"Wer seine eigenen Kinder gegen ihren Willen zu einer Heirat mit jemand Ungeliebten oder sogar Wildfremden zwingt, tut ihnen brutale Gewalt an", erklärt Bundesfamilienministerin Kristina Schröder. "Wer von Zwangsverheiratung bedroht ist und sich dagegen zur Wehr setzt, riskiert die Isolierung innerhalb der Familie. Und wer sich nicht nur wehrt, sondern dem Zwang durch Flucht entgeht, muss mit der zeitweisen oder sogar völligen Kappung jeglicher familiärer Anbindung rechnen. Dem Verlust der Selbstbestimmung durch eine erzwungene Heirat steht also immer die Gefahr gegenüber, mit dem Ruf nach Hilfe automatisch den Anschluss an die eigene Familie zu verlieren. Das ist ein grausames Dilemma. Wir können und müssen etwas gegen die Einschüchterung und das Leid der Opfer tun, indem wir von bloßen Hilfsangeboten Stück für Stück weiter kommen hin zu mehr aktiven, Mut machenden Hilfsinitiativen."
Staatsministerin Maria Böhmer: "Die Studie zeigt deutlich: Unsere gesetzlichen Regelungen im Kampf gegen Zwangsverheiratungen waren richtig und notwendig. In zahlreichen Fällen werden die Betroffenen zur Zwangsheirat ins Ausland verschleppt. Umso wichtiger war die Verlängerung des Rückkehrrechts auf bis zu 10 Jahre, für das ich mich mit großem Nachdruck eingesetzt habe.Die Botschaft lautet: Wir lassen die Mädchen und jungen Frauen, die in Deutschland aufgewachsen und zur Schule gegangen sind, nicht allein. Nach den gesetzlichen Maßnahmen gilt es jetzt, niedrigschwellige Hilfsangebote auszubauen und die Zahl der Beratungsstellen zu erhöhen. Zugleich sind die Herkunftsländer gefordert, ebenfalls mit ganzer Kraft gegen die schwere Menschenrechtsverletzung der Zwangsheirat vorzugehen", betonte Staatsministerin Böhmer.
Die Studie "Zwangsverheiratung in Deutschland" beruht auf der Befragung von Expertinnen und Experten in Beratungs- und Schutzeinrichtungen in ganz Deutschland. An einer anschließenden Dokumentation individueller Beratungsfälle nahmen rund 100 Beratungsstellen teil. Zusätzlich wurden Untersuchungen in Schulen, Integrationszentren, Einrichtungen der Jugendhilfe und bei Migrantenselbstorganisationen durchgeführt.
Zentrale Ergebnisse der Studie:
- In Deutschland sind überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund im Alter zwischen 18 und 21 Jahren von Zwangsverheiratung bedroht und betroffen, in vielen Fällen haben sie die deutsche Staatsangehörigkeit. In erster Linie sind Frauen und Mädchen betroffenen, 30 Prozent von ihnen sind jünger als 17 Jahre.
- Häufigstes Herkunftsland der Eltern ist mit 44 Prozent die Türkei, gefolgt von Serbien (mit Kosovo und Montenegro), Irak und Afghanistan (jeweils 6 bis 9 Prozent der Eltern).
- Zwangsverheiratung geht oft einher mit familiärer Gewalt. Zwei Drittel der Betroffenen haben schon als Kinder und Jugendliche Gewalt erlitten. Dabei steht psychische Gewalt an erster Stelle, gefolgt von körperlicher und sexueller Gewalt. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, dass sie körperlichen Angriffen ausgesetzt sind, um in die Ehe gezwungen zu werden, 27 Prozent wurden mit Waffen und sogar Mord bedroht.
- Auch Jungen und Männer sind von Zwangsverheiratung bedroht oder betroffen (rund 6 Prozent der für die Studie erfassten Betroffenen). Für viele von ihnen unterscheiden sich jedoch die Konsequenzen sowie der Umgang mit Zwang von den betroffenen Frauen und Mädchen. Nur wenige Männer sehen sich als Opfer und thematisieren den Zwang. Daher suchen auch nur wenige männliche Betroffene Beratungsstellen auf, zumal spezialisierte Beratungsangebote fehlen. Diejenigen, die Beratung suchten, wurden ebenso wie Mädchen und Frauen massiv mit Gewalt bedroht.
Wegen der großen Dunkelziffer kann auch diese Studie keine Hinweise darauf geben, wie viele Fälle von Zwangsehen es in Deutschland gibt. Für die Untersuchung wurden im Jahr 2008 insgesamt 3.443 von Zwangsverheiratung Betroffene in 830 Beratungsstellen erfasst. Rund 60 Prozent von ihnen drohte eine Zwangsehe, bei 40 Prozent war die Zwangsehe bereits vollzogen. Ein Teil der Betroffenen wurde dabei mehrfach erfasst, da schätzungsweise zwischen 14 und 43 Prozent der Betroffenen mehrere Einrichtungen aufgesucht haben.
Durchgeführt wurde die Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von einem Konsortium, geführt von der Lawaetz-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Büro Torsten Schaak und Terre des Femmes, Tübingen.