"Baut Euch Eure eigene Welt, Ihr seid die Zukunft!", so begann ElBaradei seine Ansprache an die Studierenden der BiTS, die die Veranstaltung eigenständig organisieren und durchführen. "Die Herausforderungen heute sind größer denn je." ElBaradei, der 2005 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, sprach über das iphone, Facebook und Twitter, über die heutigen Kriege, über die weiterhin bestehende Bedrohung durch die Nuklearwaffen - "Sie sind noch immer da!" -, die EU, die Wall Street und immer und immer wieder über die Zukunft und die damit verbundenen Herausforderungen. "Die Effekte der Armut sind real. Menschen verlieren ihr Zuhause, ihre Familie, ihren Selbstrespekt. Dies ist oft der Ursprung für Krieg und Extremismus. Wir müssen als erstes verstehen, wie sehr wir heute miteinander verbunden sind - als Chance und auch als Risiko. Globale Kooperationen sind nötig, die regionalen Grenzen müssen gedanklichen Grenzen weichen. Der Frieden ist global."
Im Anschluss an seine ergreifende Rede in der imposanten Zeltstadt sprach er mit Tanit Koch, Vize-Chefredakteurin der BILD. Deren erste Frage war, ob ElBaradei so wie 11 Millionen Briten am Morgen in den ersten 5 Minuten nach dem Aufwachen sein Handy zücke, um die neuesten Nachrichten zu checken. ElBaradei lachte und musste zustimmen: "Ja, so einer bin ich auch! Du musst ja wissen, was los ist." fügte jedoch gleich hinzu: "Doch je mehr Du weißt, desto mehr denkst Du 'Irgendwas läuft falsch'", wofür er sofort Applaus erntete. "In Indien haben die Menschen mehr Handys als Toiletten", fuhr er fort. "Sind wir da in der richtigen Richtung unterwegs? Früher haben wir doch auch ohne Iphone leben können."
Koch ging auf die aktuellen Themen ein, fragte ElBaradei, ob die muslimischen Länder selbst genug täten, um Extremisten in ihren Ländern keinen Raum zu lassen. "Nein", sagte ElBaradei. "Das tun sie nicht. Aus meiner Sicht ist kein Mensch von allein Extremist. Man muss deren Umfeld ändern. Es gibt diese Menschen, weil sie sich über irgendetwas ärgern, sich ungerecht behandelt fühlen. Das ist der Ursprung." Die Frage, ob westliche Länder der IS Lösegeld für Geiseln zahlen sollten, sah er unklar. Es käme sehr auf die Umstände an, es gelte immer Leben zu retten, er selbst, würde bis ans Ende der Welt gehen, um einen Menschen zu retten. Bezogen auf Nord-Korea, das gerade wieder ein Atom-Werk aktiviere, so Koch, sagte ElBaradei: "Wir haben zu viele Bad Guys im Moment, wobei ich uns da nicht ausschließe. Wir handeln nur anders, halten aber auch Gelder zurück. Die Menschen sterben noch an Aids, obwohl es Medikamente gibt - ist das der bessere Weg?" Er, so seine Antwort auf die nächste Frage Kochs, als Jurist sehe die Politik als die richtige Plattform für Akademiker. "Politik braucht Ethik. Ich habe meine Nische hier gefunden. 50% der Bevölkerung sind unter 25 Jahre alt, das ist die Zukunft, sie werden alles übernehmen. Sie denken anders, aber wir können ihnen alles sagen, was wir bis jetzt schon wissen und unsere Erfahrungen weiter geben."
Ein Nobelpreisträger in Iserlohn - auch darauf ging Koch natürlich noch ein und fragte: "Wie haben Sie sich gefühlt, als sie erfuhren, dass Sie den Nobelpreis gewinnen?" ElBaradei lächelte und beschrieb die Situation: "Ich saß mit meiner Frau zu Haus, wir konnten nicht vor Ort dabei sein und haben die Verleihung im Fernsehen gesehen. Als wir es dort erfuhren, haben wir geweint vor Freude, es war ein sehr emotionaler Moment." Und weiter: "Mein Sohn arbeitete zu dieser Zeit bei CNN in London und schickte mir nur eine Nachricht, in der "Oh, my God!" stand. Er hatte 50 Pound in seiner Hosentasche und rannte sofort raus und schenkte sie dem ersten Heimatlosen, den er traf."
Nach Condoleezza Rice, Bill Clinton und Tony Blair hat das goldene Buch Iserlohn nun eine weitere prominente Unterschrift, die eines Kämpfers für eine menschlichere Gesellschaft: Dr. Mohamed ElBaradei.
Hintergrund zu ElBaradei
Dr. Mohamed ElBaradei hat in seinem Amt als Generaldirektor der Internationalen Atom-Energieorganisation (IAEO) wie kaum ein anderer Diplomat an so vielen Orten der Erde für eine Welt ohne Atomwaffen gekämpft und ist Zeuge des 'Arabischen Frühlings' in seinem Geburtsland Ägypten.
Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität von Kairo, einigen Jahren Mitarbeit im ägyptischen Außenministerium und seiner Promotion an der New York University School of Law, verließ der heute 71 Jahre alte Dr. ElBaradei seine Heimat und wechselte 1980 zu den Vereinten Nationen. Schon vier Jahre später trat der Ägypter der Internationalen Atom-Energieorganisation (IAEO) an, deren Generaldirektor er zwischen 1997 und 2009 war. In seine Amtszeit fiel die Besetzung des Iraks durch die USA und sein Kampf gegen die Bush-Administration, die von ihm die Bestätigung eines geheimen iranischen Atomwaffenprogramms forderte. 2004 wurde bekannt, dass Dr. ElBaradei systematisch von amerikanischen Geheimdiensten abgehört wurde. Ein Jahr später erhielt er den Friedensnobelpreis für seine Bemühungen, die Nutzung der Atomenergie für militärische Zwecke zu verhindern.
2010 wurde Dr. Mohamed ElBaradei für sein Handeln auch vom ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet - im selben Jahr übrigens wie Vitali Klitschko. Gleichzeitig begann Dr. ElBaradeis Kampf für demokratische Reformen in seinem Heimatland Ägypten. Als Hoffnungsträger kündigte er nach dem Ende des Mubarak-Regims seine Kandidatur für die Präsidentschaft an, zog sie aus Protest gegen die ägyptischen Militärmachthaber, die keine freien Wahlen ermöglichen könnten, wieder zurück. "Mein Gewissen erlaubt es mir nicht, als Präsident zu kandidieren, solange dies nicht innerhalb eines echten demokratischen Systems geschieht", sagte er zur politischen Lage. 2013 nach dem Ende der Mursi-Regierung wurde Dr. Mohamed ElBaradei dann zum ägyptischen Vizepräsidenten gewählt, trat aber nur einen Monat später zurück, weil er erneut absolut gegen die Entscheidungen der Regierung war.
Derzeit lebt Dr. ElBaradei in Wien und unterstützt von dort den Kampf für positive Veränderungen in seinem Heimatland und eine sichere Welt, die frei von Atomwaffen ist und Werte wie Gleichberechtigung und Mitgefühl lebt.