Als Ausgangspunkt ist den Analysen des Versorgungs-Reports eine Darstellung der demografischen Entwicklung in Deutschland bis 2060 vorangestellt. Danach verändert sich der Altersquotient in den nächsten fünfzig Jahren dramatisch. "Derzeit kommen im Bundesschnitt 34 über 65-Jährige auf 100 erwerbsfähige Männer und Frauen im Alter zwischen 20 bis 65 Jahren", erläutert WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber. "Bis 2060 wird sich das dramatisch verändern. Dann weist Bremen mit einem Verhältnis von 63 zu 100 noch den günstigsten Altersquotienten auf. In Ostdeutschland wird der Wert durchweg über 72 liegen - an der Altersspitze Brandenburg mit 78 Menschen über 65 je100 Erwerbsfähige."
Die zu erwartenden Folgen dieses Wandels spiegeln sich in den Prognosen zur Entwicklung der Zahl der Demenzerkrankungen wider. Klauber: "Bis zu 1,4 Millionen Deutsche leben heute mit einer Demenzerkrankung. Von 100 Menschen über 80 Jahre ist jeder Fünfte betroffen. 2050 werden wir es mit bis zu drei Millionen Demenzkranken zu tun haben - 90 Prozent davon pflegebedürftig."
Im Alter von 60 bis 64 Jahren ist derzeit ein Prozent der Bevölkerung von Demenz betroffen. Die Krankheitshäufigkeit verdoppelt sich laut Versorgungs-Report in Schritten von fünf bis sechs Jahren. Im Alter von 75 und 79 Jahren liegt sie bei 7,5 Prozent, zwischen 85 und 89 Jahren bei 22,5 Prozent und ab dem 100. Lebensjahr bei 40 Prozent. Aktuell haben Frauen ab 80 Jahren noch eine Lebenserwartung von knapp 8,8 Jahren. Davon verbringen sie im Schnitt noch fast sieben Jahre ohne Demenz. Männer ab 80 leben durchschnittlich noch sieben Jahre und verleben davon etwa sechs Jahre demenzfrei. Bei der Prognose, wie sich die Zahl der Demenzerkrankungen bis 2050 entwickeln wird, spielt die Entwicklung der Lebenserwartung eine wesentlich Rolle: Steigt die Lebenserwartung stark an, wird mit der größeren Zahl alter Personen die Zahl der Demenzkranken auf bis zu drei Millionen steigen, was bei im gleichen Zeitraum schrumpfender Bevölkerungszahlen einem Anteil von 4,2 Prozent der Deutschen entsprechen würde.
Klauber: "Aus wissenschaftlicher Sicht - und das ist sicherlich auch gesellschaftlich ratsam - gibt es ein klares Ziel: Demenz muss in der Wahrnehmung der Menschen eine normale Erkrankung werden. Trotz aller Aufklärung ziehen sich noch immer viele Betroffene und Angehörige aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. Erste Symptome einer Erkrankung werden oft verleugnet und selbst von den Hausärzten nicht richtig eingeordnet, weil das Thema sehr negativ und vorurteilsbehaftet diskutiert wird."
Vier Millionen Ältere erhalten problematische Medikamente
Besorgnis erregende Erkenntnisse liefert der Versorgungs-Report zu den gesundheitlichen Risiken für Ältere durch ungeeignete Medikamente und das gleichzeitige Einnehmen vieler Arzneimittel. Rund vier Millionen Patienten über 65 erhalten mindestens ein problematisches Medikament, bei dem die Nachteile den Nutzen übersteigen. 5,5 Millionen sind Risiken durch gleichzeitige Einnahme verschiedener Medikamente ausgesetzt. "Die Arzneimitteltherapie für Ältere muss dringend verbessert werden", fordert deshalb Jürgen Klauber. "Dazu können evidenzbasierte Therapieempfehlungen, hausärztliche Therapiezirkel und eine auf ältere Menschen zugeschnittene Pharmakotherapieberatung für Ärzte beitragen."
Prävention lohnt sich
Der Versorgungs-Report 2012 zeigt zudem gelungene Beispiele für eine auf die Belange Älterer zugeschnittene Prävention. Dazu zählen die von der AOK unterstützten Sturzprophylaxe- Projekte in Pflegeheimen. Sie können 20 Prozent aller Hüftfrakturen bei Heimbewohnern verhindern.
Keine "Kostenexplosion"
Nach Berechnungen des Gesundheitsökonomen Prof. Stefan Felder von der Universität Basel steigen die GKV-Ausgaben aufgrund des zunehmenden Anteils Älterer an der Bevölkerung bis 2050 um bis zu 20 Prozent. Das entspricht einem Ausgabenplus von 0,4 Prozent pro Jahr. Zum Vergleich: Zwischen 2005 und 2009 sind die Ausgaben der GKV im Jahresmittel um 3,7 Prozent gestiegen. Felders Berechnungen für den Versorgungs-Report 2012 haben ergeben, dass die steigende Lebenserwartung zwar durchaus höhere Ausgaben nach sich zieht, aber bei weitem nicht im Ausmaß einer Kostenexplosion. Klauber: "Den Berechnungen liegt die Beobachtung zugrunde, dass die Behandlungskosten vor dem Tod eines Menschen besonders hoch sind - unabhängig, ob er mit 70, 80 oder 90 Jahren stirbt."
Umfassende Daten zu Gesundheitskosten im Alter
Der Versorgungs-Report stützt sich auf Daten von 24 Millionen AOK-Versicherten. "Die umfangreichen Angaben über die häufigsten Krankheiten, die Inanspruchnahme von Ärzten oder Sonderanalysen für ausgewählte Erkrankungen besitzen besonderes Gewicht für die Versorgungsforschung, weil das WIdO Diagnosen und die Inanspruchnahme von Leistungen sektorübergreifend zusammenführt", betont Jürgen Klauber.
So stellt der Versorgungs-Report 2012 - bisher einmalig - die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen im Alter auf der Grundlage der gesamten Leistungsdaten für ambulante und stationäre Versorgung sowie Medikamente dar und liefert Auskunft über die häufigsten Krankheiten bei älteren Menschen.
Christian Günster, Joachim Klose, Norbert Schmacke (Hrsg.).
Versorgungs-Report 2012. Schwerpunktthema: Gesundheit im Alter. 440 Seiten, 84 Abb., 64 Tab.;
51,40 €; ISBN 978-3-7945-2850-9