Gibt es eine entsprechende Obliegenheit?
Vom BGH bislang nicht entschieden ist die Frage, ob der Anleger grob fahrlässig die den Anspruch begründenden Umstände etc. nicht kennt, wenn er die jährlichen Geschäfts- bzw. Rechenschaftsberichte, die bei einem geschlossenen Immobilienfonds, einem offenen Immobilienfonds, einem Medienfonds oder Schiffsfonds von der Fondsgeschäftsführung erstellt und zur Verfügung gestellt werden, nicht zur Kenntnis nimmt, falls sich dort entsprechende Hinweise auf eine schlechte Entwicklung des Fonds finden.
Pro und Kontra zur Obliegenheit:
Für die Bejahung von grober Fahrlässigkeit könnte sprechen, dass es zweifelsohne im Interesse des Anlegers ist, diese Berichte zu lesen. Es wird umfassend die Situation des geschlossenen Immobilienfonds, Medienfonds oder Schiffsfonds dargestellt.
Dagegen kann sprechen, dass die jährlichen Geschäftsberichte der geschlossenen Immobilienfonds, Medienfonds oder Schiffsfonds nicht die Funktion haben, den Anleger über mögliche Schadensersatzansprüche zu informieren. Vielmehr soll die wirtschaftliche Entwicklung der Kapitalanlage dargestellt werden. Der Anleger kann daher nicht damit rechnen, dass er aufgrund dieser Berichte Informationen erhält, die zeigen oder zumindest darauf schließen lassen, dass er vor Abschluss der Kapitalanlage nicht ordnungsgemäß beraten bzw. aufgeklärt worden ist. Dieser Umstand spricht dafür, dass es nicht grob fahrlässig ist, wenn der Anleger die Geschäftsberichte nicht zur Kenntnis nimmt.
Darüber hinaus können einzelne Pflichtverletzungen in der Regel nur durch den Abgleich mit den Angaben im Emissionsprospekt herausgearbeitet werden, indem Abweichungen zwischen den Angaben im Emissionsprospekt und den Angaben in den Geschäftsberichten festgestellt werden. Der Anleger ist aber nicht verpflichtet, den Emissionsprospekt im Nachhinein zur Kenntnis zu nehmen. Dann muss das Gleiche auch in Bezug auf die jährlichen Geschäftsberichte gelten, wenn diese unter dem Aspekt einer Pflichtverletzung nur zusammen mit dem Emissionsprospekt die erforderliche Kenntnis verschaffen können.
Da nach der Rechtsprechung der Gerichte den Gläubiger generell keine Obliegenheit trifft, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Nachforschungen zu betreiben, kann es jedenfalls nicht als grob fahrlässig im Sinne des § 199 Abs. 1. Nr. 2 BGB gewertet werden, wenn der Anleger eines geschlossenen Immobilienfonds, Medienfonds oder Schiffsfonds sich nicht fortlaufend anhand der jährlichen Geschäftsberichte über die wirtschaftliche Entwicklung seiner Beteiligung informiert.
Gerichte haben dem Anleger auch zugesprochen, dass es bei den verschiedenen Fonds um hochkomplexe Anlageformen handelt. Einen Anleger mit einer allgemeinen Unerfahrenheit bei Fondsmodellen ist es ohne anwaltliche Beratung schlicht nicht möglich über die anspruchs-begründenden Umstände und der Person des Anspruchsgegners Kenntnis zu erlangen. Für einen anlageunerfahrenen und auch nicht anderweitig vorabinformierten Anleger ist es regelmäßig nicht möglich, ohne weitere Beratung die komplexe Materie eine Kapitalanlage in einen geschlossenen Immobilienfonds, Medienfonds oder Schiffsfonds zu durchdringen.
Anders könnte der Fall liegen, wenn die diesbezügliche Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht (vgl. BGH - Urteil vom 23.1.2007 - XI ZR 44/06).
Denn grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 2 Nr. 2 BGB liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt oder das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. So zum Beispiel, wenn sich dem Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben und er leicht zugängliche Informationsquellen nicht genutzt hat.
Es ist aus den oben genannten Gründen nicht völlig unverständlich, wenn der Anleger, der davon ausgeht, vor Abschluss der Beteiligung ordnungsgemäß beraten bzw. aufgeklärt worden zu sein, seinen Anlageentschluss nicht mehr fortlaufend auf seine Richtigkeit hin überprüft, solange er keine konkreten Anhaltspunkte hat, dass sich aus den jährlichen Geschäftsberichten etwas anderes ergeben könnte. Darüber hinaus wird bei vielen Beteiligungen ja auch gerade damit geworben, dass sich der Anleger um nichts kümmern müsse - so z. B. in dem Fall, dass die Beteiligung gegen Entgelt treuhänderisch gehalten wird. In diesen Fällen kann erst recht nicht davon ausgegangen werden, dass den Anleger die Obliegenheit trifft, die jährlichen Geschäftsberichte auszuwerten.
Im Ergebnis kann es dementsprechend nicht als grob fahrlässig gewertet werden, wenn der Anleger die jährlichen Geschäftsberichte nicht durchliest.
Fazit
Die Rechtsprechung des BGH zur Anwendung der Verjährungsvorschriften des BGB kann zusammenfassend dahingehend beschrieben werden, dass die land- und oberlandesgerichtliche Rechtsprechung, die in Anlegerprozessen bei typischen Fallkonstellationen zur Bejahung der Verjährung von sämtlichen Schadensersatzansprüchen des Anlegers geführt hat, seit dem Jahr 2007 fast vollständig revidiert worden ist.
Ausgehend von der Rechtsprechung des BGH trifft den Anleger nicht die Obliegenheit, die jährlichen Geschäfts- bzw. Rechenschaftsberichte, die er im Zusammenhang mit der gezeichneten Kapitalanlage erhält, zur Kenntnis zu nehmen.
Für weitere Informationen können sich Fondsanleger der BSZ e.V. Interessengemeinschaft ,,Fondsbeteiligungen Rückabwicklung" anschließen.