„Derzeit werden Mindeststandards in der Versorgung vielfach über das Hilfsmittelverzeichnis geregelt. Die Hoheit über die Erstellung des Verzeichnisses liegt allein bei den Kostenträgern, genauer bei ihrem Spitzenverband. Fachgesellschaften und Leistungserbringergemeinschaften – also die Expertinnen und Experten – haben lediglich das Recht, angehört zu werden. Das ist eine gesundheitspolitische Fehlstellung“, erklärt Prof. Dr. med. habil. Wolfram Mittelmeier, erster Vorsitzender der herausgebenden Fachgesellschaft DGIHV. Das Hilfsmittelverzeichnis bildet die Grundlage für die Versorgungsansprüche der gesetzlich Versicherten an ihren Krankenkassen. Es soll nach dem Willen des Gesetzgebers die Qualität der Hilfsmittelversorgung sichern. „Solange Empfehlungen der Fachgesellschaften keinerlei Beachtung geschenkt werden müssen, ist die Versorgungsqualität fraglich“, so Prof. Mittelmeier weiter. „Zwar müssen die Kostenträger laut Gesetz den Stand der medizinisch-technischen Versorgung berücksichtigen, dennoch gehen Kostenträger vielfach darüber hinweg. Daher fordert die DGIHV hier ein verbindliches Gestaltungsrecht von Fachgesellschaften beim Hilfsmittelverzeichnis. Nur so können die Versorgungspfade von Kompendien in den Versorgungsalltag gelangen, vom Papiertiger zur Realität werden.“
Kompetenz schafft Sicherheit und Vertrauen
Pro Jahr finden gut 5,2 Millionen Versorgungen* mit Schuhen oder orthopädischen Einlagen statt. „Die gesetzlich Versicherten müssen auf eine qualitätsgesicherte Versorgung durch ihre Krankenkassen vertrauen können“, betont Prof. Dr. med. Dipl. Oec. Bernhard Greitemann, Beiratsmitglied der Vereinigung Technische Orthopädie e. V. (VTO) und Vorsitzender des Beratungsausschusses der Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) e. V. „Dieses Vertrauen wird zerstört, wenn Warnungen von Fachgesellschaften in den Wind geschlagen werden – wie zuletzt bei der sogenannten Online-Einlagenversorgung.“ Hier musste erst die Aufsichtsbehörde für bundesweit tätige Krankenkassen, das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS), einschreiten und im Oktober 2021 das vom BAS beanstandete Versorgungskonzept stoppen. „Solche Gefahren für Patientinnen und Patienten und Schleifen für das ohnehin überlastete Gesundheitssystem können wir durch die stärkere Einbindung von Fachgesellschaften in die Gestaltung des Hilfsmittelverzeichnisses in Zukunft vermeiden“, so Prof. Greitemann.
Für Patientinnen und Patienten an einem Strang ziehen
Eine zügige Umsetzung der im „Qualitätsstandard im Bereich Fuß und Schuh“ geschilderten Versorgungspfade fordern auch die Chairs der Sektion „Fuß und Schuh“ der DGIHV und Schriftleiter des Kompendiums: Orthopädieschuhmacher-Meister Michael Möller und der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Past-Präsident der Gesellschaft für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie (GFFC) e. V., Dr. Hartmut Stinus. „In das Kompendium sind über die letzten Jahre interdisziplinär Erfahrungen, Expertise und fundierte wissenschaftliche Arbeiten eingeflossen, um die bis dato fehlenden Leitplanken zu definieren. Diese müssen nun dringend bei den Patientinnen und Patienten ankommen. Das gelingt uns nur, wenn alle Player der Gesundheitspolitik an einen Strang ziehen“, sagt Dr. Hartmut Stinus. Der Hilfsmittelmarkt entwickelt sich rasant. Beständig kommen neue Produkte auf den Hilfsmittelmarkt oder werden neue Studien veröffentlicht. „Neue Erkenntnisse erfordern natürlich neuen Konsens und damit Standards“, so Michael Möller. „Deshalb werden wir nicht nur am Kompendium immer weiterarbeiten, sondern müssen diese Erkenntnisse über die Fachgesellschaften fortwährend in das Hilfsmittelverzeichnis mitbestimmend einbringen können.“
Nachschlagewerk in 16 Kapiteln
Unter der Leitung der beiden Chairs entstand in Zusammenarbeit mit zehn weiteren ausgewiesenen Expertinnen und Experten aus Medizin und Orthopädieschuhtechnik ein Nachschlagewerk in 16 Kapiteln. Das thematische Spektrum reicht vom Diabetischen Fußsyndrom über Knick-Senkfuß, Spitzfuß, Hohlfuß und Klumpfuß bis zur Versorgung von Sportlern mit und ohne Schädigungen. Fußsohlen- sowie Vorfußpathologien, Arthrose an Fuß- und Sprunggelenk, Pathologien an Unterschenkel und Knie, Lähmung sowie Beinlängendifferenz stehen ebenfalls auf der Agenda. Zusammenfassende Tabellen ergänzen die einzelnen Kapitel. Ein ausführliches Literaturverzeichnis rundet das Standardwerk ab.
Bei der Festlegung der Mindeststandards wurden die Schriftleiter von diesen Co-Autorinnen und -Autoren unterstützt:
- Tymoteusz Budny, Sektion Technische Orthopädie. Klinik für Allgemeine Orthopädie und Tumororthopädie des Universitätsklinikums Münster
- OSM Franz Fischer, Fischer Fuß Fit KG
- Dr. med. Dipl. oec. Bernhard Greitemann, Klinik Münsterland am RehaKlinikum Bad Rothenfelde
- Ulrich Hafkemeyer, Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ) Westmünsterland der Christophorus Kliniken Coesfeld
- Melanie Horter, Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ) Westmünsterland der Christophorus Kliniken Coesfeld
- Dr. Sabine Ochman, Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsklinikums Münster
- Doz. Dr. Christoph Schulze, Zentrum für Sportmedizin, Warendorf. Orthopädische Klinik und Poliklinik Universitätsmedizin Rostock
- OSM Michael Volkery, Technische Orthopädie Michael Volkery
- Dr. Markus Walther, Schön Kliniken München-Harlaching
- OSM Stefan Woltring, motioncheck Orthopädie-Schuhtechnik Stefan Woltring
Insgesamt sieben für die orthopädieschuhtechnische Versorgung relevante Fachgesellschaften und Verbände empfehlen den „Qualitätsstandard im Bereich Fuß und Schuh“:
- Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT)
- Berufsverband der Orthopäden und Unfallchirurgen (BVOU) e. V.
- Deutsche Assoziation für Fuß- und Sprunggelenk (D.A.F.) e. V.
- Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) e. V.
- Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) e. V.
- Gesellschaft für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie (GFFC) e. V.
- Zentralverband Gesundheitshandwerk Orthopädieschuhtechnik (ZVOS)
*Quelle: GKV-Spitzenverband Mehrkostenbericht 2021