Dass sich beispielsweise unter dem Areal des Technischen Rathauses und des Archäologischen Gartens ein kompletter U-Bahnhof und eine ausgedehnte Tiefgarage befinden, deren Ausgänge unter den neu zu errichtenden Altbauten liegen und in diese integriert werden müssten(!), wird in der Berichterstattung nicht angemessen erwähnt.
Genauso wenig Aufmerksamkeit erhalten die Hinweise der Denkmalpfleger, dass die Mehrzahl der zerstörten Häuser auf dem Areal des Technischen Rathauses nicht ausreichend dokumentiert ist, um eine ernsthafte Rekonstruktion zu ermöglichen. Anders gesagt: Ihre "Rekonstruktion" würde einer Geschichtsfälschung gleichen. Es scheint, als stießen auch die Architekten auf taube Ohren, etwa wenn sie auf die Sterilität von Bauten hinweisen, die allein Sehnsüchten nach einem bestimmten Aussehen folgend entstehen.
Den Politikern, die die wesentlichen Entscheidungen treffen und für diese Entscheidungen verantwortlich sein werden, sei gesagt, dass wir Gefahr laufen, uns öffentlich lächerlich zu machen. Vergessen wir nicht: Im Augenblick geht es nur um Computersimulationen und Modelle. Im Jahr 2013 aber soll die neue Altstadt fertig gestellt sein. Dann wird nicht zu übersehen sein, ob die Erwartungen erfüllt worden sind oder wir vor einer großen Enttäuschung stehen.
Wenn die Dinge weitergehen wie bisher, ist letzteres zu erwarten. Denn Bauten haben es an sich, die Gefühle zu kommunizieren, die bei ihrer Entstehung dominiert haben. Mangelnde Kongruenz zwischen dem Aussehen, der Nutzung und der Konstruktion beispielsweise werden sofort verraten, dass nicht wahre Liebe die Triebfeder des Ganzen war, sondern es nur um die Linderung von Sehnsüchten nach einer heilen Welt ging. Ein paar an die Fassaden geklebte Bretter etwa würden nur sehr kurz diese Linderung bringen, um dann als das entlarvt zu werden, was sie sind: Kitsch.
Ist es aber wirkliche Liebe zu den alten Konstruktionen, die uns bewegt, kommen wir nicht umhin, mit alten, abgelagerten Hölzern und konsequent nach den Regeln des Handwerks, wie sie im Mittelalter begründet wurden, zu bauen. Das kann sehr schön sein, kostet aber viel Geld, erfordert viel Geduld und vor allem sehr viel guten Willen – nicht zuletzt in Hinblick auf die Befreiungen von geltenden Bauvorschriften.
Um das Herz der Stadt angemessen zu bebauen, muss Folgendes beachtet werden:
- es dürfen ausschließlich Bauten rekonstruiert werden, die aus der Sicht der Denkmalpfleger ausreichend dokumentiert sind;
- die Rekonstruktion muss 1:1, also detailgetreu und ohne konstruktive, funktionale oder formale Kompromisse, das heißt auch ohne Vereinfachungen oder Idealisierungen, erfolgen;
- Häuser, die nicht ausreichend dokumentiert sind, müssen als Neubauten errichtet werden;
- diese Neubauten müssen auf den alten Parzellen und unter Einhaltung der historischen Gebäudehöhen entstehen;
- selbstverständlich muss es sich bei diesen Neubauten um wirkliche Neubauten, wenngleich besonderer Art handeln: Sie müssen von hoher gestalterischer und materieller Qualität, frei von Eitelkeiten und von Individualismus, dem Ort angemessen und zugleich unverkrampfte, selbstbewusste Kinder ihrer Zeit sein.
Die Frage ist, wie man bei den Neubauten am besten und sichersten einen überzeugend ortsgerechten Charakter erreicht. Im Augenblick denkt die Stadt an eine Gestaltungssatzung.
Auch das ist in Frankfurt außergewöhnlich: Politiker, die sich sonst für Liberalisierung, Entbürokratisierung und Deregulierung einsetzen, meinen, wenn es um Städtebau und Architektur geht, über Verbote und Gebote ein lebendiges Quartier herbei reglementieren zu können. Damit liegen sie falsch.
Wie die Erfahrung anderer Städte, allen voran Regensburg, zeigt, führt ein erfolgversprechenderer Weg über die Einrichtung eines Gestaltungsbeirats. Satzungen sind starr und behindern Qualität eher als dass sie sie fördern. Dabei ist Flexibilität angesichts der Notwendigkeit, sowohl Nutzung, Konstruktion, Gestalt als auch den Geist des Ortes in Übereinstimmung zu bringen, dringend geboten. In einer solchen Situation kann nur ein Gestaltungsbeirat mit der notwendigen Flexibilität das jeweils Beste für unsere Stadt ermitteln und erzielen. Rücksichtslose Neubauten haben da ebenso wenig eine Chance wie Geschichtsfälschungen.
Um wirken zu können, muss ein solcher Gestaltungsbeirat unabhängig sein und die Achtung von Politik, Ämtern, Medien und Fachkreisen genießen. Aus diesem Grund wird sich ein Gestaltungsbeirat aus hochkarätigen Persönlichkeiten zusammensetzen müssen, die ausdrücklich nicht in Frankfurt am Main arbeiten, weder in der Politik, noch in der Verwaltung, als Architekten, Planer oder Denkmalpfleger. Einem solchen Gestaltungsbeirat können die Kriterien für die Gestaltung der Altstadt, wie sie derzeit vorbereitet werden, als Leitlinie an die Hand gegeben werden. Doch die Entscheidung, was im Einzelfall das Beste für Frankfurt ist, muss der Gestaltungsbeirat unabhängig entscheiden und verantworten.
Gehen wir diesen Weg, dürfen wir uns zu recht eine neue Altstadt erhoffen, die rücksichtsvoll gegenüber der Geschichte entwickelt wird, ohne den Blick auf die Gegenwart und die Zukunft zu verlieren.
Prof. Michael Schumacher
Landesvorsitzender BDA Hessen
Prof. Dr. Manuel Cuadra
Landessekretär BDA Hessen