Werbewirksam wird ein unseriöses Datingportal gefordert
Wunderschöne, lachende Frauen. Natürlich und symphatisch. Die ideale Lock-Fatalle. Seit Wochen befinde ich mich im Einsatz für eine Firma, die Männerträume verkauft. Die Masche: Auf scheinbar seriösen Flirt-Portalen wie C-Dates und Co. kosten Nachrichten Geld. Um den Frauen weiterhin schreiben zu können, müssen die Männer ihr Guthaben aufladen.
Ich fand diesen "Arbeitgeber" auf einer Seite für Arbeiten von zu Hause aus. Da ich schon länger in diesem Bereich recherchierte, beschloss ich, mich dort anzumelden und mitzumachen. Das Auswahlverfahren ging mir leicht von der Hand. Es wurden einfache Texte bereitgestellt, die es zu beantworten galt. Hier wurde - laut "AG" - Wert gelegt auf: Wortwahl, Satzbau, Rechtschreibung und dem Jugendschutz.
Wenn man sich ein paar Minuten in einem Chat befindet, stellt sich schnell die Frage, warum so viel Wert darauf gelegt wurde. Sind doch einige Anworten weder sehr kreativ, noch zeugen sie von gutem Umgang und einer ordentlichen Bildung.
Ich bekam einen Arbeitsvertrag und einen Onlinezugang. Eine WhatsApp Nummer für dringende Angelegenheiten. Diese würde ich jedoch nicht unbedingt empfehlen. Der Mensch am anderen Ende ist äußerst unfreundlich und inkompetent. In einer Sache jedoch ist er wirklich gut: Im Drohen, Versprechen, Fordern, Betteln, Nerven.
Gehören Sie auch zu den Männern, die auf C-Dates seit Wochen mit der Traumfrau schreiben? Herzlichen Glückwunsch. Ich bin eine Ihrer Traumfrauen.
Zum Ablauf: Ich logge mich in die Chatkonsole ein und erhalte sogleich eine Nachrichtenanfrage. Blitzschnell muss ich meinen Monitor scannen. Linke Seite: Mann. Rechte Seite: Ich.
Bei diesem Chat heiße ich Miriam, bin 56, verwitwet und liebe Rosen. Der Mann, Harald, war letzte Woche im Krankenhaus. So steht es in der Info. Der letzte Chat lautete: Melde dich wieder mein Schatz, wenn du aus dem Krankenhaus draußen bist. Ich küsse dich.
Also schließe ich den Kreis und schreibe: Hallo mein Schatz. Ich hoffe es geht Dir gut. Wie geht es Dir?
Eine vorwurfsvolle Antwort folgt: Wie soll es mir gehen mit meiner Krebslunge?
Hektisch scrolle ich den Bildschirm und versuche irgendeine Information zu erhaschen, die mich aufklärt. Wut kommt in mir hoch. Da hat wieder eine der Frauen ihre Arbeit schlampig gemacht. Ist doch das Zauberwort, um diesen Betrug aufrecht erhalten zu können: Profilpflege!
Ich schreibe Harald so etwas wie: Ich gehe kurz mit dem Hund, Schatz. Wir reden gleich. OK?
Am besten immer mit einer Frage die Nachricht beenden. So fühlen sich die Männer verpflichtet zu antworten. Geld einzuzahlen. In das Fakeprofil der Frau, die von zig Frauen geschmiedet wird, scheibe ich in Großbuchstaben: SIE WUSSTE WOHL VON SEINER KREBSERKRANKUNG!!! Und bei ihm ergänze ich: LUNGENKREBS!!!
Die ganze Zeit über verfolge ich den Zeitbalken. Ich bin weit drüber. Kaum sende ich Haralds Nachricht ab, schon erscheint der nächste Mann. Jetzt bin ich Uschi, Bardame, willig. Ich rolle mit den Augen. Genau hier fängt nämlich das unmögliche Schreiben mancher Damen an.
"Ja, ich will Dich" und "Was willst Du machen", gefolgt von einem "Ja, bin heiß schon." Diese Unterhaltungen sind mindestens so anstrengend wie die der armen Männer, die hier tatsächlich ihr Herz verloren haben. Und es sind verdammt viele. Gerade um Silvester musste ich beim Chatten daran denken, wie es diesen Männern geht. Wenn ich, und 200 andere Frauen vor mir ihm sagen, wie sehr wie ihn lieben und wie blöd Corona ist und wie gern wir ihn endlich sehen möchten. Erstaunlicherweise werden hier auch besonders ungleiche Paare gebildet. Ulrich, 72 und Julia, 21. Für beide ist es die große Liebe. Über 5000€ hat Ulrich seit 6 Monaten schon bezahlt um mit seiner Julia schreiben zu können. Er respektiert ihre Entscheidung, sich nicht treffen zu wollen. Dankbar sind die Damen über Corona. Erleichtert das doch die Arbeit ungemein.
Gerade am Wochenende ist besonders viel Traffic. Irgendwann trudelte ein weiterer Zugang ein. Der Blue Media Chat. Ernshaft? Ich soll mit so kranken und perversen Männern für 10 cent schreiben? Die Informationen reichen schon aus, dass ich mich einfach auslogge. Ich möchte nicht ins Detail gehen. Vielleicht hätte ich den ein oder anderen melden sollen. Aber man kann nicht denken und keine Entscheidungen treffen. Ständig hat man den Zeitbalken im Auge. Zu kurz, zu lang. Fehler im Text führen zu Abzügen.
Mittlerweile hat die Firma ihren Sitz in die Schweiz verlegt. Sie hoppen. Bleiben nicht lange an einem Fleck und nennen sich gern mal um.
Ich werde das weiter verfolgen und mich über die Arbeitsanweisungen weiterhin köstlich amüsieren.
Aber ist es in Ordnung, dass namenhafte TV-Sender wie VOX eine Werbung ausstrahlen, die nichts anderes im Sinn hat, als Männern ihr teuer verdientes Geld aus der Tasche zu ziehen?
Vielleicht lesen die TV-Gesellschaften diesen Artikel und verzichten auf die- von den Opfern bezahlten - Werbung. Um dieser Ausbeute endlich ein Ende zu setzen und um sich das Ansehen der Zuschauer zu erhalten.