Wie im Fall des Ehepaars Siefke aus Münster. Bei Magdalene Siefke (65) kommt es nach jahrelangem Bluthochdruck Ende 2001 zu chronischem Nierenversagen. Ihr Leben ist fortan von der Dialyse abhängig. Anfangs muss sie zweimal, schließlich dreimal wöchentlich für vier Stunden zur künstlichen Blutwäsche. „Das war eine schlimme Zeit, weil ich sah, dass es meiner Frau trotz der Dialyse immer schlechter ging“, so Ulrich Siefke (70). Die Hoffnung, rechtzeitig über die europaweit geführte Warteliste der zentralen Organ-Vermittlungs- und Koordinierungsstelle „Eurotransplant“ eine Spenderniere zu finden, war gering.
Zwar ist die Zahl der Organspenden von Verstorbenen in den vergangenen zehn Jahren stetig gestiegen und hat 2006 den bisher höchsten Stand erreicht. Doch: Auf die Einwohnerzahl in Deutschland gerechnet, bedeutet dies, dass nur 15,3 Menschen pro eine Million Einwohner im Bundesdurchschnitt ihre Organe nach dem Tod gespendet haben. Insgesamt warten in Deutschland derzeit rund 12.000 Menschen auf ein Spenderorgan; über 8000 von ihnen brauchen eine neue Niere. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), der bundesweiten Koordinierungsstelle für postmortale Organspenden, sterben täglich drei Patienten, weil für sie nicht rechtzeitig ein Organ zur Verfügung steht. Die Lebend-Nierenspende kann für Dialysepatienten eine lebensrettende Alternative sein.
Letztlich entscheidet die Ethikkommission
Bei einer Lebend-Nierentransplantation wird die Niere des vorher umfangreich untersuchten Spenders entnommen und dem Empfänger direkt im benachbarten Transplantations-OP-Saal eingesetzt. Das Organ wird somit nahezu ohne Lagerungszeit transplantiert. Dies sichert eine sehr gute Qualität der Spenderniere und damit eine optimale Prognose für den langfristigen Erfolg der Transplantation. So liegen, laut DSO, die Fünf-Jahres-Transplantatfunktionsraten bei der Transplantation von Nieren lebender Spender bei 85 Prozent. Nach der Transplantation von Organen verstorbener Spender beträgt dieser Wert circa 71 Prozent. Die Risiken für den Spender werden von Experten als gering eingestuft – hinsichtlich der Nierenentnahme, eventueller Langzeitfolgen oder einer eigenen Nierenerkrankung. Lebendspenden sind unter nahen Verwandten und einander eng verbundenen Personen zulässig. Neben bestimmten medizinischen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, prüft eine unabhängige Ethikkommission die Freiwilligkeit der Spende und entscheidet letztlich über die Zulässigkeit der Transplantation.
Bis dahin war es für Magdalene und Ulrich Siefke ein langer Weg. Der leitende Regierungsdirektor a. D. erkrankte 2003 an Prostatakrebs und kam deshalb als Spender zunächst nicht in Frage. Die Prostata-Operation und anschließende Genesung mussten abgewartet werden. Schließlich bestätigte ihm ein Gutachten von Professor Dr. Lothar Hertle, Direktor der Urologischen Klinik und Poliklinik am Universitätsklinikum Münster, amtierender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU) die Tauglichkeit als Lebendspender. Umfangreiche Voruntersuchungen in der Klinik für Allgemein- und Transplantationschirurgie des Universitätsklinikums Essen mussten dann zunächst eine Reaktion der Antikörper zwischen dem Blut der Empfängerin und dem des Spenders ausschließen, um die Abstoßung der Spenderniere zu verhindern. „Meine Frau hat die Blutgruppe AB, ich habe Blutgruppe 0“, so Ulrich Siefke. Am 2. Juni 2005 ist es dann endlich soweit: Professor Dr. Dr. h.c. mult. Christoph E. Broelsch setzt Magdalene Siefke in der Essener Transplantationschirurgie die linke Niere ihres Mannes ein. Das Organ wird sofort angenommen.
Transplantation und Rehabilitation verlaufen für Spender und Empfängerin ohne Komplikationen. Ulrich Siefke wird nach neun Tagen aus der Klinik entlassen. „Heute habe ich keinerlei Einschränkungen, brauche keine Medikamente und bin altersgemäß fit“, sagt er. Magdalene Siefke darf das Krankenhaus drei Wochen nach der Transplantation verlassen. Dass sie wieder ein ganz normales Leben führen, ihren Garten versorgen und die Enkeltochter hüten kann, realisierte die 65-Jährige erst ganz langsam. „Ich konnte es anfangs nicht fassen, dass ich nicht mehr zur Dialyse musste“, sagt sie voller Dankbarkeit für ihren Mann.
Geringere Belastung für den Spender
Identische Blutgruppen beziehungsweise Blutgruppenverträglichkeit waren in der Vergangenheit Voraussetzung für eine Transplantation. Erst die Entwicklung neuer medizinischer Technologien und verbesserter Medikamente erlauben heute in bestimmten Fällen sogar die blutgruppeninkompatible Nierentransplantation bei Lebendspenden. Die so genannte ABO-inkompatible Nierentransplantation wurde vor 15 Jahren erstmals in Japan durchgeführt. In Europa wird dieses Verfahren in größerem Umfang von den Universitätskliniken in Stockholm und seit 2004 in Freiburg angewandt. Dabei werden die Blutgruppenantikörper durch eine besondere Blutwäsche aus dem Blut des Empfängers entfernt. Die Nachproduktion dieser Antikörper wird durch spezielle Medikamente verhindert.
