Das Landschaftsbild des ländlichen Raums wird nicht nur durch Wald und Flur, sondern in starkem Maße auch von den ländlichen Siedlungsstrukturen geprägt. Doch das Leben in den weniger dicht besiedelten Regionen unseres Landes hat sich in den letzten Jahren merklich gewandelt: Abwanderung der Jugend, Schrumpfungsprozesse, Leerstände und der Kampf um den Erhalt der Infrastruktur prägen die lokalpolitische Agenda in vielen kleinen Kommunen.
In Referinghausen, einem Ortsteil der sauerländischen Gemeinde Medebach, kristallisierten die Absolventinnen und Absolventen von Studiengängen der Architektur, Innenarchitektur, Landschaftsarchitektur und Stadtplanung vom 9. bis 11. September drei zentrale Themenbereiche heraus, die in Arbeitsgruppen unter Begleitung erfahrener Professoren und Dozenten eingehend behandelt wurden:
Leerstand als Chance begreifen: „Referinghausen hat Ge(o)schichten“
In Referinghausen steht seit einigen Jahren in der Dorfmitte ein ehemaliger Gasthof leer, der von einem Investor zu Eigentumswohnungen umgebaut wurde, welche aber nie verkauft werden konnten. Die Teilnehmer des Sommerseminars maßen der Revitalisierung dieses das Ortsbild prägenden Gebäudes große Bedeutung zu und sahen die zentrale Lage des Bauwerks als große Chance. Hier könnte ein Geo-Informationszentrum entstehen, das die Bedeutung des Steins für den Ort und die Region deutlich macht. In Referinghausen wurde über Jahrzehnte ein Steinbruch betrieben, der heute für Besucher zugänglich ist. Der ehemalige Gasthof könnte nach Vorschlag der Arbeitsgruppe auf seinen Fachwerk-Kern zurückgebaut und durch einen modernen Baukörper ergänzt werden, der ein deutliches Statement setzen würde: Referinghausen wird zum Geologie-Infozentrum, das Geschichte mit Zukunft verbindet. Geo-Lehrpfade und themenbezogene Wanderwege sollten das thematische Angebot ergänzen.
Straße neu denken: „Rast in REF“
Referinghausen wird von der Landesstraße L872 durchschnitten. Parallel zu der Straße, die immer wieder als Gefahrenquelle wahrgenommen wird, fließt der Bach „Wilde Aar“. Die jungen Architekten und Stadtplaner empfehlen, die Wilde Aar wieder ans Tageslicht zu holen und für den Ort als Erlebnisraum zu inszenieren. Auf großes Interesse bei den Bürgern von Referinghausen stieß die Idee, den Bach in Stile einer Furt über die Landesstraße laufen zu lassen – als Markierung des Dorfeingangs und als Element der Verkehrsberuhigung. Insgesamt riet die zweite Arbeitsgruppe dazu, die spezifischen Qualitäten von Referinghausen herauszuarbeiten. Dazu gehörten auch die zentrale Lage als Kreuzungspunkt verschiedener Wanderrouten am Rothaarsteig und die großzügigen Gärten und Grünanlagen im Ort. An der Hauptkreuzung könnte ein Rastpunkt entstehen, an dem Wanderer, Radfahrer und Biker ein kleines Gastronomieangebot und touristische Informationen zum Ort und über die Region angeboten werden. „Rast in REF“ soll Referinghausen als Zielpunkt für Reisetouristen im Sauerland attraktiv machen und auf touristischen Wanderrouten etablieren.
Touristisches Potenzial herausarbeiten: „Referinghausen ist ein Q-Dorf“
Die dritte Arbeitsgruppe wählte einen weniger planerischen als marketing-orientierten Lösungsansatz für die Probleme des kleinen sauerländischen Dorfes. Die jungen Planerinnen und Planer riefen dazu auf, die im Ort dominante Milch- und Viehwirtschaft zu einem Markenzeichen auszubauen. Im baulichen Bereich müssten dazu die Vieh-Höfe so umgestaltet werden, dass Besucher die 350 Kühe im Dorf überhaupt wahrnehmen könnten. Glasfronten sollen die Kuhställe an einigen Punkten einsehbar machen und zu Qualitäts-Ställen aufwerten („Q-Stall“); darüber hinaus könnte ein „Q-Hostel“ preiswerte Übernachtungen im Stall anbieten. Vorgeschlagen wurden auch Erlebnistage auf dem Bauernhof, Wellnesstage mit frischer Luft und Milch, Melkseminare und Tafeln auf der Weide. Die Arbeitsgruppe entwickelte eine ganze Produktpalette insbesondere im Bereich der ökologischen Viehwirtschaft, die von den Referinghäuser Milchwirten unter einem Logo vertrieben werden könnten. Auf besondere Sympathie traf der Entwurf eines Schildes für den Ortseingang, das – analog zur Bekanntgabe der Gottesdienste im Ort – dem geneigten Besucher die Melkzeiten ankündigt.
Die Ergebnisse der drei Arbeitsgruppen des Sommerseminars der Stiftung Deutscher Architekten zielten insgesamt darauf ab, die ortsspezifischen Stärken als Alleinstellungsmerkmal in der Region heraus zu arbeiten und dabei durchaus realistische und gangbare Lösungsansätze aufzuzeigen.
Resonanz der Kommune und der REGIONALE 2013
Der Ortsvorsteher von Referinghausen, Reinhold Figgen, zeigte sich begeistert von den Ideen und Konzeptvorschlägen der Nachwuchs-Architekten und –Stadtplaner. „Sie haben uns wertvolle Impulse gegeben, die wir auf jeden Fall weiter verfolgen werden.“ Der Bürgermeister der Stadt Medebach, Thomas Grosche, kündigte an, Erkenntnisse aus dem Sommerseminar in das neue stadtintegrierte Dorfentwicklungskonzept aufzunehmen, das derzeit erarbeitet wird.
Für die Stiftung Deutscher Architekten zog Markus Lehrmann, Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, das Fazit, dass die Suche nach Stärken sich gelohnt habe. „Die Seminarteilnehmer haben mit dem frischen Blick von außen Potenziale entdeckt, die man als Bewohner der Region oftmals gar nicht mehr bewusst wahrnimmt“, meinte Lehrmann. Diese Stärken gelte es nun zu nutzen und auszubauen. Für die REGIONALE 2013 lobte Dr. Stephanie Arens das Engagement und den Mut der jungen Planer. „Sie haben an vielen Stellen quer gedacht und ganz neue Ansatzpunkte für die Dorfentwicklung herausgearbeitet.“ Die REGIONALE werde das konzeptionelle Vorgehen im Rahmen ihrer Projektreihe „Dörfer lernen von Dörfern“ aufgreifen und als Impuls für andere Kommunen weitergeben.
Hintergrund "Stiftung Deutscher Architekten"
Die Stiftung Deutscher Architekten engagiert sich als gemeinnützige Einrichtung der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen besonders für junge Berufskolleginnen und -kollegen. Die Nachwuchsförderung wird dabei als eine der besten Investitionen für die Zukunft der Architektur, der Baukultur und nicht zuletzt auch für die Zukunft des Berufsstandes gesehen. In diesem Sinn veranstaltet die Stiftung Deutscher Architekten alle zwei Jahre ein „Sommerseminar“ für Absolventen und Berufsstarter der Fachrichtungen Architektur, Innenarchitektur, Landschaftsarchitektur und Stadtplanung, in dem praktisches Arbeiten an einem konkreten Projektthema angeboten wird.