Sport und Sportwetten gehören nicht zusammen
Dies begrüßen die Mitarbeiterinnen der Fachstelle Sucht des Blauen Kreuzes in Hagen, Ulrike Schweitzer und Stefanie Bentin, vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen in der Beratung und Behandlung von Menschen, die an einer Sportwettsucht erkrankt sind. Sport, egal ob Leistungs- oder Breitensport, transportiert soziale Werte wie Teamfähigkeit, Fairness, Respekt und einen angemessenen Umgang mit Siegen oder Niederlagen. Sport wird auch mit den Eigenschaften „gesundheitsförderlich“, „erwünscht“ und „leistungssteigernd durch Training“ verbunden. Sportwetten haben mit diesen Werten nichts zu tun – auch wenn uns die Werbung dafür eine Nähe zum Sport, besonders dem Fußball vermitteln will. Menschen zum Wetten zu verleiten und daraus Geld zu machen ist das Ziel der Sportwettanbieter. Die Darstellung von Sportwetten als weitgehend risikoloses, „normales“ Hobby fördert die Wahrnehmung einer allgegenwärtigen Freizeitbeschäftigung. Die Sportwettbranche spricht selbst davon, dass Sportwetten in der „Mitte der Gesellschaft“ angekommen seien. Wie einfach ist es, schon Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, dass Sport und Sportwetten zusammengehören, wenn sich z. B. der Sportverein auf einen Sponsor der Sportwettbranche für die Beschaffung der Trikots einlässt und die Werbung auf der Sportkleidung bei jedem Training und Spiel hervorsticht. Sportwetten werden auf diese Weise normalisiert und glorifiziert. Durch die Fülle an Werbung werden Hemmschwellen gesenkt, Spielbedürfnisse geweckt und unrealistische Gewinnerwartungen gefördert. Gerade Minderjährige sind besonders empfänglich für Werbebotschaften. Hinzu kommt, dass der Jugendschutz sowohl bei Wettangeboten vor Ort, bei Übertragungen von Spielen im Fernsehen und im Internet bei weitem nicht lückenlos umgesetzt wird. Bekannt ist: Je früher der Erstkontakt im Lebenslauf erfolgt, desto wahrscheinlicher ist eine spätere Glücksspielproblematik.
Die Hälfte der Sportwetten betreibenden Menschen werden glücksspielsüchtig
Die Hälfte der Sportwetten betreibenden Menschen werden glücksspielsüchtig. Darunter sind Mitglieder von Sportvereinen besonders häufig von glücksspielbezogenen Problemen betroffen, wie Studien gezeigt haben.
„Glücksspielsüchtige leben am Anfang der Beratung oft in der Illusion, die eigenen Kinder würden nichts von ihrem Problem mitbekommen. Es wird dann gesagt, die Kinder wissen nichts von den Geldproblemen der Familie. Sie sind ja nicht dabei, wenn in der Spielhalle gespielt oder am Handy ein Tipp abgegeben wird. Das ist ein Selbstschutz. Es würde ja alles noch schlimmer machen, wenn sich die Betroffenen klarmachten, wie sehr die eigenen Kinder unter ihrer Spielsucht leiden. Diese Einsicht kommt allerdings später, wenn sich die Spielenden mit ihrer Sucht ernsthaft auseinandersetzen“, so die Suchttherapeutinnen Ulrike Schweitzer und Stefanie Bentin. Durch viele Gespräche mit Spielerinnen und Spielern und deren Angehörigen haben sie sich ähnelnde Geschichten erzählen lassen. Hier exemplarisch zwei Berichte von erwachsenen Kindern Glücksspielsüchtiger:
