„Voraussetzung einer zielführenden Hilfsmittelversorgung ist eine fachgerechte, persönliche Untersuchung durch dafür speziell ausgebildete Experten im Vorfeld sowie die Überprüfung des korrekten Sitzes der fertigen Einlage am betroffenen Fuß und im Schuh! Das wissen eigentlich auch die gesetzlichen Krankenkassen“, unterstreicht Prof. Dr. med. Dipl. oec. Bernhard Greitemann, ärztlicher Direktor der Klinik Münsterland am Reha-Klinikum Bad Rothenfelde, Mitglied im Gesamtvorstand der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie e. V. (DGOOC), Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) sowie im geschäftsführenden Vorstand der Deutschen Gesellschaft für interprofessionelle Hilfsmittelversorgung e. V. (DGIHV). Fehler könnten ernsthafte Konsequenzen haben – für die gesundheitlich Betroffenen, aber ebenso für die Krankenkassen, die für dadurch entstehende Folgeschäden aufkommen müssten.
Greitemann verweist zum Beispiel auf den Knick-Senkfuss. „Auch mit einem vermeintlich einfachen Knick-Senkfuss ist nicht zu spaßen. Oftmals liegt hier eine Schwächung oder Schädigung der Fußinnenseite vor. Man spricht dann von einer degenerativen Schädigung oder Insuffizienz der sogenannten Postikussehne. Eine individuell am Patienten vom Experten abgenommene angepasste Einlage ist zur Abstützung und Entlastung des Sehnenkomplexes unerlässlich. Die optimale Höhe der Stütze kann nur unbelastet durch die Untersuchung von Hand durch den Orthopädie(schuh)techniker bestimmt werden. Nur der Fachmann kann durch seine anatomischen Kenntnisse diese Höhe bestimmen: Bei der Tibialis posterior Sehnendysfunktion (Stadium I) erfolgt die Anstützung in Höhe des Sustentaculum tali bis zum Os naviculare – und dies muss genau überprüft werden. Hier ist die genaue Untersuchung besonders wichtig, die durch eine Selbstvermessung durch Laien mittels eines zwei-dimensionalen Abdrucks nicht zu leisten ist. In einer sog. „online-Versorgung“ wird bewusst auf medizinisch notwendige Informationen für die Einlagenfertigung verzichtet.“
Durch die Selbstvermessung durch den Laien werden beachtliche Risiken auf den Patienten verlagert. Beim Knick-Senk-Fuß kann das bei fehlerhafter Einlagenversorgung bis zum Riss der Sehne und Gelenkschäden im Sprunggelenk führen. „Bei Einlagen, die nicht korrekt abstützen, kann es zum Fortschreiten der Erkrankung mit Riss der Tibialis posterior Sehne (Stadium II), in der Folge zu sekundären Gelenkschäden am unteren (Stadium III) und oberen Sprunggelenk mit Arthroseentwicklung (Stadium IV) kommen“, so Greitemann.
Der Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT) teilt diese Besorgnis und befürchtet eine deutliche Verschiebung der Haftungsrisiken zulasten der Versicherten.
Die Produktgruppe Einlagen (PG 08) steht laut dem dritten Mehrkostenbericht* des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) im Hinblick auf die Zahl der Versorgungsfälle, weiterhin an erster Stelle“. Im betrachteten Untersuchungszeitraum zwischen 1. Januar bis 31. Dezember 2020 wurden demnach ca. 4,4 Millionen Versicherte mit Einlagen versorgt. Die Leistungsausgaben für diese Produktgruppe betrugen nach Angaben des GKV-Spitzenverbands etwa 482 Millionen Euro.
Die Stellungnahme unter anderem von DGOOC, DGOU und DGIHV zum Vorgehen der BARMER liegt dem Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik in voller Länge vor.
*„Dritter Bericht des GKV-Spitzenverbandes über die Entwicklung der Mehrkostenvereinbarungen für Versorgungen mit Hilfsmittelleistungen gemäß § 302 Absatz 5 SGB V“