Bürgerdialog Stromnetz: Wie setzt sich unser Strompreis zusammen und welche Rolle spielen dabei die Netzentgelte?
Andreas Jahn: Die Bundesnetzagentur gibt im Monitoring-Bericht 2017 für einen durchschnittlichen Haushalt (Jahresverbrauch 3.500 kWh) folgende Aufteilung an: 21 Prozent für Energie und den Vertrieb, 23 Prozent für die Netze, 54 Prozent Steuern und Abgaben (23 Prozent Steuern und 31 Prozent Abgaben). Dabei ist zu beachten, dass sich die Netzentgelte der knapp 900 Verteilnetze regional recht stark unterscheiden. Tendenziell sind ländliche Netze teurer als städtische, weil sich hier mehr Verbraucherinnen und Verbraucher die Kosten für die Leitung teilen. Hinzu kommt, dass die Netzbetreiber die regulierten Kosten im Haushaltskundenbereich in verschiedene Preiskomponenten aufteilen. Da ihnen hierbei kaum Grenzen gesetzt sind, unterscheiden sich die Netzkosten – bei gleichem Verbrauch – in den unterschiedlichen Netzregionen um bis zu 250 Prozent.
Einheitlich ist jedoch die Tendenz die Grundpreise, also die Festpreise je Anschluss und Jahr zu erhöhen und die verbrauchsabhängigen Netzkosten zu reduzieren. Die ansteigenden Grundpreise sind fatal. Denn indem man diese erhöht und gleichzeitig die Kilowattstunde günstiger macht, findet eine Umverteilung zu Lasten derjenigen Verbraucherinnen und Verbraucher statt, die gerade wenig Strom verbrauchen. Das heißt auch, dass Investitionen von Kunden, beispielsweise in energiesparende LED-Beleuchtung, entwertet werden beziehungsweise sich weniger lohnen. Demzufolge wird der Anreiz Energie zu sparen, durch die Preisstruktur sogar eher unattraktiv und das kann nicht im Sinne der Energiewende sein.
Bürgerdialog Stromnetz: Warum steigen die Netzentgelte seit 2012 kontinuierlich an?
Andreas Jahn: Man könnte sagen, 2012 war das Pulver der Netzregulierung verschossen. Seit 2012 wird die Preisentwicklung maßgeblich von den gestiegenen Netzausbaukosten bestimmt. Der Netzausbau ist notwendig, um die Einspeisung und den Transport der Erneuerbaren Energien zu gewährleisten. Dies geschieht maßgeblich im ländlichen Bereich auf Verteilnetzebene, so dass hier die Netzkosten stärker steigen und zudem auf weniger Verbraucher umgelegt werden können. Beim Übertragungsnetz – dessen Kosten auch anteilsmäßig in den Verteilnetzentgelten enthalten sind – gibt es noch weitere Kostentreiber wie zum Beispiel die Sicherheitsreserve (Braunkohle), die Netzreserve, die Offshore-Anbindungskosten und die so genannten Redispatch- und Einspeisemanagement-Kosten, d.h. Kosten für Eingriffe in das Marktgeschehen (siehe auch: „Netzentgelte 2018, Problematische Verteilung zulasten von Geringverbrauchern“, Kurzanalyse von RAP/Agora). Eine wirkliche belastbare Aussage lässt sich jedoch bezüglich der Kostentreiber nicht tätigen, da die Netzregulierung recht intransparent ist. Die Politik ist hier gefordert, Überprüfungsrechte für die Kunden zu schaffen, so dass wir eine detaillierte Diskussion über die Kosten beginnen können.
Bürgerdialog Stromnetz: Was wurde mit dem Netzentgelt-Modernisierungsgesetz (NEMoG) erreicht?
Andreas Jahn: Zum einen wurde damit eine Vereinheitlichung der Übertragungsnetzentgelte erreicht. Das ist gut und ein Schritt in die richtige Richtung. Zum anderen wurden darin die „vermiedenen Netzentgelte“ neu geregelt. Dies sind Zahlungen des Netzes an dezentrale Erzeuger, die wiederum von den lokalen Netzkunden getragen werden müssen. Die überholten vermiedenen Netzentgelte werden jedoch nur bei den Erneuerbaren Energien-Erzeugungsanlagen konsequent aufgelöst. Für Stromerzeugung in Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen bleiben diese Zahlungen erhalten, aber auch für andere fossile Stromerzeugung. So werden jährlich rund eine Milliarde Euro weiterhin an Gas- und Kohle-Kraftwerke ausgeschüttet. Im Einzelfall tragen diese somit zum Verstopfen der Netze bei und verursachen weiteren Netzausbau. Deshalb würde ich sagen, das Gesetz hat seinen Namen nicht wirklich verdient.
Bürgerdialog Stromnetz: Was spricht für ein bundesweit einheitliches Netzentgelt? Was spricht dagegen?
Andreas Jahn: Die Kosten für die Erneuerbaren Energien oder auch für die KWK-Förderung tragen alle Stromverbraucher in Deutschland gemeinsam, also zu gleichen Teilen je nach Stromverbrauch. Die Netzkosten werden hingegen nach „zufälligem“ Eigentum verteilt. Das führt dazu, dass Städte ihre günstigeren Netze aus den Regionalnetzen herauslösen, wie beispielsweise in Stuttgart geschehen. In der Folge steigen die Netzkosten im ländlichen Raum. Also genau dort, wo die zukünftige, saubere Stromerzeugung – nicht zuletzt für die Städte – erfolgen soll. Folglich ist ein Ausgleich der Netzkosten auch im Verteilnetz dringend geboten. Langfristig brauchen wir jedoch nicht nur einen Netzkostenausgleich, sondern Netzentgelte, die Verbraucherinnen und Verbrauchern signalisieren, ob das Netz knapp ist oder eben nicht. Denn die heutigen Netze sind nur zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten knapp. Wenn wir den Verkehr und Wärmebereich zunehmend durch E-Autos und Wärmepumpen elektrifizieren wollen und die Kunden beim Stromverbrauch zukünftig flexibler werden, muss das Netz intelligenter werden. Der erste Schritt dahin wird sein, diesen neuen, aber eben auch sehr flexiblen Stromverbrauchern entsprechende zeitabhängige Netzsignale über die Netzentgelte zu geben.
Zur Person: Andreas Jahn ist Ingenieur und Energieexperte. Seit 2012 ist er als Senior Associate des Regulatory Assistant Projects (RAP) in Berlin tätig und berät mit seiner Expertise in den Bereichen Energiewende und regulatorische Optionen im europäischen Strommarkt. In seinen Analysen beschäftigt er sich u.a. mit der Entwicklung von Netzentgelten und den Themen Strommarkt- und Tarifdesign.