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In „Permanent Record“ erzählt der Whistleblower Edward Snowden seine Geschichte

buchszene.de Bestseller-Check: Er tauschte sein freies Leben auf Hawaii gegen ein geheimes in einer Wohnung in Moskau. „Permanent Record“ ist die Geschichte des Edward Snowden, der Amerikas Massenüberwachung öffentlich machte.

(lifePR) (München, )
Von der US-Regierung verfolgt, von Menschenrechtlern gefeiert

Was ist das für ein Typ, der sein junges, freies Leben wegwirft, um die Menschheit darauf aufmerksam zu machen, dass ihre Daten und Privatsphäre gerade aufs Gröbste missbraucht werden? Wer mit dieser Frage an die Lektüre von Edward Snowdens „Permanent Record – Meine Geschichte“ herangeht, bekommt seine Frage zu großen Teilen beantwortet. Edward Snowden ist der Computerexperte, der eine riesige Datenmenge aus den digitalen Archiven der Geheimdienste der US-Regierung herausschmuggelte und Journalisten zur Veröffentlichung zur Verfügung stellte. Von der amerikanischen Regierung wird er als Verräter und Staatsfeind verfolgt, aber von vielen anderen als Whistleblower und Verteidiger der Menschenrechte gefeiert.

Wie wird einer vom Nerd zum Geheimagenten und Whistleblower?

In „Permanent Record“ erzählt Edward Snowden, wie er vom Computer-Nerd und jugendlichen Hacker, vom Spion und Geheimagenten zum Bekämpfer der staatlichen Massenüberwachung und des unternehmerischen Überwachungskapitalismus wurde. Er berichtet von seiner Zeit bei der CIA und NSA. Und er lässt uns teilhaben an dem Moment, an dem er begriff, was gerade – verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit – passierte und im Großen und Ganzen noch immer passiert: „Unsere Interessen, unsere Aktivitäten, unsere Aufenthaltsorte, unsere Sehnsüchte – alles, was wir wissentlich oder unwissentlich von uns preisgaben, wurde überwacht. Unser Daten wurden verkauft, heimlich, damit wir möglichst lange nicht merkten, dass wir ausgebeutet wurden. Die Überwachung wurde von Regierungen, die nach unendlich vielen Informationen gierten, aktiv gefördert und sogar finanziell unterstützt.“

9/11 war auch in Sachen Datensicherheit ein Wendepunkt

Seine Kindheit mit zwei Eltern, die beide für den amerikanischen Staat arbeiteten und in diesem Rahmen eine Top-Secret-Freigabe erhalten hatten, lässt er ebenso Revue passieren wie seine durchschnittlichen Erfolge als Schüler und seine frühen Computer-Erfahrungen: Sein erstes Mal war mit einem Compaq Presario 425, Listenpreis 1399 US-Dollar, gekauft vom Vater mit einem Militärrabatt. Aufgestellt wurde der PC „anfangs – sehr zum Missfallen meiner Mutter – mitten auf dem Tisch im Esszimmer. Von dem Augenblick an, als er auf der Bildfläche erschien, waren der Computer und ich unzertrennlich.“ Später wurde Edward Snowden Webdesigner und schließlich kam der 11. September 2001. Für ihn der erste Tag einer neuen Ära. Im Rückblick hätte sein Land, so formuliert es Edward Snowden, viel aus dieser Chance machen können. „Es hätte den Terrorismus nicht als religiöses Phänomen behandeln können, sondern als das Verbrechen, das es war. Es hätte diesen seltenen Moment der Solidarität dazu nutzen können, die demokratischen Werte und den Widerstand in der jetzt geeinten Öffentlichkeit zu stärken. Stattdessen zog Amerika in den Krieg.“

Eines Tages stieß Edward Snowden auf ein Dokument, das ihn verstörte

Edward Snowden lernte seine Freundin Lindsay kennen – jene Frau, die er Jahre später ohne jede Vorankündigung verlassen würde, um das größte Datenleck der amerikanischen Geschichte zu verursachen. Und er begann, während seiner Arbeitszeit die gigantischen Datenarchive der CIA und, nach einem Jobwechsel, der NSA zu durchforsten. Eines Tages stieß er auf ein Dokument, das ihn verändern sollte: „Vor mir lag alles, was man in den Reportagen, die ich gelesen hatte, nicht finden konnte und was in den Gerichtsverhandlungen, die ich verfolgt hatte, bestritten worden war: die vollständige Darstellung der geheimsten Überwachungsprogramme der NSA sowie die behördlichen Weisungen und Taktiken des Justizministeriums, die man genutzt hatte, um das US-amerikanische Recht zu unterwandern und gegen die Verfassung der USA zu verstoßen.“ Edward Snowden war sofort eines klar: Die in dem Dokument beschriebenen Aktivitäten waren so zutiefst kriminell, dass keine Regierung jemals zulassen würde, es zu veröffentlichen.

