forschungberichtete Professor Flachenecker außerdem über die Relevanz von Lebensstilfaktoren (wie Rauchen oder Übergewicht), über Neues zur Immuntherapie, Biomarker für MS und Cannabis. Inzwischen seien 18 Wirkstoffe und 29 Präparate als Originalpräparate, Generika und Biosimilars auf dem Markt. Die Stammzelltherapie sei heute verträglicher als früher, aber weiterhin sehr risikobehaftet und oft nur für bestimmte Personengruppen indiziert. Große Hoffnungen für progrediente Formen der MS, für die es bisher nur wenige Behandlungsmöglichkeiten gibt, setze die Wissenschaft auf BTKI (Bruton Tyrosinkinase-Inhibitoren). Ergebnisse einer Phase-III-Studie seien in ein bis zwei Jahren zu erwarten.
Alltagsrelevante Fragen und Lösungen
Möglichkeiten und Stolpersteine bei der Beantragung eines GdB (Grad der Behinderung) zeigten Michael Hägle und Regina Huber vom Beratungsteam der AMSEL. Im Antrag für die Feststellung eines GdB sollten Funktionseinschränkungen, vor allem unsichtbare, realitätsnah und möglichst bildhaft beschrieben und mit einem neurologischen Gutachten und ggf. Reha-Bericht untermauert werden. Ihre Auswirkungen auf die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben seien der zentrale Punkt bei der Beurteilung.
Impfungen mit Totimpfstoffen können weder eine MS noch akute Schübe auslösen, so das klare Statement von Dr. Martin Rösener, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Mitglied im Ärztlichen Beirat der AMSEL. Tot- oder mRNA-Impfstoffe, die z.B. bei Corona- oder FSME-Impfungen verabreicht werden, seien für MS-Erkrankte daher unproblematisch. Anders bei Lebendimpfstoffen. Hierfür gebe es keine ausreichende Untersuchungslage. Trotz aller Ungewissheit seien sie für manche Therapieformen erforderlich. Unter Immunmodulatoren könne die Impfantwort aber abgeschwächt ausfallen und sollte durch Bestimmung des Antikörper-Titers überprüft werden.
Sind Hilfsmittel bei MS erstattungsfähig oder nicht? Dieser Frage ging Lisa Schatz, Physiotherapeutin im Quellenhof Bad Wildbad, nach. Entscheidend für die Kostenübernahme sei, dass die Hilfsmittel den Erfolg der Behandlung sichern, drohenden Behinderungen vorbeugen oder vorhandene Behinderungen ausgleichen. Bei der Wahl des individuell passenden Rollstuhls seien umfassende Beratung und vor allem das Ausprobieren verschiedener Modelle wichtig.
AMSEL e.V. ist seit 1974 Fachverband, Interessenvertretung und Selbsthilfeorganisation für Menschen mit MS und ihre Angehörigen. Unterstützung im Umgang mit der Krankheit und jederzeit aktuelle Informationen rund um die MS gibt es auf www.amsel.de.
AMSEL e.V. dankt der GKV-Gemeinschaftsförderung Baden-Württemberg für die freundliche Unterstützung bei der Durchführung des Thementags sowie der Mitgliederversammlung.