Wie viele Straßenverkehrsopfer gibt es und warum geraten Fußgänger immer mehr in Bedrängnis?
Jan Kemperdiek: Im letzten Jahr gab es knapp 2.900 Menschen, die bei Straßenverkehrsunfällen ihr Leben verloren haben. Hinzu kommen rund 365.000 Verletzte im Straßenverkehr. Gerade bei den ums Leben gekommenen Fußgängern gibt es im Vergleich zum Vorjahr einen enormen Anstieg um mehr als zwölf Prozent. Laut Unfallforschung der Versicherer ist der Unfallverursacher bei Fuß-Rad-Unfällen überwiegend der Radfahrer. Zwar sind Fußgänger und Radler im Vergleich zu anderen Konstellationen immer noch eher selten in Unfälle verwickelt, aber durch die Zunahme des Radverkehrs und immer mehr Elektro-Bikes werden die Unfälle heftiger. Dabei ist die Anzahl der schweren Verletzungen von Fußgängern, die mit einem Rad kollidieren, kaum geringer als bei innerstädtischen Unfällen mit Autos. Einer der Gründe ist die Demografie: Ab 75 Jahren werden die Verletzungen aufgrund der körperlichen Konstitution schwerwiegender. Gleichzeitig nimmt die Anzahl älterer Menschen, die sich überwiegend zu Fuß im Straßenverkehr bewegen, zu.
Fußgänger vs Radler: Wo lauern die größten Gefahren im Straßenverkehr?
Jan Kemperdiek: Viele Unfälle ereignen sich an Bus- oder Straßenbahn-Haltestellen, weil der Radweg sich zwischen Fahrbahn und Gehweg befindet, so dass ein- und aussteigende Fahrgäste ihn zwingend überqueren müssen. Gerade beim Aussteigen ist die Sicht auf den Radweg aber nicht immer gut. Auch die Aufmerksamkeit lässt in vielen Fällen zu wünschen übrig, weil immer mehr Menschen den Blick ständig auf das Smartphone gerichtet haben. Gleiches gilt allerdings auch für Radler, die an Haltestellen nicht immer die nötige Vorsicht walten lassen. Ich kann da nur auf die Straßenverkehrsordnung hinweisen, nach der Radler an Haltestellen gezwungen sind, langsam zu fahren und unter Umständen sogar anhalten müssen, wenn Fahrgäste ein- und aussteigen. Stürmisches Klingeln und drauflos fahren genügt in dieser Situation nicht.
Eine andere Gefahr lauert im Längsverkehr, wenn Rad- und Gehweg parallel zueinander verlaufen. Da kommen sich Fußgänger und Radler durch Unachtsamkeit auch oft zu nahe, so dass sie sich berühren oder sogar gegenseitig rammen. Vor allem für Kinder und ältere Menschen ist diese Verkehrsführung äußerst gefährlich.
Gibt es Tipps, wie sich Fußgänger im Straßenverkehr besser schützen können?
Jan Kemperdiek: Vor allem wenn es früh dunkel wird, aber auch generell gilt der Grundsatz: Sehen und gesehen werden. Dabei sorgt helle und mit reflektierenden Streifen versehene Kleidung für mehr Sicherheit. So sind beispielsweise Reflektoren im Scheinwerferlicht bis zu 150 Meter weit sichtbar, während Autofahrer dunkle Kleidung bereits nach 25 Metern nicht mehr erkennen können. Selbst mit heller Kleidung sind es nur bis zu 40 Meter. Es gibt sogar sogenannte Reflektorjacken zur Verbesserung der nächtlichen Sichtbarkeit im Straßenverkehr. Tagsüber sehen sie grau aus, aber wenn im Dunkeln Licht auf das Material fällt, wird es reflektiert und leuchtet hell auf, so dass man kaum zu übersehen ist. Wer mit seinem Hund an belebten Straßen auf Gassirunde geht, dem rate ich, auch den Vierbeiner mit Leuchtelementen auszustatten.