Neben der Entwicklung verbesserter Medikamente, die eine Abstoßung des Transplantats verhindern, sorgt die Entwicklung neuer Operationstechniken für den rasanten Fortschritt in der Transplantationsmedizin. So verringert die minimal-invasive Entnahme der Spenderniere mittels Schlüsselloch-Chirurgie die postoperative Belastung für den Spender. Neben der Berliner Charité führt in Deutschland nur das Nierentransplantations-Zentrum Sachsen-Anhalt in Halle routinemäßig die laparoskopische Entnahme einer Niere zur Lebendspende durch. „Die Operationswunde und damit auch die Narbe fallen kleiner aus, die Spender haben weniger Schmerzen und können schon nach vier Tagen die Klinik wieder verlassen“, erklärt Prof. Dr. Paolo Fornara, Direktor des Nierentransplantations-Zentrums Sachsen-Anhalt und Mitglied der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer. Dies könne die Entscheidung für eine Lebendspende erleichtern, so der Urologe aus Halle.
Fazit: Die Transplantationsmedizin arbeitet auf höchstem Niveau, bundesweit sind rund 50 Transplantationszentren zur Organübertragung zugelassen. Die Zahl der Lebend-Nierenspenden steigt. Laut DSO wurden im Jahr 2006 bereits 522 Nierentransplantationen mit Organen lebender Spender durchgeführt. Das entspricht fast 19 Prozent der insgesamt 2776 Nierentransplantationen.
Dennoch droht vielen Menschen auf der Warteliste der Tod. Was fehlt, sind Organe.
Nur zwölf Prozent haben einen Spendeausweis
Mehr Aufklärung durch Bund und Länder ist deshalb gefragt, um die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung zu steigern. Zahlreiche Aktionen zum Beispiel am „Tag der Organspende“, immer am ersten Sonnabend im Juni, werben bereits dafür. Aktuell sprach die DSO kürzlich gemeinsam mit der Techniker Krankenkasse und dem Verein Junge Helden um den deutschen Schauspieler Jürgen Vogel unter dem Motto „Nimm das Schicksal in die Hand“ in Kinospots vor allem junge Menschen an. Bisher haben lediglich zwölf Prozent der Deutschen einen Organspendeausweis, obwohl mehr als 80 Prozent dem Thema grundsätzlich positiv gegenüberstehen.
Mehr Engagement wird von Expertenseite auch von den Kliniken gefordert. Lediglich 45 Prozent der rund 1 400 Krankenhäuser mit Intensivstation in Deutschland unterstützten laut DSO im vergangenen Jahr die Organspende.
Das deutsche Transplantationsgesetz steht ebenfalls in der Diskussion. Das Gesetz, das im Dezember 2007 genau zehn Jahre in Kraft sein wird, sieht eine „erweiterte Zustimmungslösung“ vor. Demnach hat der Wille des Verstorbenen zu Lebzeiten Vorrang. Ist er nicht dokumentiert oder bekannt, entscheiden die nächsten Angehörigen auf der Grundlage des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen. Ob diese Regelung oder die in vielen anderen europäischen Ländern gültige Widerspruchsregel die bessere sei, ist heute so umstritten wie vor einem Jahrzehnt. „Sicher ist nur, dass das Gesetz, zehn Jahre nach in Kraft treten, novellierungsbedürftig ist und in vielen Bereichen dem medizinischen Fortschritt nicht mehr gerecht wird. So bleibt nach wie vor unklar, wie mit Organen Verstorbener ohne Angehörige umzugehen ist, von denen nicht bekannt ist, ob sie Organspender sein möchten oder nicht. Die Überkreuz-Spende zwischen nicht verwandten Personen ist juristisch umstritten, die Nachrangigkeit der Lebendorganspende fraglich. Ganz wichtig ist eine bessere rechtliche Absicherung von Lebendspendern in Bezug auf Nachuntersuchungen, Rehabilitation oder psychosoziale Nachsorge“, sagt Prof. Dr. Paolo Fornara.
Die Überkreuz-Spende beschäftigt auch den Lebendspender Ulrich Siefke. „Vor allem wünsche ich mir eine rechtlich einwandfreie Absicherung zur Ermöglichung der Überkreuzspende und dazu eine noch intensivere Aufklärung in der Bevölkerung, damit mehr Menschen mit einer Organspende geholfen werden kann“, sagt der Münsteraner, der seiner Frau nach über 40 Jahren Ehe ein neues Leben geschenkt hat. Auf dem 59. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. möchte er selber einen Beitrag leisten, um das Thema Organspende verstärkt in die Öffentlichkeit zu rücken und stellt sich dort den Fragen interessierter Journalisten.
Auch Transplantations-Experte Professor Dr. Paolo Fornara steht Medienvertretern im Anschluss an die Eröffnungs-Presssekonferenz des 59. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. am 26. September 2007, 11.30 Uhr im Internationalen Congress Centrum Berlin, Raum 43 zum Interview zur Verfügung.
Terminhinweis:
59. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V.,
26. bis 29. September, Internationales Congress Centrum Berlin
Eröffnungs-Presssekonferenz, 26. September 2007, 11.30 Uhr, ICC Berlin, Raum 43
Anmeldung: http://www.wahlers-pr.de/pk/