„Verhandelt wird nicht!“, scheint das Credo mancher Krankenkassenvertreter zu lauten. In Open-House-Verfahren wollen sie einseitig die Konditionen bestimmen, nach denen Patienten mit Hilfsmitteln zu versorgen sind. Bei diesem Modell schreibt allein die Krankenkasse als mächtige „Einkäuferin“ alle Bedingungen wie Preis, Lieferfristen oder Qualität vor. Änderungen sind nicht zulässig, Verhandlungsspielraum besteht nicht. Jedes Unternehmen, das die definierten Voraussetzungen erfüllt, kann dem Vertrag während dessen Laufzeit jederzeit beitreten.
„Das mag nach gerechtem Markt klingen. Ist es aber nicht, denn hier wird nicht auf Augenhöhe agiert und die Krankenkassen behandeln Leistungserbringer – die ja letztlich die Patientenversorgung verantworten – wie unmündige Erfüllungsgehilfen“, erklärt BIV-OT-Präsident Klaus-Jürgen Lotz. „Sie werden gezwungen, den Vertrag ohne Wenn und Aber zu akzeptieren – bei Strafe des Ausschlusses von der Versorgung. Dabei widerspricht dieses willkürliche Vorgehen klar den gesetzlichen Vorgaben.“ Nach den verbindlichen Regelungen des Paragrafen 127 im Sozialgesetzbuch (SGB) V stehen den Krankenkassen nämlich lediglich drei Vertragsoptionen offen, um Hilfsmittel zu beschaffen: die Vergabe per Ausschreibung (allerdings nicht für individuell angefertigte Hilfsmittel oder Versorgungen mit hohem Dienstleistungsanteil), der ausgehandelte Vertrag mit Beitrittsmöglichkeit für andere Leistungserbringer sowie als Ausnahme die Vereinbarung im Einzelfall mit Kostenvoranschlag. „Open-House-Verträge gehören nicht dazu. Im Gegenteil, sie hebeln das Gesetz aus“, so Lotz.
Gestützt wird die Kritik durch das Bundesversicherungsamt (BVA). Außer bei Ausschreibungen hätten Krankenkassen „zwingend Verhandlungsmöglichkeiten zu eröffnen“, stellte die Aufsichtsbehörde schon im Juli 2017 klar. Das Open-House-Verfahren sei „im Bereich der Hilfsmittelversorgung nicht anwendbar“ und zudem „nicht geeignet, von Beginn an eine flächendeckende, wohnortnahe Versorgung sicherzustellen.“ Auch nach Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums sowie der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages sind derartige Modelle unzulässig. Verfahren sind angängig: So wurde eine Krankenkasse vom BVA bereits per Verpflichtungsbescheid zum Verzicht auf Open-House-Verträge aufgefordert und reichte Aufsichtsklage ein.
„Das Argument der Krankenkassen: Das SGB V sei für sie nicht zutreffend, und sie müssten sich an EU-Recht halten. Das ist falsch, weil das deutsche Sozialrecht vorgeht“, erklärt Lotz. „Die mit dem HHVG verbundene Qualitätsoffensive wird so ausgebremst, der Wille des Gesetzgebers missachtet.“ Maßgeblich seien wirtschaftliche Interessen: „Dies wird den ruinösen Preiskampf auf dem Rücken der Patienten weiter verstärken und birgt die Gefahr, dass die gesamte deutsche Gesetzgebung im Gesundheitswesen infrage gestellt wird.“