„Wir erwarten heftigen Widerstand der Betreiber von Müllentsorgungsanlagen gegen die beabsichtigte Verteilung von Atommüll auf Mülldeponien und Müllverbrennungsanlagen“, sagt Dr. Werner Neumann, Atomexperte im BUND-Landesvorstand, und verweist auf das gesetzliche Gebot des Strahlenschutzes zur Minimierung der radioaktiven Belastung. Sollte das Land Hessen dennoch einen Betreiber zur Müllannahme verpflichten, verlangt der BUND Hessen eine genaue Prüfung, ob die Annahmen des zugrunde liegenden 10 Mikrosievert-Konzepts erfüllt sind.
Vor einem Jahr stellte der Hessische Landtag mit Stimmen von CDU und Bündnis 90 / Die GRÜNEN, fest, dass die beim Abbau des AKW Biblis „entstehenden, freigemessenen und daher ungefährlichen Stoffe entsprechend den gesetzlichen Anforderungen auf hessischen Deponien ordnungsgemäß zu entsorgen“, sind, „weil es in Hessen entsprechende und geeignete Deponien gibt:“
Am 13. Januar 2022 teilte die Hessische Umweltministerin, Priska Hinz, auf Anfrage der SPD-Fraktion im Landtag mit, dass der zuständige Landkreis Bergstraße 200 Deponiebetreiber angefragt hätte, jedoch keiner bereit war, den „freigemessenen“ Atommüll anzunehmen.
Eine Abfrage des Landesverbandes Hessen des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND Hessen) hat zudem ergeben, dass auch die Betreiber der hessischen Müllverbrennungsanlagen keinen radioaktiven Abfall aus Biblis annehmen wollen, auch wenn dieser aufgrund der Freimessung als „nicht radioaktiv“ gekennzeichnet ist.
Guido Carl, stellvertretender Landesvorsitzender des BUND: „Das Entsorgungskonzept für den Atommüll aus dem AKW Biblis ist gescheitert. Wenn aus guten Gründen niemand den Atommüll haben will, dann muss er auf dem Gelände des Atomkraftwerks in Biblis bleiben, und zwar möglichst sicher verpackt.“
Insgesamt müssen 60.000 Tonnen Beton, Metalle und brennbare Stoffe aus dem Abriss der beiden Atommeiler auf Deponien abgelagert, eingeschmolzen oder verbrannt werden. Hinzu kommen 270.000 Tonnen Betonabriss von Gebäuden. Darin sind etwa 1 Billiarde (10 hoch 15) Becquerel enthalten. Umweltministerin Hinz betonte wiederholt, dass von auf Basis des sog. 10 μSv-Konzepts freigemessenem Abrissmaterial ausgehende radioaktive Belastung von Arbeiter*innen auf Deponien oder der Bevölkerung, die früher oder später davon betroffen sein wird, ungefährlich sei.
Nach Auffassung des BUND wird damit das Gebot des Strahlenschutzes, nach dem die radioaktive Belastung so gering wie möglich gehalten werden soll, verletzt.
Werner Neumann, BUND-Atomexperte: „Stand der Wissenschaft ist, dass auch kleinste Strahlendosen schwere Erkrankungen hervorbringen können. Wir haben doch nicht für den bald erreichten Ausstieg aus der Atomstromerzeugung gekämpft, damit danach der Atommüll unter der Bevölkerung und in der Umwelt verteilt wird“.
Aktuell erwartet der BUND, dass das Umweltministerium eine hessische Deponie verpflichten wird, den radioaktiven Atommüll anzunehmen.
Werner Neumann: „Ob dies rechtlich möglich ist, ist aus meiner Sicht fraglich, denn zuerst müsste geprüft werden, ob die vielfältigen Annahmen des 10 μSv-Konzeptes am ausgewählten Deponiestandort tatsächlich vorliegen.“
Der BUND widerspricht der Auffassung der Umweltministerin, dass das 10 μSv-Konzept durch die Wissenschaft bestätigt worden sei und „nur der BUND“ eine Einzelmeinung vertreten würde.
Tatsache ist jedoch, dass das sog. 10 μSv-Konzept durch die internationale Atomenergieagentur IAEA sowie die atomenergiefreundliche EURATOM-Gemeinschaft entwickelt wurde.
Werner Neumann: „Ebenso wurden die Berechnungsverfahren durch Büros im Dienste der Atomwirtschaft entwickelt, um möglichst große Mengen radioaktiver Abfälle aus dem Abriss der AKWs auf die Allgemeinheit zu verteilen. Gutachten zur Anwendung des 10 μSv-Konzeptes zum Atommüll aus dem AKW Unterweser haben je nach getroffenen Annahmen Strahlendosen ergeben, die sich um mehr als den Faktor 100 unterschieden. Dies zeigt, dass das Modell des 10 μSv-Konzeptes nicht belastbar und höhere Strahlendosen als erlaubt nicht auszuschließen sind.“
Ob das Verfahren der Freigabe überhaupt rechtmäßig ist, ist Kernpunkt der seit August 2017 anhängigen Klage des BUND vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof, über die voraussichtlich in diesem Jahr entschieden werden wird.