Die Ergebnisse im Detail
Was sind eigentlich Rituale? Als Rituale werden Handlungen definiert, die Verbraucher von einem emotionalen Zustand in den nächsten bringen. Sie sind sozusagen emotionale Reisen, die im Unterbewusstsein verankert sind und immer wieder abgerufen werden, um sich in angenehme Zustände zu versetzen. Die Zigarette nach dem Morgenkaffee, das Glas Champagner nach dem Einkauf am Samstag, das wöchentliche Treffen mit den Freundinnen im Lieblingscafé: alles Rituale. Rituale erleben eine Renaissance. Das mag in der viel zitierten Individualgesellschaft zunächst verwundern, bei genauem Hinsehen jedoch nicht. Denn für die moderne Konsumgesellschaft gilt: Große Freiheit vergrößert den Wunsch nach Orientierung und große Auswahl den nach Vereinfachung. Beide Aspekte erfüllen Rituale und auch Marken. Während Marken Orientierung und Sicherheit für das Konsumverhalten geben und Kaufentscheidungen vereinfachen, bieten Rituale Orientierung und Vereinfachung im Lebensalltag und Sicherheit für das Verhalten. Rituale und Marken sind also wesensverwandt.
Deutscher Alltag folgt festen Routinen
91% der Befragten fühlen sich erst nach dem Zähneputzen bereit für den Tag. 82% benutzen immer die gleichen Produkte. 78% lassen den Tag hinter sich, indem sie Radio hören oder fernsehen. 65% haben Zähneputzen als festes Abendritual in ihr Leben integriert; interessanterweise sind davon 72% Frauen, aber nur 57% Männer. 50% benutzen abends immer dieselben Produkte.
Über 50% der Deutschen checken morgens ihre E-Mails und surfen abends im Internet. Senioren (60 bis 70 Jahre) sind dabei mit 53% morgenaktiver beim Sur-fen versus 33% der jüngeren Deutschen (18–27 Jahre). Diese surfen zu 65%abends, aber nur 48% der Senioren. Ihre Mails rufen 45% der jungen Deutschen abends ab, Senioren tun dies am Abend nur zu 38%.
Alltagsrituale spiegeln kulturelle Unterschiede
81% der Deutschen brauchen morgens eine Dusche, aber nur 27% der Japaner (die eher abends baden). Nur 3% der deutschen Frauen schminken sich auf dem Weg zur Arbeit, aber 25% der eher lässigen Niederländerinnen. Erstaunlich flexibel agieren Deutsche beim Sex: Nur 5% tun es immer am gleichen Tag, was auf leidenschaftliche Spontaneität schließen lässt. Das Reich der Mitte hingegen zeigt sich in diesem Punkt sehr diszipliniert. 41% der Chinesen bevorzugen Sex immer am gleichen Tag.
Rituale haben Einfluss auf konsumrelevante Felder
Alltagsrituale haben eine klare Verbindung zu konsumrelevanten Feldern wie ritualisiertem Einkaufsverhalten („Samstags nach dem Shoppen ein Glas Schampus im KaDeWe“), ritualisierter Markenwahl („Ich kaufe Persil, weil ich das schon immer gemacht habe – wie meine Mutti“), ritualisierter Produktnutzung („Der Morgen beginnt mit Espresso oder gar nicht“) und ritualisiertem Medieneinsatz („Tagesschau sehen heißt: Der Feierabend beginnt“). All diese Felder sind für Unternehmen eine Chance, über Rituale neue Nutzungsmöglichkeiten von Produkten zu entdecken. Denn praktisch jede Marke hat Ritualpotenzial. Und Verbraucher wünschen sich, aus ihren Alltagsritualen mehr zu machen, sie quasi zur Zeremonie zu erhöhen. Genau dabei können Marken den Konsumenten helfen. So kann eine Tasse Tee etwa zu einer Portion Pause werden. Der Schokokuss wird zur Streicheleinheit, um sich zu trösten, und ein Glas Likör zaubert sofort Erinnerungen an den letzten Italienurlaub hervor. Man braucht also keine Luxuswaren, um aus Alltagsritualen Zeremonien zu machen. Jedes Produkt kann durch die Schaffung von Ritualen neue Verwendungsanlässe kreieren oder durch die Nutzung von Ritualen die Ver-wendungsfrequenz erhöhen. So schuf die Marke Actimel neue „Schutz-Rituale“, während die junge Sektmarke Jules Mumm ein bekanntes Ritual, nämlich die „Vorbereitung auf die Balz“, für sich besetzt hat.
Fazit
Rituale erleben eine Renaissance
Rituale und Marken sind wesensverwandt. Sie stehen beide für Ordnung, Sicherheit und Vereinfachung
Rituale schaffen für die Markenführung neue Nutzungsmöglichkeiten durch neue Verwendungsanlässe und höhere Verwendungsfrequenz
Rituale dienen als Inspiration für neue Produkte
„Rituale können auf vielschichtige Weise als Marketinginstrument genutzt werden. Sie schaffen neue Nutzungsmöglichkeiten, liefern Input für die Kommunikation und das Storytelling und können ein Inspirationspool für Produktinnovationen sein. Damit steckt in Ritualen ein riesiges, bislang allerdings kaum genutztes Potenzial für die Markenführung“, kommentiert Franziska Hollmann, Geschäftsführerin von BBDO Berlin.
Der Studiensteckbrief
Die repräsentative Studie wurde Ende 2006 in 26 Ländern mit 5.000 Teilneh-mern per Onlinebefragung durchgeführt. Befragt wurden Großstädter aus allen Alters- und Lebensgruppen (Studenten, Berufstätige, Rentner, Singles, DINKS, Familienmitglieder). Darüber hinaus wurden qualitative Tiefeninterviews in jedem Land geführt (200 allein in Deutschland) und Teilnehmer durch ihren Alltag begleitet. Der Fokus der Untersuchung lag dabei auf Alltags- und Gemeinschaftsritualen.