Hr. P, 54 Jahre: „Mein Vater machte Glücksspiele, solang ich denken kann, deswegen gab es auch oft Streit zu Hause. Als ich sechs Jahre alt war, nahm mein Vater mich jeden Sonntag mit in die Kneipe und setzte mich vor die Automaten. Er traf sich mit Bekannten, trank Bier und sah mir von weitem zu, spielte zwischendurch mit. Das war damals ganz normal so in den 70-ern. Ich liebte das Leuchten der Automaten, das Tuten und Klingeln, die Töne und war begeistert, wenn ich etwas rausgeholt hatte. Es hat mein Leben wahrscheinlich geprägt. Heute bin ich ein Zocker, habe mein Leben ruiniert. Das Zocken hat meine Persönlichkeit geraubt, Freundschaften und Beziehungen gar nicht erst aufkommen lassen. Ich wollte andere nicht mit meinem Mist belasten, so bin ich allein geblieben, habe keine Frau und keine Kinder. Ich habe mein Leben ruiniert, es bleiben nur noch Depression und Einsamkeit.“
Fr. W, 61 Jahre: „Es gab ein großes Geheimnis, was meine ganze Kindheit und Jugend über unserer Familie schwebte. Es hatte irgendwas mit Geld zu tun. Wir hatten keines, aber meine Eltern, besonders mein Vater, ein angesehener Bauunternehmer, verhielten sich nach außen so, als ob viel davon da wäre. Aber zuhause musste es immer das Günstigste sein, es gab nicht genug von der benötigten Kleidung, Geld für die Teilnahme an dem, was andere Kinder so in ihrer Freizeit machten, Spielzeug. Wir Kinder, meine Schwester und ich, waren ein Kostenfaktor, den es galt, niedrig zu halten. Ich fühlte mich nicht gewollt, genug gesehen. Insgesamt war ich unsicher, kaute Fingernägel und litt unter einem geringen Selbstwertgefühl. Oft war ich traurig und hatte Bauchschmerzen. Ich hatte Schwierigkeiten, schreiben und lesen zu lernen, es gab von zuhause aus keine Unterstützung. Oft war mein Vater tagelang verschwunden und wenn er wieder auftauchte, war er gereizt und aggressiv.“
Erst als junge Frau erfährt Fr. W., heute medizinische Fachangestellte, durch den finanziellen Ruin ihrer Eltern, dass ihr Vater jahrzehntelang am Glücksspiel teilgenommen und sich schon früh verschuldet hatte. Unendlich groß war ihr Schuld- und Schamgefühl, obwohl sie keine Verantwortung für das Problem hatte. Vieles um das Geheimnis ihrer Kindheit klärte sich und doch blieben viele Fragen offen. Ihr Vater sprach Zeit seines Lebens nie mit ihr darüber. Körperliche und psychische Probleme blieben als Folgen des Erlebten zurück. Fr. W. brauchte psychotherapeutische Unterstützung. Die Erlebnisse von Herrn P. und Frau W. sind kein Einzelfall in Deutschland.
2,4 Mio. Kinder in Deutschland sind von den Auswirkungen und Folgen des Glücksspiels innerhalb der Familie betroffen
2,4 Mio. Kinder in Deutschland sind laut Landesfachstelle Glücksspielsucht NRW von den Auswirkungen und Folgen des Glücksspiels innerhalb der Familie betroffen, das sind hochgerechnet 5.500 Kinder in Hagen (NRW), um ein Beispiel zu nennen. Um eine Vorstellung von dieser hohen Zahl zu bekommen: 5.500 Kinder füllen 220 Schulklassen und Kindergruppen à 25 Kindern, und dies allein in Hagen. Das Risiko für Kinder, die mit einem glücksspielsüchtigen Elternteil aufwachsen, später selbst an einer Sucht zu erkranken ist etwa zehnmal höher als bei Gleichaltrigen ohne eine derartige Problematik in der Familie.
Regelmäßig nehmen die Mitarbeitenden des Blauen Kreuzes der Fachstellen Hagen und München an den jährlichen Aktionstagen gegen Glücksspielsucht teil, klären auf und machen mit Aktionen auf die Problematik aufmerksam.
Weitere Informationen und Fakten unter: https://buendnis-gegen-sportwettenwerbung.de/