Redaktion: Die Energiewende stellt das Stromnetz in Deutschland vor neue Herausforderungen. Welche sind das und welche Rolle können Speicher dabei spielen?
Prof. Sauer: Um fossile Energieträger CO2-frei zu substituieren, wird mehr Strom aus Erneuerbaren Energiequellen benötigt. Die Energiewende führt so zu einer erheblichen Strukturänderung in der Stromerzeugung: Zum einen wird mehr Strom in dezentralen Anlagen erzeugt, zum anderen entstehen große Erzeugungskapazitäten relativ weit weg von den Verbrauchszentren (z.B. große Windparks in Nord- und Ostdeutschland sowie Offshore Windparks). Damit verändern sich die Anforderungen an die Stromnetze. Das Transportnetz, das den Strom über große Distanzen transportiert, kann durch den Aufbau von Speichern entlastet werden.
Technisch ist das in Form von Gasspeichern möglich. Diese würden aber ein Vielfaches dessen kosten, was der Ausbau des Übertragungsnetzes kostet. Aus volkswirtschaftlicher Sicht erscheint das wenig sinnvoll.
Aus Kostensicht ist eine Vermeidung des Ausbaus der Verteilnetze ohnehin wesentlich bedeutender, denn hier entstehen rund 80% der Netzkosten. Hier kann der intelligente Einsatz von elektrischen und thermischen Speichern dazu beitragen, dass das Verteilnetz nicht ausgebaut werden muss. Dies gilt insbesondere, wenn sie im „Doppelnutzen“ zur Anwendung kommen, d.h. wenn sie neben ihrem Primärzweck auch noch einen Beitrag zur Systemstabilisierung übernehmen (wie das z.B. bei E-Fahrzeugen oder Hausheizungssystemen denkbar ist).
Redaktion: Ab welchem Anteil Erneuerbare Energien wird der Einsatz von Speichern sinnvoll? Welche Speichertechnologien kommen dafür in Frage?
Prof. Sauer: Nach heutigem Stand der Technik werden für den elektrischen Sektor zum einen Batteriespeicher (für den Ausgleich innerhalb eines Tages) und zum anderen Gasspeicher (für den Ausgleich über Monate oder Jahreszeiten hinweg) in Frage kommen.
Um Energie aus dem Stromsektor „auszukoppeln“ und anderen Sektoren zuzuführen, kommen eine Reihe weiterer Speichertechnologien in Frage. Der Einsatz von Power-to-Gas-Technologien (PtG) macht jedoch frühestens Sinn, wenn der Gesamtanteil der Stromproduktion aus Wind und Solar 80% in Bezug auf den elektrischen Energieverbrauch beträgt. Vorher ist die Zahl der Stunden im Jahr mit Überschüssen aus Erneuerbaren Energien so klein, dass ein wirtschaftlicher Betrieb der Anlagen mit CO2-freiem Strom kaum möglich sein wird. Die Erforschung, Entwicklung und Demonstration solcher Technologien muss aber jetzt vorangetrieben werden. Kurzzeitspeicher können bereits heute in einigen Bereichen sinnvoll eingesetzt werden.
Ganz wichtig ist aber, dass regulatorische Hürden fallen, dass Energieträger verschiedener Sektoren in gleicher Weise mit Abgaben belastet werden sowie zeitlich und räumlich variable Strompreise gebildet werden können, um den Speicherbedarf in einem marktwirtschaftlichen System adäquat abbilden zu können.
Redaktion: Für die Massenspeicherung von Energie scheinen im Moment Pumpspeicherwerke oder Power-to-Gas die Favoriten zu sein. Wie ist Ihre Einschätzung?
Prof. Sauer: Pumpspeicherwerke in Mitteleuropa kommen nur für die Kurzzeitspeicherung von Energie infrage. Diese Speicherdienstleistungen werden aber nach unserer Einschätzung zukünftig effektiver aus dezentralen stationären Speichern und aus E-Fahrzeugen bereitgestellt werden können. Die vorhandenen Pumpspeicherkraftwerke werden zwar noch weiter eingesetzt werden, wenn es aber nach ökonomischen Gesichtspunkten geht, wird es wohl keine neuen Pumpspeicherkraftwerke mehr geben.
