"Ich will gleich zu Beginn der kommenden Legislaturperiode die Prävention und Intervention durch ein Kinderschutzgesetz stärken. Familienhebammen sind unverzichtbare Partner beim Schutz der besonders gefährdeten Kleinkinder, ihr Einsatz für den Kinderschutz braucht eine sichere Finanzierungsgrundlage. Auch die von der gesamten Bundesregierung beschlossenen und vom Bundesrat befürworteten, aber nicht mehr im Bundestag abschließend behandelten Verbesserungen im Kinderschutzgesetz müssen ebenso schnell wieder auf den Weg gebracht werden wie gesetzliche Regeln für die engere Verzahnung des Gesundheitswesens mit der Kinder- und Jugendhilfe. Die Ärzteschaft wartet dringend auf die Klarstellung im Bundesgesetz, wann die Schweigepflicht gebrochen werden darf, um ein gefährdetes Kind zu retten. Und die Jugendämter, die tagtäglich eine hohe Verantwortung tragen, brauchen einen deutschlandweit gültigen und verlässlichen Maßstab, wann der Blick in die Akte nicht mehr ausreicht und das Kind in seiner Umgebung angeschaut werden muss. Noch zu viele gefährdete Familien verschwinden beim Wohnortwechsel aus dem Blickfeld der Behörden. Das neu eingebrachte Kinderschutzgesetz wird auch diese Lücke schließen", so von der Leyen.
Für den Schutz von Kindern vor Misshandlung und Vernachlässigung tragen Bund, Länder und Kommunen eine gemeinsame Verantwortung. Auch die Beteiligten in Kinder- und Jugendhilfe, Gesundheitswesen und Justiz haben wichtige Schritte unternommen, um die Prävention zu stärken. Aktiver Kinderschutz fußt auf zwei wesentlichen Säulen: Prävention und Intervention.
- Das Aktionsprogramm "Frühe Hilfen für Eltern und Kinder und soziale Frühwarnsysteme" mit zehn vom Bund geförderten Projekten in allen 16 Bundesländern.
- Das im Jahr 2007 neu eingerichtete Nationale Zentrum Frühe Hilfen vernetzt die Systeme der Kinder- und Jugendhilfe mit denen des Gesundheitswesens. Ziel ist, Familien in belastenden Lebenslagen früh zu erreichen und rechtzeitig koordinierte Hilfe vor Ort in Gang zu setzen. Das Nationalen Zentrum Frühe Hilfen hat auch die Aufgabe, Kommunen und Träger beim Auf- und Ausbau lokaler Kinderschutz-Netzwerke zu unterstützen.
- Das im Herbst 2008 verabschiedete Kinderförderungsgesetz zum Ausbau einer bedarfsgerechten und qualifizierten Kindertagesbetreuung schafft Entlastung für überforderte Familien.
- Mit dem Kinderpornographiebekämpfungsgesetz ist im Sommer 2009 ein ergänzendes Instrument zur Prävention von sexuellem Missbrauch von Kindern geschaffen worden . Das Gesetz ist Baustein einer zentralen Strategie zum Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt, es dient dem Opferschutz, stört das Massengeschäft der Kinderpornographie empfindlich und setzt ein wichtiges gesellschaftspolitisches Signal. Von Deutschland aus ist Kinderpornographie nicht frei abrufbar.
- Der nationale "Aktionsplan der Bundesregierung zum Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt und Ausbeutung" wird weiterentwickelt. Es werde primär Maßnahmen umgesetzt, die in der Nachfolge des III. Weltkongresses gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen erarbeitet wurden. Einen Schwerpunkt wird die sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in den neuen Medien bilden, dies vor allem in der Begleitung der Opfer, der Aufklärung und Sensibilisierung der Kinder und Jugendlichen und in der Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit.
- Eine neue gesetzliche Grundlage ermöglicht Familiengerichten früher einzugreifen und erweitert die Handlungsmöglichkeiten. Statt gleich das Sorgerecht zu entziehen, können Gerichte jetzt zum Beispiel einen Kitabesuch anordnen, vorgeben, dass ein Kind einem Amtsarzt vorgestellt wird oder die Schulpflicht durchsetzen.
