Händler, Handelsinteressierte und Experten des E-Commerce diskutierten am 10. März in der Berliner Kulturbrauerei über das aktuelle Verhältnis von Online- und Offline-Handel. Und suchten nach Antworten auf die Frage, was der stationäre Händler vom digitalen Geschäft lernen kann. Ihre Empfehlung für die bedrängte Einkaufsstraße: Wandel durch Annäherung. Es gibt Chancen für eine Symbiose.
Auf rund 33 Milliarden netto sei mittlerweile das Umsatzvolumen im Online-Geschäft gewachsen – darauf verwies Professor Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein, der in Mönchengladbach zum Thema onlineinduziertes Kaufverhalten forscht. „Der Handel ändert sich, weil der Kunde sich ändert und sich als Techniknutzer durch Internet und Smartphone emanzipiert.“ Der stationäre Handel müsse begreifen: „Die digitale Welt hört für den Kunden nicht an der Ladentür auf. Die endgültige Kaufentscheidung trifft er gern erst zu Hause.“
Heinemann hält es für einen großen Mangel, dass 70 bis 80 Prozent der stationären Händler in Deutschland noch nicht im Netz vertreten sind. Der Umsatz pro Fläche – und damit letztendlich auch die Fläche selbst – gehe zurück. Er rät dem Einzelhandel dringend zu einem Ende der Bequemlichkeit. Immer wichtiger werde die Lieferung nach Hause, die Weiterentwicklung von reinen Geschäften auch zur Abholstation und die Vereinfachung der Retouren. „Das stationäre Geschäft muss neu erfunden werden“, sagt der Kaufverhaltensforscher.
Blogger und Spiegel-Online-Kolumnist Sascha Lobo erwartet, dass die soziale Komponente beim Einkauf wichtiger wird. Er sieht einen Trend zur „Kaufanimation durch das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Kauf-Community, die sich in Netzwerken herausbildet. Durch persönliche Beziehung beim Kaufvorgang.“ Beispiel: das Bio-Geschäft. Ende der Neunzigerjahre habe dem kaum jemand eine Marktchance zugesprochen, heute gebe es hier nicht nur einen relevanten Markt, sondern auch die besagte Community. In Zukunft werde auch der nicht zu bremsende Online-Handel nach neuen sozialen Denkansätzen suchen, um sich im Wettbewerb Vorteile zu verschaffen.
Das sieht Alexander Graf, Chef der eTribes GmbH, Gründer der Hamburger Beratungsagentur für digitale Netzwerke, eher skeptisch. Es sei derzeit kein brauchbares Konzept in Sicht, das kleine Online-Händler wettbewerbsfähig macht gegen die bekannten Versandgiganten: „Auch wenn soziale Konzepte stärker ins Spiel kommen, am Ende wird doch weiter über Amazon abgewickelt“, prophezeit Graf.
Eingeladen zu dieser nunmehr dritten Talkrunde der Reihe E-Commerce-Hauptstadt Berlin hatte APONEO Deutsche Versand-Apotheke. Die Moderation übernahm Jochen Krisch, Herausgeber von Exciting Commerce. Er verwies auf bleibende Tugenden des Einzelhandels wie Kompetenz und Kundennähe, die sich auch in einer Welt des Wandels, der neuen Erfindungen und der Massenprodukte behaupten können. Aus dem Publikum kam da der Vorschlag: „Online bestellen und offline abholen.“
Der Online-Handel werde, darin waren sich Diskutanten auf dem Podium einig, weiterhin auf Kosten des Einzelhandels expandieren. Jedoch gilt auch: E-Commerce und Einkaufsstraße – das ist nicht nur Wettbewerb, sondern auch eine Chance zu Symbiose. „Eine Verkaufsdramaturgie entwickeln und die Ware stimmig inszenieren“, dafür plädiert Martin Groß-Albenhausen, Referent für E-Commerce und Marketing beim Bundesverband des Deutschen Versandhandels (bvh). Dazu gehöre auf beiden Seiten auch eine richtige Sprache für die Zielgruppe, um das Kaufverhalten zu fördern. APONEO-Inhaber Konstantin Primbas formulierte es so: „Der wichtigste Erfahrungswert, den wir aus dem stationären in den Versandhandel mitgenommen haben, ist die menschliche Seite der Kundenbindung. Denn das macht den guten Händler aus.“