Gasspeichersysteme sind dagegen eine Technologie, die es ermöglicht, auch längere Perioden zu überbrücken. Zudem wird Power-to-Gas (PtG) eine Schlüsselrolle bei der Sektorkopplung zukommen. Ob das Gas dabei als Wasserstoff verwendet oder – methanisiert – als Äquivalent zum Erdgas genutzt werden kann, ist offen. Wahrscheinlich ist, dass beide Gassorten zum Einsatz kommen. Die Gasspeicherung in Kavernenspeichern ist für sich bereits heute relativ günstig.
Redaktion: Die Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität gilt als wichtiges Element für eine erfolgreiche Energiewende. Wie wirkt sich das auf den Speicherbedarf aus?
Prof. Sauer: Durch die Sektorkopplung wird der Speicherbedarf nicht unbedingt geringer, aber es können verschiedene weitere, teilweise bereits im System befindliche Speicherkapazitäten mit genutzt werden. Wenn z.B. Wärme für Warmwasser oder Heizungssysteme gespeichert werden muss, dann kann dies direkt in den Warmwasserspeichern erfolgen. Dies ist kostengünstig und effizient. Insgesamt kann der Bedarf an elektrischen Speichern dadurch zeitlich verschoben werden.
Redaktion: Welche Rolle werden Wärmespeicher spielen?
Prof. Sauer: Wärmespeicher sollten eine ganz wesentliche Rolle bei der Nutzung von Erzeugungsüberschüssen in den kommenden Jahren spielen. Wenn durch Politik und Regulierungsbehörde die Voraussetzungen geschaffen werden, kann Überschussstrom in jedem System, das ansonsten Erdgas für die Wärmeerzeugung nutzt, zur direkten Wärmeerzeugung oder über Wärmepumpen eingesetzt werden. Wenn die Wärme nicht zeitgleich genutzt werden kann, sind Wärmespeicher eine günstige Option, um eine zeitliche Verschiebung zwischen Stromerzeugung und Wärmeverbrauch zu erreichen.
Redaktion: Welche Bedeutung werden E-Autobatterien und moderne PV-Speicher für das zukünftige Stromnetz haben und welche Synergien sehen Sie?
Prof. Sauer: Die Kapazitäten von Speichern in E-Fahrzeugen oder PV-Hausspeichersystemen werden so groß werden, dass damit der Ausgleich innerhalb von 24 Stunden problemlos realisiert werden kann. Von daher werden diese Speicher eine zentrale Rolle im System einnehmen. Voraussetzung dafür ist, dass seitens der Regulierung die Voraussetzungen dafür geschaffen werden.
Redaktion: Bürger fordern oft, die Energiewende “dezentraler“ zu machen und verweisen auf lokale Erzeugung plus Speicher. Kann damit aus Ihrer Sicht der Netzausbau reduziert werden?
Prof. Sauer: Prinzipiell ist das technisch möglich, aber nur dann, wenn die dezentralen Lösungen dann auch autonom und damit auch netzunabhängig werden. Dann müssten die dezentralen Einheiten sich aber für alle Eventualitäten absichern, um auch bei geringer solarer Einstrahlung oder geringen Windgeschwindigkeiten über längere Zeiten hinweg die Versorgung zu sichern. Das ist möglich, führt aber zu erheblich höheren Kosten als bei einem Verbleib im Netzverbund. Aus volkswirtschaftlicher Sicht macht die Bildung der netzunabhängigen Einheiten keinen Sinn. Die Dezentralisierung der Energieversorgung ist aus meiner Sicht durchaus sinnvoll und vor allem nicht aufhaltbar. Das Netz wird aber bleiben und auch der Ausbaubedarf der Übertragungsnetze nicht deutlich sinken.
Prof. Dirk Uwe Sauer ist Professor für elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik an der Universität Aachen (RWTH) und Konferenzleiter der internationalen Fachmesse Energy Storage Europe in Düsseldorf.