„Der Wegfall der Ausschreibungen ist nicht nur für uns, sondern vor allem für die gesetzlich versicherten Patientinnen und Patienten ein Grund zum Feiern! Das Vertrauen in eine qualitätsgesicherte Hilfsmittelversorgung ist essentiell: Immerhin betrifft Hilfsmittel-Versorgung 25 Prozent der gesetzlich versicherten Patienten. Wir sprechen hier von mehr als 20 Millionen Hilfsmittel-Versorgungen pro Jahr in Deutschland – Tendenz aufgrund des demografischen Wandels steigend“, so Lotz. Der in den letzten Jahren durch Ausschreibungen seitens der Krankenkassen gestiegene Preisdruck habe zu Qualitätseinbußen bei zahlreichen Hilfsmitteln geführt sowie zur Zerschlagung einer wohnortnahen Versorgung.
Noch ausstehende Verhandlungsverträge
„Dieser Teufelskreis zulasten von Teilhabe und Lebensqualität ist nun durchbrochen. Von 90 Prozent der gesetzlichen Krankenkassen wurden auskömmliche Verträge zu marktüblichen Preisen geschlossen. Einige gesetzliche Krankenkassen aus dem Bereich der Ersatzkassen haben es aber wieder einmal bevorzugt, lieber durch Einzel- bzw. Open-House-Verträge* jene Dumpingpreise durch die Hintertür wieder in den Markt zu drücken, die es zu verhindern galt. Nach dem Motto ‚Friss oder stirb!‘ bedeutet dieses Vorgehen für die Leistungserbringer erneut einen ruinösen Preiskampf, welcher am Ende in Aufzahlungen der Versicherten mündet“, kritisiert der BIV-OT-Präsident. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei es unzulässig, auf Open-House-Diktatverträge auszuweichen. „Das haben einige Krankenkassen anscheinend nicht begriffen und führen Einzelgespräche mit den bisherigen Ausschreibungsgewinnern. Ziel dürfte es sein, mit jenen Folgeverträge abzuschließen und den anderen Leistungserbringern anschließend den Beitritt anzubieten. Derartige Konstruktionen hebeln allerdings die Verhandlungsmöglichkeit der übrigen Anbieter aus. Sie entsprechen nicht der Zielrichtung des TSVGs und wurden vom Gesetzgeber klar untersagt. Wir fordern alle gesetzlichen Krankenkassen zu fairen Verhandlungen auf Augenhöhe auf.“
Situation für Patienten: Fallpauschalen gelten weiter
Versorgungen auf Basis von Fallpauschalen, die aufgrund von Ausschreibungsverträgen vor dem 30. November 2019 vergeben worden sind, gelten vorerst weiter. Das bedeutet: Bis zum Auslaufen des jeweiligen Versorgungszeitraums – zum Beispiel einer auf ein halbes Jahr terminierten Belieferung mit Inkontinenzmitteln – sind die Patientinnen und Patienten nach wie vor an den Ausschreibungsgewinner und dessen Hilfsmittelangebot gebunden. Danach gilt die freie Lieferantenwahl. Dieser rechtlich korrekte Ablauf wurde durch das Bundesversicherungsamt (BVA) bestätigt.
Wahlfreiheit wiederhergestellt
Insgesamt jedoch ergeben sich für Patientinnen und Patienten erhebliche Verbesserungen: Bei neuen Hilfsmittelversorgungen ist ihre Wahlfreiheit zwischen allen zur Versorgung berechtigten orthopädietechnischen Betrieben und Sanitätshäusern wiederhergestellt. Der zwangsweise Verweis durch die Krankenkassen auf einen Ausschreibungsgewinner entfällt. „Wir rechnen mit einer Qualitätssteigerung, wenn die neuen Verhandlungsverträge die bisherigen Ausschreibungen ersetzen. Aufgrund des damit verbundenen höheren und zugleich realistischen Preisniveaus ist eine qualitative Versorgung jetzt wieder möglich“, unterstreicht Lotz. „Die Patienten werden nicht zuletzt finanziell entlastet.“ Außerdem werde die wohnortnahe Versorgung gestärkt: „Die Versicherten müssen künftig nicht mehr akzeptieren, durch einen weit entfernten Anbieter versorgt zu werden – wie es nach etlichen Ausschreibungen der Fall war.“
Hintergrund
Die Abschaffung des Instruments „Ausschreibung“ gilt für alle medizinischen Hilfsmittel, die in den Versorgungsbereich des § 33 SGB V** fallen. Für die Versorgung mit Verbandsmitteln, Harn- und Blut-Teststreifen sowie die Versorgung mit bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung (künstliche Nahrungsversorgung wie „Sondennahrung“ oder auch nährstoffreiche Spezial-Trinknahrung) bleibt es bei der bisherigen Rechtslage, dass entsprechende Lieferverträge der Krankenkassen weiterhin durch Ausschreibungen vergeben werden können. Im Bereich der enteralen Ernährung werden von dieser Regelung nur die Nahrungsprodukte als solche, nicht jedoch die technische Ausrüstung für die Nahrungsgabe (Applikationshilfen) erfasst.
Durch das Verbot von Ausschreibungen können alle orthopädietechnischen Betriebe und Sanitätshäuser wieder an allen Versorgungsverträgen der Krankenkassen teilnehmen bzw. diese selbst abschließen. Die Konzentration der Verträge auf die Ausschreibungsgewinner endet. Damit verbunden ist die Hoffnung der Unternehmen auf eine fairere Entlohnung ihrer Arbeit.
* Bei Open-House-Verträgen schreibt allein die Krankenkasse als mächtige „Einkäuferin“ alle Bedingungen wie Preis, Lieferfristen oder Qualität vor, nach denen Patienten mit Hilfsmitteln zu versorgen sind. Änderungen sind nicht zulässig, Verhandlungsspielraum besteht nicht. Jedes Unternehmen, das die definierten Voraussetzungen erfüllt, kann dem Vertrag während dessen Laufzeit jederzeit beitreten – muss den Vertrag jedoch ohne Wenn und Aber akzeptieren, bei Strafe des Ausschlusses von der Versorgung.
** § 33 SGB V siehe: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__33.html