Auch wenn sich durch große Fortschritte bei der therapeutischen Behandlung und das umfangreiche Informations- und Fortbildungsangebot der AMSEL vieles zum Positiven geändert hat, geblieben ist, dass MS eine unheilbare Krankheit ist, die erhebliche Auswirkungen auf das Leben der Erkrankten hat. Prof. Dr. med. Horst Wiethölter, Vorsitzender der AMSEL, bekräftigt: „Trotz sichtbarer Erfolge ist unsere Arbeit nicht zu Ende. Unsere partnerschaftliche Unterstützung der MS-Betroffenen und die Aufklärungsarbeit der AMSEL sind heute noch genauso wichtig wie 1974.“
Fachvorträge zum Jubiläumswochenende
Das 40-jährige Bestehen begeht die AMSEL vom 24. bis 26. Oktober. Den Auftakt bildete am Freitagabend der Empfang der Landesregierung im Neuen Schloss in Stuttgart. Beim 2-tägigen Symposium für MS-Betroffene, der zentralen Veranstaltung des Jubiläumswochenendes, informieren elf renommierte Mediziner und Therapeuten über den aktuellen Stand der MS-Forschung und Therapie. Bei einem Festabend feiern die Symposiums-Teilnehmer mit Partnern und Unterstützern der AMSEL.
Landesregierung würdigt die Arbeit der AMSEL
Marion von Wartenberg, Staatssekretärin im Kultusministerium, hatte im Namen der Landesregierung zum Empfang ins Neue Schloss in Stuttgart eingeladen. Vor den rund 300 Gästen sagte sie: „Als Interessenvertretung, Fachverband und Selbsthilfeorganisation ist AMSEL für die Landesregierung ein wichtiger Ansprechpartner. Mit großem Engagement ist es AMSEL gelungen, die Öffentlichkeit auf die Nöte und Bedürfnisse von MS-Kranken hinzuweisen, diese zu sensibilisieren und sich erfolgreich für eine nachhaltig Verbesserung der Lebenssituation der Betroffenen einzusetzen. Dies verdient Respekt und Anerkennung.“
Kennzahlen der AMSEL
AMSEL hat 22 hauptamtliche und 413 ehrenamtliche Mitarbeiter. Der Landesverband führte 2013 rund 64 Veranstaltungen und über 4.800 Einzelberatungen zu medizinisch-pflegerischen, sozialen, sozialrechtlichen sowie psychologischen Fragen durch. Hinzu kommen die rund 1.500 Veranstaltungen der ehrenamtlichen Gruppen. Von den über 50 verschiedenen Fachbroschüren wurden mehr als 17.000 Exemplare angefordert. Auf die AMSEL-Website mit ihren vielfältigen Informationsmöglichkeiten wurde im Jahr 2013 rund 4,6 Millionen Mal zugegriffen. Weitere Kennzahlen erschließt die AMSEL-Website.
Da die Arbeit der AMSEL hauptsächlich über Spenden, Mitgliedsbeiträge, Förderung der Krankenkassen und Erbschaften finanziert wird, ist dem AMSEL-Geschäftsführer Adam Michel eines wichtig: „Unser Dank geht auch an die vielen Sponsoren, die uns all die Jahre unterstützen – die dies tun, ohne unsere Arbeit beeinflussen zu wollen. Im Sinne unserer Leitlinien und Transparenz ist es für uns selbstverständlich, stets offen darzustellen, wer uns bei welchem Projekt unterstützt.“
Meilensteine von 1974 bis 2013
AMSEL-Mitbegründer Guido Hans wurde 1974 auch deren erster Vorsitzender. 1982 übernahm Ursula Späth die bis heute währende Schirmherrschaft. Die AMSEL Stiftung Ursula Späth wurde 1985 mit dem Ziel gegründet, MS-kranken Menschen durch die dauerhafte finanzielle Absicherung der AMSEL, Landesverband e.V., zu helfen. Im Jahr 1993 wurde die mit Beteiligung der AMSEL-Stiftung errichtete Fachklinik für Neurologie Dietenbronn eingeweiht. Ebenfalls mit Beteiligung der AMSEL-Stiftung wurde 1996 das Neurologische Rehabilitationszentrum Quellenhof in Bad Wildbad eröffnet. Um allen MS-Betroffenen im Land Informationen zugänglich zu machen, ging 1997 die erste AMSEL-Website online.
