"Das Beispiel der Schlaganfallbehandlung zeigt, dass wir trotz einer Datenflut im Gesundheitswesen immer noch zu wenig wissen, wo besonders herausgehobene Risiken für die Patienten bestehen", sagte der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Herbert Reichelt, zur Vorstellung des Reports in Berlin. "Die AOK will die Versorgung ihrer Versicherten gestalten und für eine qualitativ hochwertige Behandlung sorgen. Dazu brauchen wir Transparenz", so Reichelt. "Der Versorgungs-Report zeigt beispielhaft, wo und wie wir Behandlungsstrukturen und Prozesse verbessern können."
Schwerpunktthemen des ersten Versorgungs-Reports sind Ausmaß und Behandlungsbedarf chronischer Erkrankungen. "Für 20 Prozent der Versicherten wendet das deutsche Gesundheitswesen mehr als 80 Prozent der Behandlungskosten auf. Dazu gehören insbesondere chronisch Kranke. Ihre bedarfsgerechte Versorgung ist deshalb auch in finanzieller Hinsicht eine entscheidende Herausforderung", erläutert WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber. "Die Situation wird sich durch die demografische Entwicklung verschärfen. Der Versorgungs- Report zeigt, dass als Folge der steigenden Lebenserwartung Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus, viele Krebserkrankungen oder Demenz weiter zunehmen." Dies sei ein zwangsläufiger Nebeneffekt des medizinischen Fortschritts, so Klauber. "Frühzeitigere Diagnosen und verbesserte Behandlung verlängern die Lebenserwartung, können jedoch oft keine dauerhafte Heilung erzielen. Angesichts der beeinflussbaren Risikofaktoren für viele chronische Krankheiten gewinnt deshalb die Prävention an Bedeutung."
Schub für die Versorgungssteuerung durch DMP
Dass sich bei der Versorgung chronisch Kranker in den letzten zehn Jahren durchaus etwas verändert hat, ist laut Versorgungs-Report insbesondere den Disease-Management- Programmen (DMP) zu verdanken. "Sie haben der Versorgungssteuerung nachhaltig Schub verliehen", betont Klauber. Schon die häufigen Arztbesuche der Patienten - immerhin suchen Diabetiker 38-mal im Jahr eine Arztpraxis auf - zeigen, wie notwendig eine koordinierte Behandlung ist. Mit sechs Millionen Teilnehmern sind die zur Verbesserung der Betreuung chronisch Kranker seit 2003 schrittweise eingeführten strukturierten Behandlungsprogramme der gesetzlichen Krankenkassen inzwischen ein fester Bestandteil der Versorgung. Nahezu jeder zweite Diabetiker in Deutschland ist in ein DMP eingeschrieben. Allein mehr als 2,7 Millionen AOK-Versicherte nehmen an einem Programm für Diabetes Typ 2 (seit 2003), Brustkrebs (2003), Koronare Herzkrankheiten (2004), Diabetes mellitus Typ 1 (2005) und Asthma/COPD (2006) teil.
Klauber: "Die inzwischen vorliegenden Ergebnisse zeigen positive Entwicklungen bei den medizinischen Werten der Patienten und deutliche Verbesserungen im Bereich der Prozessqualität. Die Ergebnisse der vom AOK-Bundesverband beauftragten ergänzenden Begleitforschung zur gesetzlichen Evaluation deuten darauf hin, dass Diabetiker, die an einem DMP teilnehmen, eine längere Lebenserwartung gegenüber Nichtteilnehmern haben. Diabetesbedingte Folgeerkrankungen gehen bei DMP-Teilnehmern zurück. Die Patienten fühlen sich besser versorgt und informiert. Sie verhalten sich gesundheitsbewusster."
Mitherausgeber Prof. Norbert Schmacke macht im aktuellen Versorgungs-Report deutlich, "dass ohne die Anbindung der DMP an den Risikostrukturausgleich (RSA) in der gesetzlichen Krankenversicherung und ohne die zentrale und in dieser Form neue Rolle der Krankenkassen ein derartiges Programm zur Beseitigung struktureller Versorgungsmängel nicht zustande gekommen wäre". Nach der Einführung des morbiditätsorientierten RSA (Morbi- RSA) 2009 habe es sich angesichts des Ausgabendrucks auf die Krankenkassen durch den zeitgleich eingeführten Gesundheitsfonds als richtig erwiesen, die DMP weiter gesondert zu berücksichtigen, schreibt Gesundheitsökonom Klaus Jacobs im Report: "Auch bei künftigen Anpassungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen sollte behutsam vorgegangen werden, um die unübersehbaren Fortschritte in der Chronikerversorgung nicht zu gefährden", rät Jacobs.
Der Versorgungs-Report ist eine neue jährliche Publikationsreihe des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Er thematisiert die Gesundheitsversorgung sektorübergreifend und ergänzt damit die Report-Reihe des WIdO mit Arzneiverordnungs-, Krankenhaus - und Fehlzeiten- Report. Herausgeber des Versorgungs-Reports sind die WIdO-Wissenschaftler Joachim Klose und Christian Günster sowie der Leiter der Arbeits- und Koordinierungsstelle Gesundheitsforschung an der Universität Bremen, Prof. Norbert Schmacke. Der Mediziner ist unparteiisches Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss, dem obersten Beschlussgremium von Ärzten, Krankenkassen und Krankenhäusern.
Die Autoren des Versorgungs-Reports analysieren das Versorgungsgeschehen mit Blick auf den Patienten und die verschiedenen Gesundheitssektoren und schließen damit eine Informationslücke.
Das Schwerpunktthema der ersten Ausgabe heißt "Chronische Krankheiten". Die Beiträge liefern Informationen über das Ausmaß chronischer Erkrankungen und deren Behandlungsbedarf. Einzelbeiträge sind der Koronaren Herzkrankheit und der Herzinsuffizienz, dem Diabetes mellitus, der Hypertonie und dem Schlaganfall gewidmet. Der Diskussionsblock befasst sich mit aktuellen Themen wie Ärztemangel, arztentlastende Versorgungsstrukturen und Telemedizin. Ein umfangreicher Statistikteil beleuchtet das Krankheitsspektrum der Deutschen, die Häufigkeit von Erkrankungen und die Inanspruchnahme von Leistungen in der ambulanten, stationären und Arzneimittel-Versorgung. Die Daten haben besonderes Gewicht, weil erstmals sektorenübergreifend die Daten von rund 24 Millionen AOKVersicherten ausgewertet wurden. Ebenfalls zum ersten Mal wurden Diagnosen und die Inanspruchnahme von Leistungen zusammengeführt.
C. Günster, J. Klose, N. Schmacke (Hrsg): Versorgungs-Report 2011, Schwerpunkt: Chronische Erkrankungen; 372 Seiten, 65 Abb., 79 Tab.; 44,95 €; ISBN 978-3-7945-2803-5.
Die Printausgabe wird ergänzt durch ein Internetangebot (versorgungs-report-online.de), das neben Abbildungen und Tabellen zusätzlich den kompletten, statistischen Überblick über mehr als 1.500 Krankheiten bietet.