Auf Hawaii begann Snowden, gezielt geheime Beweise zu sammeln

Nach einem weiteren Positionswechsel arbeitete Edward Snowden auf Hawaii. Hier begann er gezielt Material in den geheimen Datenbanken zu sammeln, das bewies, wie sehr die amerikanischen Geheimdienste ihre und die Bürger anderer Länder ausspionierten und damit die Verfassung missachteten. Denn in letzterer stehe sinngemäß, so Edward Snowden: „Wenn Beamte in Deinem Leben herumwühlen wollen, müssen sie zuerst vor einen Richter ziehen und unter Eid einen hinreichenden Verdacht belegen.“ Die Überwachungsprogramme der NSA, findet der Autor, „verhöhnen den gesamten Verfassungszusatz.“

Diese Passage von „Permanent Record“ ist die spannendste

Ein Whistleblower sei für ihn eine Person, die durch bittere Erfahrung zu dem Schluss gekommen sei, dass ihr Leben innerhalb einer Institution sich nicht mehr mit den Prinzipien vertrage, die sie in der Gesellschaft außerhalb dieser Institution entwickelt habe. Edward Snowden wurde zum Whistleblower. Nachdem er alle Dokumente, die er für nötig hielt, um der Welt den Datenmissbrauch durch die US-Regierung zu beweisen, heruntergeladen hatte, plante er seine Flucht. Diese Passage von „Permanent Record“ gehört zu den spannendsten des gesamten Buchs. Edward Snowden nahm Kontakt mit der Dokumentarfilmerin Laura Poitras und mit dem Bürgerrechtsanwalt und Guardian-Kolumnisten Glenn Greenwald auf. Das war kompliziert, denn er konnte die beiden lediglich über verschlüsselte Wege kontaktieren und durfte zudem seinen Namen nicht nennen. Glaubt ein angesehener Journalist einer solchen Quelle?

Edward Snowden belog seine Freundin und floh nach Hongkong

Irgendwann ist es so weit. Edward Snowden verabschiedet sich von seiner Freundin Lindsay, die zu einem Campingausflug loszieht und keine Ahnung hat, dass er nach ihrer Rückkehr nach Hongkong geflohen sein wird: „Sobald sie zur Tür hinaus war, fing ich zum ersten Mal seit Jahren an zu weinen.“ In Hongkong verbarrikadiert er sich in seinem Hotelzimmer. Zehn Tage verlässt er es nicht, aus Angst, ein ausländischer Spion könnte sich einschleichen und es verwanzen. Dann reisen Laura Poitras und Glenn Greenwald an und es entsteht ein Video, das ab 9. Juni 2013 um die Welt geht. „Von dem Moment an, war ich gebrandmarkt. Auf meinem Rücken prangte eine Zielscheibe. Ich wusste, dass mich die Institutionen, die ich kompromittiert hatte, mitleidlos jagen würden.“ So ist es bis heute. Edward Snowden lebt mittlerweile inkognito in Moskau. Auch von seinem gegenwärtigen Alltag mit Hüten und Schals als Tarnung und gelegentlichen Heimweh-Besuchen beim amerikanischen Buletten-Brater Burger King erzählt er in „Permanent Record“.

Letztlich ist „Permanent Record“ ein Aufruf an unser aller Verantwortung

Relativ am Ende seines Buchs wechselt Edward Snowden in die Form des Plädoyers: „Wenn wir den Anspruch auf unsere Daten jetzt nicht zurückfordern, wird es für unsere Kinder vielleicht zu spät sein. Dann werden sie und ihre eigenen Kinder selbst in der Falle sitzen: Jede künftige Generation wird vom Datengespenst der vorherigen verfolgt und der ungeheuerlichen Anhäufung von Informationen unterworfen sein. Informationen, deren Potential zur Kontrolle der Gesellschaft und der Manipulation jedes Einzelnen nicht nur die gesetzlichen Beschränkungen sprengt, sondern auch jegliche Vorstellungskraft.“

Die Parallelen zu chinesischen Formen der Überwachung sind unübersehbar

„Permanent Record“ ist ein lesenswertes und phasenweise hochspannendes Buch. So wie Kai Strittmatters „Die Neuerfindung der Diktatur“ die digitalen Überwachungsstrategien Chinas anschaulich schildert, zeigt Edward Snowden, dass die westlichen Kontrollmechanismen nur geringfügig weniger bedrohlich und menschenrechtsfeindlich sind. Man kann aus „Permanent Record“ viel Wissen über Computertechnik und Massenüberwachung ziehen. Allerdings trüben diese technischen Ausführungen auch ein wenig die Lesefreude des digitalen Laien. Dennoch zählt es – genau wie Kai Strittmatters Werk – zu jenen Büchern, die jeder politisch Interessierte gelesen haben sollte. Denn letztlich geht es um unser aller Freiheit – und die ist ganz offensichtlich bereits beim Einschalten eines Smartphones oder Computers in Gefahr.

Autor: Jörg Steinleitner

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