- Die Einführung einer neuen Kindervorsorgeuntersuchung U 7a schließt die Lücke zwischen 3 und sechs Jahren.
- Fast alle Bundesländer haben ein verbindliches Einlade- und Erinnerungswesen für Früherkennungsuntersuchungen eingeführt (bereits beschlossen/in Kraft in Bayern, Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein, Thüringen; im Gesetzgebungsverfahren in Berlin, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt). Zentral sind dabei stets Einladungssysteme mit Rückmeldemechanismen. Wenn Familien nicht zu Untersuchungsterminen beim Kinderarzt erscheinen, wird systematisch nachgehakt. Notfalls schaut das Jugendamt zuhause nach dem rechten.
Aus einer systematischen Analyse tragischer Kinderschutzfälle im Auftrag des Bundesfamilienministeriums ("Lernen aus problematischen Kinderschutzverläufen", Fegert 2008) lassen sich typische Muster, Schwachstellen und Fehlerquellen identifizieren.
- Etwa ein Drittel der Kinder sind jünger als ein Jahr.
- Fast die Hälfte der Kinder (45 Prozent) wurden vernachlässigt (4 Prozent bis zum Tod).
- Ein Viertel der Kinder wurde schwer misshandelt (9 Prozent mit Todesfolge).
- Die Täterinnen und Täter sind so gut wie immer die unmittelbaren, primären Bezugspersonen des Kindes (Mütter, Väter, nahe Verwandte).
Bei den häufigsten Fehlerursachen ragen drei Bereiche heraus:
- Oft verlassen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Akten oder Einschätzungen Dritter, statt sich vor Ort einen persönlichen Eindruck vom Kind und der Familiensituation zu verschaffen (Hausbesuch).
- Missachten des "Mehr-Augen-Prinzips": Verantwortliche, die sich nur auf ihre eigene subjektive Wahrnehmung konzentrieren, haben sie keine Chance, Fehleinschätzungen zu korrigieren.
- Mangelhafte Dokumentation und Brüche in der Informationskette: Wenn dann Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausfallen oder der Fall in eine andere Zuständigkeit übergeben werden muss, gehen wichtige Informationen verloren.
Kommunen, die ihre Strukturen für den Kinderschutz effektiver und sicherer machen wollen, erhalten vom Nationalen Zentrum Frühe Hilfen logistische Unterstützung. Das Interesse der Kommunen an diesem Angebot ist groß. Anhand der Statistik ist nachvollziehbar, dass die Aufmerksamkeit der Behörden für die Gefährdung von Kindern gestiegen ist. Die Zahlen der Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen und der familiengerichtlichen Maßnahmen haben deutlich zugenommen. 28.200 Kinder und Jugendliche wurden im Jahr 2007 von deutschen Jugendämtern in akuten Krisensituationen in Obhut genommen. Das sind 77 Kinder pro Tag und 2.200 Kinder (8,4 Prozent) mehr als im Jahr 2006. Im Jahr 2008 erfolgten sogar 32.300 Inobhutnahmen, was einer weiteren Steigerung um 14,4 Prozent entspricht. In 10.800 Fällen wurde Eltern im Jahr 2007 die elterliche Sorge durch deutsche Familiengerichte entzogen - entweder ganz oder teilweise. Dies ist eine Steigerung gegenüber dem Jahr 2006 um 13 Prozent - oder 1.200 Fälle. Im Jahr 2008 erhöhte sich diese Zahl um weitere 8 Prozent auf insgesamt 12.250 Fälle. Und in insgesamt 12.752 Fällen haben Jugendämter im Jahr 2007 bei den Familiengerichten Anträge gestellt, die elterliche Sorge teilweise oder ganz zu entziehen (2008: 14.906 Fälle). Dies ist eine Steigerung von 2006 auf 2007 um 18,5 Prozent, von 2007 auf 2008 um weitere 17 Prozent. Insgesamt hat die öffentliche Hand im Jahr 2007 für vorläufige Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche (insbesondere Inobhutnahmen) 96,7 Millionen Euro aufgewendet, dies sind 19 Prozent mehr als im Jahr 2006 (Quelle: Pressemitteilungen des Statistisches Bundesamtes).