Eine Betreuung zuhause ziehen die meisten Menschen einem Umzug ins Heim vor. Die Prioritäten der deutschen Pflegepolitik heißen „ambulant vor stationär“. Viele Pflegebedürftige sind auf eine Versorgung rund um die Uhr angewiesen, etwa bei starker Pflegebedürftigkeit oder hohem Betreuungsbedarf. Finanziert werden kann dieser Service aber schon lange nur durch ausländische, unterbezahlte Pflegekräfte.
Wenn jetzt die Gerichte berechtigterweise den Mindestlohn auch für die ausländischen Arbeitskräfte und für deren Bereitschaftszeiten einfordern, wird für viele Pflegebedürftige eine 24-Stunden-Betreuung unbezahlbar. Sie geraten in eine existentielle Notlage und können die Pflege zuhause höchstens noch aufrechterhalten, indem sie die ausländischen Pflegekräfte illegal beschäftigen. Bereits vor dem Urteil war ein hoher Anteil der geschätzt 600.000 Betreuungskräfte schwarz beschäftigt.
Eine ausreichende Anzahl von ortsnahen Pflegeheimplätzen könnte den Bedarf auffangen. „Doch wenn sich jetzt noch mehr Menschen einen Heimplatz suchen, bricht das System vollends zusammen“, sagt Manfred Stegger, Vorsitzender des BIVA-Pflegeschutzbundes. Es fehle längst in weiten Teilen des Landes an Heimplätzen. Eine Auswahl zwischen verschiedenen Heimen können jetzt schon die wenigsten treffen. Damit sei das marktwirtschaftliche Prinzip für die Pflegebedürftigen als mündige Kunden, die auswählen könnten, weitgehend ausgehebelt. „Wenn der Bedarf nach Heimplätzen jetzt weiter wächst, werden viele Menschen sogar leer ausgehen“.
„Das bestehende Pflegeangebot in Deutschland entspricht längst nicht den Bedürfnissen der Menschen“, sagt Stegger. Die Gesetzgeber in Bund und Ländern sollten die Augen davor nicht länger verschließen. Es fehle an finanzierbarer ambulanter 24-Stunden-Betreuung und an einer ausreichenden Zahl guter Heimplätze. „Bund und Länder müssen in die Pflege deutlich mehr investieren.“
Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt, Aktenzeichen 5 AZR 505/20