Seit dem Jahr 2002 werden diversifizierte Angebote für bestimmte Gruppen MS-Kranker angeboten. www.amsel.de geht online, 2005 stellt AMSEL die deutschlandweit erste Plattform MS-Blog bereit. Im Jahr 2006 begann die multimediale Patientenaufklärung: Der AMSEL-Spielfilm „Nina“ feierte 2006 Premiere. Seit 2007 werden Videos mit Betroffenen und Experten gedreht und online gestellt. Im selben Jahr gingen das Internet-Tool „MS verstehen“ und die virtuelle Zeitreise „Geschichte der MS“ online. AMSEL ließ 2007 ihr Qualitätsmanagement erstmals durch die Zertifizierung nach DIN EN ISO 9001:2008 bestätigen. Das digitale MS-Lernprogramm „eTrain MS“ startete 2008.
2009 fand der erste Welt-MS-Tag statt. Um das Jahr 2010 veränderten sich die medizinischen Erkenntnisse für die Lebensführung bei MS: Sport und Bewegung anstelle der früher empfohlenen körperlichen Passivität. Dem entsprechend baut die AMSEL ihr Sportangebot aus und legt entsprechende Aufklärungsbroschüren auf. Das Internet-Tool über MS-Therapien „MS behandeln“, ging 2010 online; das Tool über Wirkstoffe, „MS erforschen“, gibt es seit 2012.
Der Wegfall des Zivildienstes 2011 brachte drastische Veränderungen in der Organisation der Fahrdienste bzw. der Betreuung mit sich. Die Fahrdienste dank Ehrenamtlichen weitergeführt werden, allerdings in deutlich reduziertem Umfang .
2013 ging das neue Internet-Tool „Die Virtuelle MS-Klinik“ online. Auf einem virtuellen Rundgang durch die nachgebildete Klinik erhält der Besucher einen realistischen Eindruck davon, was ihn bei einem anstehenden Klinikaufenthalt erwartet. Das Tool will aufklären und Ängste vermindern.
Meilenstein 2014: Erste Studie zu MS in Baden-Württemberg
Für den AMSEL-Vorsitzenden Prof. Dr. med. Horst Wiethölter ist die im Sommer 2014 herausgegebene Broschüre „MS in Baden-Württemberg“, ein Forschungsprojekt des DMSG-Bundesverbandes, ein Highlight: „Wir freuen uns sehr, im Jahr unseres 40-jährigen Bestehens erstmals über gesicherte Daten zu klinischen Charakteristika der MS, soziodemographischen Aspekten und zur Versorgungssituation MS-Erkrankter zu verfügen. So können wir unsere Aufklärungsarbeit und Unterstützung der Erkrankten noch zielgenauer ansetzen. Als einziges Bundesland haben wir eine landesspezifische Auswertung herausgegeben.“
Prof. Dr. med. Peter Flachenecker, Vorsitzender des Ärztlichen Beirats der AMSEL und Mitglied der wissenschaftlichen Begleitgruppe Deutsches MS-Register, ergänzt: „Wir wissen nun beispielsweise, dass bis zur Diagnose nach wie vor zu viel Zeit verstreicht und den Alltag sehr beeinträchtigende Symptome trotz Behandlungsmöglichkeiten bei einem erheblichen Anteil von MS-Erkrankten nicht behandelt werden. Das gilt es zu ändern.“
Aufbau des MS-Registers in Deutschland
Der DMSG-Bundesverband initiierte im Jahr 2001 den Aufbau eines MS-Registers, um standardisierte Daten zur Krankheitshäufigkeit der MS, über die Versorgungssituation und den Einfluss der Erkrankung auf die Berufs- und Arbeitswelt zu erhalten. In den vergangenen Jahren haben 157 zertifizierte MS-Zentren in Deutschland die – freiwillig und mit Einverständnis der Patienten erhobenen – Daten von rund 39.000 MS-Erkrankten gesammelt und ausgewertet.
