Ist es nicht ganz so steil, braucht Felix Sauter für die 1,5 Hektar große Wiese gut drei Stunden. Dann ist das Gras aber nur geschnitten. Per Hand muss es zum Trocknen gekreiselt und ausgebreitet werden, bevor es zwei Tage später auf den Spezialtransporter geladen wird. Mit diesem Gefährt kann Sauter zwar Steigungen bis zu 35 Prozent bewältigen, aber die Arbeit damit in den Steilhängen ist gefährlich: "Jedes Jahr verunglücken 10 bis 15 Menschen dabei tödlich", erzählt der Bauer, Vater dreier Kinder.
EU-Gelder für Landschaftspflege
Unten im Tal, wo die schmale Straße hinauf zum Vernagt-Stausee führt, legen die Biokreis-Bauern auf ihrer Lehrfahrt die Köpfe in den Nacken, verfolgen mit den Augen jede seiner Bahnen. Allein dort hinauf zu marschieren würde viele schon ganz schön zum Schnaufen bringen. "Warum machen die Südtiroler das, warum verrichten sie für relativ wenig Ertrag so schwere Arbeit?" fragen sie sich. Oben im Hang gibt Felix Santer die Antwort: "Jeder Bauer hier lebt zu drei Vierteln von EUFördergeldern. Wir pflegen die Landschaft für die Allgemeinheit und für den Tourismus." Und in der Tat: Fremdenverkehr und Landwirtschaft sind eng verknüpft in Südtirol. Würde die Landschaft verwildern, kämen keine Touristen mehr. Dann bräuchte man auch keine Hotels mehr, und viele Arbeitsplätze im Tourismussektor gingen verloren, sagen Landwirte und Hoteliers.
Käse für die umliegenden Hotels
Das bestätigt die gebürtige Berlinerin Petra Tappeiner, die vor 26 Jahren in den denkmalgeschützten Oberniederhof in Unser Frau einheiratete. Meist führt sie Schulklassen und landwirtschaftliche Laien durch ihren auf 1500 Meter Meereshöhe gelegenen Bio-Betrieb, heute hat sie deutsche Kollegen zu Gast. Die Führungen und zwei Ferienwohnungen im 700 Jahre alten Bergbauernhof, der fast aussieht wie im Museumsdorf, sind zwei ihrer Standbeine. Eine weitere Einkommensquelle neben den EU-Förderungen haben sie und ihr Mann in den zwölf Kühen der robusten Rasse Tiroler Grauvieh, die noch auf der Alm stehen. Aus deren Milch macht Petra Tappeiner Käse, Quark und Joghurts, mit denen sie umliegende Hotels beliefert. Zum Beispiel unseres, das Panorama Hotel Goldenes Kreuz im Schnalstal, nur fünf Minuten weiter.
Modern leben und arbeiten
Zwei Stunden mit dem Bus entfernt, in St. Jakob im Ahrntal, lebt Biobauer Walter Steger mit seiner Familie. Sein Haus aus dem Jahr 1725 Jahre hat zwar auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel, aber wie in einem Museumsdorf sieht es dort nicht aus. Eher futuristisch: Eine Ummantelung aus Glas hüllt das alte Gebäude ein wie eine Käseglocke, macht es winddicht und die Wohnfläche größer. "Altes erhalten, modern leben", ist die Devise von Walter Steger und seiner Frau. Modern hält er es auch in der Landwirtschaft mit 50 Hektar: In seinem 1992 gebauten Laufstall hat er Platz für 44 Milchkühe und Jungvieh - und für einen Melkroboter. 2007 baute er eine neue Heuhalle mit einer Photovoltaikanlage und mit Heubelüfter. Doch nicht nur in der landwirtschaftlichen Produktion ist er auf aktuellem Stand: In der Ahrntal Natur GmbH engagiert er sich auch für die Vermarktung hochwertiger, heimischer Produkte vor Ort, in Südtirol, nach Österreich, Norditalien und sogar nach Schweden.
Entschleunigung im Buschenschank
Die Globalisierung spürt auch Obstund Weinbauer Christian Pinggera, den wir in Algund im Ortsteil Oberplars (450 Meter ü.NN) besuchen. "Alles wird schneller", sagt er, "aber es gibt eine Gegenbewegung. Wir müssen auf die Gegenbewegung aufspringen." Sein Bio-Buschenschank, übrigens Südtirols "Bäuerlicher Schankbetrieb des Jahres 2010", ist das beste Beispiel dafür. Als wir bei sommerlichen Temperaturen unter der Weinlaube vorm Haus sitzen und uns vom Chef persönlich mit feinstem Speck, gefüllten Knödeln und süffigem Wein bewirten lassen, bleibt für uns einen halben Tag lang die Zeit stehen. "Mein Buschenschank wirkt entschleunigend", sagt Christian. Dabei ist er täglich bis spät nachts auf den Beinen, räuchert Fleisch, pflanzt neue Apfelsorten, pflegt den Wein und bewirtet seine Gäste, deren Namen er sich merkt. Aber er sieht das nicht als Arbeit, sondern als Lebensinhalt.