Und als weiteren Hinweis kann ich nur raten, sich im Straßenverkehr vorausschauend zu verhalten, sonst nützt auch die beste Kleidung nichts. Dazu zählt beispielsweise, Straßen nur an einer gut beleuchteten Stelle zu überqueren, weil auch parkende Fahrzeuge die Sicht und die Sichtbarkeit erheblich behindern können.
Was muss man bei Kindern im Straßenverkehr beachten?
Jan Kemperdiek: In Deutschland verunglückten 2023 mehr als 27.000 Kinder unter 15 Jahren im Straßenverkehr. Diese Zahl ist wirklich schrecklich. Das Problem: Die kleinen Verkehrsteilnehmer können den Straßenverkehr weniger gut einschätzen als Erwachsene. Ihr peripheres Sehen noch nicht voll ausgereift und sie reagieren langsamer auf visuelle Reize. Daher appelliere ich an alle Eltern, ihre Kinder nicht nur mit entsprechender Kleidung für eine bessere Sichtbarkeit auszustatten, sondern ihnen auch verkehrsgerechtes Verhalten beizubringen. Spätestens jetzt in der dunklen Jahreszeit sollten Schulranzen mit zusätzlichen reflektierenden Anhängern wie LED-Blinklichtern ausgestattet werden.
Was müssen Radler beachten, um sich sicher im Straßenverkehr zu bewegen?
Jan Kemperdiek: Für Radler und Pedelec-Fahrer gelten zur eigenen Sicherheit einige Regeln im Straßenverkehr. So schreibt die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) vor, dass Räder vorne und hinten mit funktionierenden und sauberen Leuchten ausgestattet sein müssen. Die Lichtstärke sollte mindestens zehn Lux betragen, ich empfehle sogar 40 Lux. Wichtig dabei ist, dass der Scheinwerfer den Gegenverkehr nicht blendet. Dafür sollte der Lichtstrahl leicht nach unten geneigt sein. Allgemeine Faustregel: Der Scheinwerfer sollte ungefähr fünf Meter vor dem Fahrrad die Fahrbahn beleuchten. Als Rücklicht sind Standlichter vorteilhaft, weil sich auch beim Stehen an der Kreuzung weiterleuchten. Darüber hinaus müssen sich an Front und Heck sowie in den Speichen und an den Pedalen insgesamt zehn Reflektoren befinden. Neben Rückstrahlern an den Pedalen sind für Vorder- und Hinterräder orange-gelbe Rückstrahler (sogenannte Katzenaugen) oder alternativ dazu reflektierende Reifen vorgeschrieben.
Über der Kleidung sollten auch Zweiradfahrer am besten eine reflektierende Weste tragen. Bereits bei Dämmerlicht müssen die Leuchten eingeschaltet werden, um besser gesehen zu werden. Mittlerweile gibt es Helme mit Reflektoren und einer Zusatzbeleuchtung. Auch sie erhöhen die Sichtbarkeit auf dem Rad. Ob ein Helm geeignet ist, verrät die Bezeichnung DIN EN 1078 (CE).
Was gilt für motorisierte Zweiräder?
Jan Kemperdiek: Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass Elektro-Fahrräder verkehrsrechtlich unterschiedlich eingestuft werden. Anders als bei Pedelecs unterstützt der Motor von E-Bikes auch dann, wenn der Fahrer nicht in die Pedale tritt. Auch bei motorisierten Zweirädern ist in der dunklen Jahreszeit wichtig, dass das Licht am Fahrzeug funktioniert und die Fahrer selbst gut sichtbar sind, beispielsweise durch Reflektoren an Kleidung und Helm. Vor allem das Visier von Motorradhelmen sollte sauber und ohne Kratzer sein, damit das Sichtfeld auch bei tiefstehender Sonne möglichst groß bleibt.
Wie können Autofahrer zu mehr Sicherheit beitragen?
Jan Kemperdiek: Autofahrer, die es im Oktober versäumt haben, einen kostenlosen Lichttest zu machen, sollten spätestens jetzt eine Kfz-Werkstatt ihres Vertrauens aufsuchen, damit die Beleuchtung des Fahrzeugs auf Fehler geprüft und die Scheinwerfer richtig eingestellt werden können. Und natürlich sollten Autofahrer sich rechtzeitig um die Winterreifen für ihr Auto kümmern.
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