Auszüge aus den Daten für MS in Baden-Württemberg
Lange Unsicherheit
Trotz verbesserter Diagnosemöglichkeiten dauert es immer noch durchschnittlich drei Jahre bis zur Diagnose. Je älter der Patient, umso länger dauert es: Bei unter 20-Jährigen wird die MS meist innerhalb eines Jahres diagnostiziert, bei über 60-Jährigen dauert es zwischen sieben und 16 Jahre. Für die Betroffenen sei dies eine sehr belastende Zeit, vor allem, wenn sie unter sogenannten unsichtbaren Symptomen leiden, so der AMSEL-Vorsitzende Professor Wiethölter.
Diagnose mit 35
Zwei Drittel der Patienten sind weiblich. Die MS tritt meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auf. Der Krankheitsbeginn liegt durchschnittlich bei 32 Jahren, die Diagnose wird im Durchschnitt mit 35 Jahren gestellt.
Fatigue häufigstes Symptom
Die Fatigue (abnorme Ermüdbarkeit) ist mit rund 67 Prozent Betroffenen das häufigste Symptom, gefolgt von Blasenstörungen, Spastik (Muskelsteifigkeit, häufig verbunden mit Lähmungserscheinungen) und Ataxie (Störung der Bewegungskoordination). Auch kognitive Störungen und Depressionen betreffen mehr als jeden dritten Patienten.
Die sogenannten unsichtbaren Symptome wie Fatigue, Blasenfunktionsstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten oder Depressionen gehen einher mit großen Einschränkungen der Lebensqualität. Zudem bringen sie wegen ihrer „Unsichtbarkeit“ auch immer ein Akzeptanzproblem des Lebensumfelds mit sich, erklärt Professor Flachenecker.
Unbehandelte Symptome
Viele Symptome werden trotz Therapiemöglichkeiten nicht behandelt. So bleiben 86 Prozent der kognitiven Störungen unbehandelt, bei 78 Prozent der Patienten wird die Fatigue nicht therapiert, über die Hälfte der Ataxie wird nicht behandelt. AMSEL erhofft sich, dass diese nun erstmals mit Zahlen belegten Versorgungslücken mehr in den Fokus treten und damit zu einer besseren Behandlung MS-Erkrankter führen.
Keine Rollstuhl-Erkrankung
Entgegen dem verbreiteten Vorurteil, dass MS zwangsläufig mit einem Rollstuhl verbunden sei, zeigen die Zahlen, dass über zwei Drittel der Patienten im Alter von 50 Jahren und mehr als die Hälfte im Alter von 60 Jahren noch keine Gehhilfe benötigen. Bei einem durchschnittlichen Alter von etwa 30 Jahren bei Krankheitsbeginn bedeutet dies, dass fast zwei Drittel der Menschen mit MS nach 20- oder 30-jähriger Krankheit noch gehfähig sind.
Vorzeitige Berentung
Rund 36 Prozent der MS-Patienten in Baden-Württemberg wurden vorzeitig als erwerbs- oder berufsunfähig verrentet. AMSEL plädiert dafür, die MS-Erkrankten durch die Behandlung aller Symptome möglichst lange im Berufsleben zu integrieren. Sie verweist auf die sozialen, finanziellen und letztlich auch psychischen Folgen einer vorzeitigen Erwerbsunfähigkeit.