Für den FZR 2012 hat das WIdO repräsentativ Beschäftigte zum Thema beruflicher Flexibilität befragt. Die Ergebnisse belegen, dass ein Übermaß an Flexibilität die Psyche belasten kann. "Arbeitnehmer, die ständig erreichbar sind, die immer am oberen Limit arbeiten, Beruf und Freizeit schlecht trennen können oder lange Anfahrtswege zur Arbeit in Kauf nehmen, sind großen psychischen Belastungen ausgesetzt", erläutert Helmut Schröder.
Laut Befragung erhält mehr als jeder dritte Erwerbstätige häufig Anrufe oder E-Mails außerhalb der Arbeitszeit oder leistet Überstunden. "Auch Arbeit mit nach Hause zu nehmen oder an Sonn- und Feiertagen zu arbeiten, ist inzwischen kein Randphänomen mehr", so Schröder.
Die für den FZR 2012 Befragten berichten über Erschöpfung (20,8 Prozent) oder das Problem, in der Freizeit nicht abschalten zu können (20,1 Prozent). Mit Kopfschmerzen reagieren 13,5 Prozent, mit Niedergeschlagenheit 11,3 Prozent. Bei denjenigen, die Arbeit und Freizeit nach eigenen Angaben schlecht trennen können, treten laut WIdO-Befragung deutlich mehr psychische Probleme auf.
Pendler sind anfälliger für psychische Belastungen
Laut FZR sind hierzulande inzwischen rund 40 Prozent der Berufstätigen zirkulär oder residenziell mobil. "Das heißt, sie sind entweder Wochenendpendler, pendeln täglich mindestens eine Stunde zur Arbeit oder haben ihren Wohnort aufgrund beruflicher Anforderungen gewechselt", erläutert Helmut Schröder.
Die WIdO-Analysen bestätigen einen Zusammenhang von Fehltagen sowie Fallzahl psychischer Erkrankungen und der Länge des Anfahrtsweges zur Arbeit. Bei Beschäftigten, deren Arbeitsplatz mehr als 500 km von ihrem Wohnort entfernt ist, gab es 2011 statistisch etwa einen halben Fehltag mehr aufgrund einer psychischen Erkrankung als bei Beschäftigten, die weniger als 30 km zur Arbeit pendeln. Schröder: "Pendler, die große Strecken zurücklegen, unterliegen einem um 20 Prozent höherem Risiko, an psychischen Symptomen zu erkranken."
Psychische Erkrankungen nehmen weiter zu
Parallel zur zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitswelt nimmt die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen weiter zu. Im Vergleich zu 2010 ist der Anteil der Arbeitsunfähigkeitstage im vergangenen Jahr um 0,3 Prozentpunkte angestiegen. Seit 1994 ist die Zahl der psychischen Erkrankungen um 120 Prozent angestiegen. Das macht sich bei den Fehlzeiten bemerkbar: 2011 waren Ausfallzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen mit im Schnitt 22,5 Tagen je Fall mehr als doppelt so lange wie andere Erkrankungen mit durchschnittlich 11 Tagen je Fall.
Immer häufiger lautet die Diagnose "Burnout" (siehe dazu auch "ams-nachgefragt). Nach einer Hochrechnung des WIdO - bezogen auf die mehr als 34 Millionen gesetzlich krankenversicherten Beschäftigten in Deutschland - waren 2011 mehr als 130.000 Personen wegen eines Burnouts krankgeschrieben. Das führte zu insgesamt 2,7 Millionen Fehltagen. Betroffen waren insbesondere die Beschäftigten in sozialen Berufen. Frauen trifft es häufiger als Männer.
Chancen der Flexibilität nutzen
"Flexibel und mobil zu arbeiten, bietet sowohl jedem Einzelnen als auch den Unternehmen Vorteile, wenn dies mit mehr Wahlfreiheit und Handlungsautonomie verbunden ist", folgert WIdO-Experte Schröder aus den Daten. "Damit Unternehmen und Beschäftigte den Spagat zwischen Flexibilitätsanforderungen und gesundem Arbeiten meistern können, sollten die Möglichkeiten der modernen Kommunikationsmedien genutzt werden. Laptop und Smartphone, Telefon- und Videokonferenz erlauben es, effizient im Homeoffice zu arbeiten. Schießlich zählt das Ergebnis und nicht die Präsenz im Büro."
Hintergrund: Fehlzeiten-Report 2012
Der Fehlzeiten-Report wird vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO), der Universität Bielefeld und der Beuth Hochschule für Technik Berlin herausgegeben. Der Report informiert seit 1999 jährlich umfassend über die Krankenstandsentwicklung in der deutschen Wirtschaft. Er beleuchtet detailliert das Arbeitsunfähigkeitsgeschehen in den einzelnen Branchen und stellt aktuelle Befunde und Bewertungen zu den Gründen und Mustern von Fehlzeiten in Betrieben vor. Grundlage der Statistiken und Analysen sind die Arbeitsunfähigkeitsmeldungen von 10,8 Millionen erwerbstätigen AOK-Mitgliedern. Diese breite Datenbasis erlaubt empirisch belastbare Aussagen rund um das Thema Arbeitsunfähigkeiten für die deutsche Wirtschaft, einzelne Regionen, Branchen, Tätigkeiten, Alters- oder Geschlechtsgruppen. In der Mitte August erschienenen Ausgabe 2012 beschäftigen sich über 70 Fachautoren unterschiedlicher Profession mit Chancen und Risiken einer zunehmend flexibleren Arbeitswelt.