Herr Leest, Mobbing ist als Phänomen ja schon lange bekannt. Was macht Cybermobbing so gefährlich?
Cybermobbing bedeutet, dass sich das Mobbing in einen anderen Raum verlagert hat, nämlich in die virtuelle Welt. Und diese Welt birgt besondere Gefahren: Wenn ein Jugendlicher früher in der Schule gemobbt wurde, dann hat das vielleicht eine Handvoll Leute mitbekommen. Jetzt schauen tausende auf facebook und youtube zu und es ist schwierig, die beleidigenden Inhalte wieder aus dem Internet zu löschen. Der vielleicht peinliche Grund für das Mobbing gerät also nicht in Vergessenheit, sondern bleibt für Jahre präsent. Gleichzeitig sinkt auch die Hemmschwelle der Täter, denn sie sind durch ihre Anonymität geschützt. Als Betroffener weiß ich im Zweifel gar nicht, wer mich gerade bedroht oder beleidigt. Der Mobber selbst sieht wiederum nicht, welchen Schmerz er beim anderen anrichtet und kann keine Betroffenheit entwickeln. Das ist anders, wenn ich jemandem ein Bein stelle und er dann vor mir auf dem Boden liegt.
Von welchen Dimensionen reden wir hier? Wie häufig tritt Cybermobbing auf?
Mobbing gibt es überall dort, wo wir uns bewegen: in der Schule genauso wie im Büro oder im Verein. Die meisten gehen davon aus, dass Cybermobbing nur bei Jugendlichen auftritt, aber es sind auch immer mehr Erwachsene betroffen. Im virtuellen Raum kann jeder jeden mobben – der Kleine den Großen, der Schwache den Starken, der Mitarbeiter den Chef. Die natürlichen Kräfteverhältnisse sind außer Kraft gesetzt, und so kommt es, dass viele Opfer auch zu Tätern werden. In der Pubertät ist die Angriffsfläche für Mobbing in der Tat besonders groß. Laut unseren Erhebungen ist etwa jeder fünfte Jugendliche zwischen zwölf und 18 Jahren in Deutschland von Cybermobbing betroffen. Hier ist der häufigste Tatort die Schule. Bei den Erwachsenen ist es etwa jeder Zehnte, meistens im beruflichen Umfeld.
Was sind die Folgen von Cybermobbing für die Opfer?
Das hängt von der Art des Mobbings und von der jeweiligen Veranlagung ab. Wer sich abschottet und mit den Angriffen alleine ist, der hält die Aussagen, die er im Netz über sich liest, irgendwann für wahr. Die ersten Folgen sind, dass man den Raum des Mobbings nicht mehr betreten will – also nicht mehr in die Schule oder ins Büro gehen will und zum Beispiel Krankheiten vortäuscht. Aber bei aggressivem Cybermobbing können auch ernsthafte psychosomatische Störungen wie Essstörungen oder selbstagressives Verhalten eintreten. Oder das Opfer greift zu Drogen, um sich abzulenken. Als letzte Konsequenz kann Cybermobbing sogar zum Suizid führen – auch das hat es schon mehrfach gegeben.
Gilt Cybermobbing denn nicht als Straftat?
Es gibt bislang kein Gesetz gegen Cybermobbing, obwohl wir das schon lange fordern. Natürlich gibt es Straftatbestände wie Beleidigung, Nötigung oder Verleumdung. Aber diese Straftatbestände werden meistens nicht angewandt. Das hat zwei Gründe: Zum einen kennen die meisten Jugendlichen diese Straftatbestände nicht und erstatten daher keine Anzeige. Zum anderen sind Justiz und Polizei für Cybermobbing noch nicht genug sensibilisiert – und sie sind auch personell völlig überfordert. Selbst wenn Anzeige erstattet wird, passiert danach meist gar nichts. Das bedeutet de facto, dass die Gesellschaft diese Taten nicht bestraft. Wir setzen im Internet keine Grenzen.
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