Sie ist lebenswichtig für die Betroffenen. Aber verbunden mit Frust und sehr belastend für die familiäre und berufliche Situation gestaltet sie sich derzeit: die Versorgung von Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler (EMAH) in der kardiologischen Rehabilitation. Die Reha für diese Patienten muss EMAH-fachgerecht sein, weil sie eine auf die Komplexität der über vierzig verschiedenen angeborenen Herzfehler (AHF) ausgerichtete Expertise erfordert. Aber nur wenige Nachsorge-Kliniken hierzulande sind auf die kardiologische Reha für EMAH-Patient:innen ausgerichtet. „Dieser fatale, gleichwohl vermeidbare Mangel darf nicht dazu führen, dass EMAH jetzt in ein Versorgungsloch fallen. Schließlich geht es um das Wohl von über 350.000 EMAH in Deutschland, die von Geburt an auf eine lebenslange spezifische Nachsorge ihres Herzfehlers angewiesen sind. Darunter befinden sich auch Patient:innen mit schwerwiegenden operationsbedürftigen Rest- und Folgezuständen ihres Herzens“, warnt Prof. Dr. Stefan Hofer, Elternvertreter herzkranker Kinder im Vorstand der Deutschen Herzstiftung. In aller Regel müssten EMAH mehrere Monate bis zu einem Jahr auf eine stationäre Reha warten, sofern es sich nicht um eine Anschlussheilbehandlung (AHB) unmittelbar nach einem herzchirurgischen oder interventionellen Eingriff handelt. Auf das fehlende kardiologische Reha-Angebot für EMAH in Deutschland macht das Aktionsbündnis Angeborene Herzfehler (ABAHF), dem die Herzstiftung angehört, zum Tag des herzkranken Kindes aufmerksam. Infos zur Rehabilitation für EMAH bietet die Herzstiftung unter https://herzstiftung.de/emah.
„Kaum qualifizierte Anbieter für leitlinienkonforme Rehabilitation von EMAH“
Jährlich kommen 8.700 Kinder mit einem Herzfehler zur Welt, von denen dank des herzmedizinischen Fortschritts heute über 95 Prozent das Erwachsenenalter erreichen und mit über 350.000 EMAH eine stetig wachsende Patientengruppe bilden. Eine viel zu große Gruppe für die wenigen Reha-Kliniken mit fachlicher Expertise in der Betreuung von EMAH. „Die Versorgung von EMAH in der kardiologischen Rehabilitation ist derzeit katastrophal“, sagt Christina Pack, selbst EMAH-Patientin und 1. Vorstandsvorsitzende des Bundesvereins Jugendliche und Erwachsene mit angeborenem Herzfehler JEMAH e.V. Der Bundesverein ist Partner im ABAHF. „Uns berichten EMAH zunehmend, dass es derzeit – bis auf wenige Ausnahmen – kaum qualifizierte Anbieter für eine leitlinienkonforme Rehabilitation von EMAH in Deutschland gibt“, berichtet Pack. Zu beobachten sei, dass EMAH von einem bewilligten Aufenthalt in einer Rehaklinik für EMAH-Patient:innen doch noch einer Klinik ohne EMAH-Expertise zugeteilt würden. „Das ist aus Sicht der Betroffenen dramatisch bis katastrophal, denn es kann für diese Patient:innen physisch und psychisch einiges schiefgehen“, so Pack.
Wenige Ausnahmen unter den Reha-Kliniken mit ausgewiesener EMAH-Expertise, die Patient:innen betreuen, stellen beispielsweise die Nachsorgeklinik Tannheim im Schwarzwald oder die Klinik Höhenried am Starnberger See dar. In beiden Kliniken werden EMAH-Patient:innen von EMAH-Kardiolog:innen betreut, die über die Zusatz-Weiterbildung „Spezielle Kardiologie für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern (EMAH)“ in Ergänzung zu einer Facharztkompetenz verfügen. In Deutschland gibt es nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK) ca. 180 EMAH-zertifizierte Kardiolog:innen, den Großteil davon (mehr als 150) stellen die Kinderkardiolog:innen, alle übrigen sind Kardiolog:innen. Die überwiegende Mehrheit von ihnen ist in den überregionalen EMAH-Zentren und den regionalen EMAH-Schwerpunktpraxen und -kliniken tätig. In Reha-Kliniken fehlt ihre Expertise zurzeit. „Auch deshalb müssen Patient:innen wegen des hohen Zulaufs auf die wenigen Reha-Kliniken mit EMAH-Expertise mit mehrmonatigen Wartezeiten rechnen“, räumt die Reha-Spezialistin Dr. Christa Bongarth, Chefärztin der Abteilung für Kardiologie der Klinik Höhenried, ein. Ihre Klinik betreut pro Jahr etwa 100 EMAH-Patient:innen.
Hohe Betreuungsintensität und zu wenige EMAH-Ärzt:innen in Rehakliniken
Die Gründe für den enormen Versorgungsengpass sind vielfältig. „Die Betreuung von EMAH ist viel aufwendiger als bei Patient:innen mit erworbenen Herzerkrankungen, die sich beispielsweise nach einem Herzinfarkt oder nach einer Herzschrittmacher-Implantation in eine Rehaklinik begeben“, erklärt Dr. Bongarth. Wer als EMAH mit einem Ein-Kammer-Herz geboren wurde, hat mehrere Operationen in Kindheit und Jugend hinter sich. Und auch erfolgreich korrigiert, erfordert ein „Fontanherz“, so benannt nach dem Erstoperateur dieser chirurgischen Prozedur, im Erwachsenenleben des Patienten weitere Reha-Aufenthalte. Auch können bei den Patienten im Krankheitsverlauf weitere Herzkomplikationen wie Rhythmusstörungen hinzukommen, die zusätzlich zu versorgen sind. Ähnlich verhält es sich bei Patient:innen mit einer Transposition der großen Arterien (TGA). „Bei EMAH ist der Bedarf an Einzeltherapie meistens höher. Und es erfordert ein Team aus Spezialisten für die kardiologische, psychosomatische, sporttherapeutische und sozialmedizinische Betreuung. Das ist personal-, zeit- und kostenintensiv“, so Dr. Bongarth. Bei der Betreuung von EMAH geht es auch um Themen wie Schwerbehinderung, Familiengründung, Schwangerschaft oder Berufsplanung bzw. berufliche Neuorientierung und Wiedereingliederung in das Berufsleben. Je nach Art und Komplexität des Herzfehlers unterscheidet sich auch die physische Belastbarkeit von EMAH und damit auch die Art und Intensität der zumutbaren körperlichen Aktivität. Das erschwere die Integration in eine Trainingsgruppe mit anderen Herzpatient:innen in einer herkömmlichen Reha-Klinik. Allesamt Faktoren, die von den Rentenversicherungsträgern und Krankenkassen nach Aussage von Reha-Spezialistinnen wie Dr. Bongarth nicht in der Vergütung von Rehaleistungen von EMAH in Kliniken mit EMAH-Expertise berücksichtigt werden. Bei herztransplantierten oder Kunstherz-Patient:innen sei das schon der Fall. „Dabei könnte eine bessere Vergütung, die dem Betreuungsaufwand dieser Patient:innen gerecht würde, einen Anreiz für weitere Reha-Kliniken schaffen, ihr Betreuungsangebot für EMAH zu erweitern“, ist Reha-Spezialistin Dr. Bongarth überzeugt.
Was ist zu tun, um die kardiologische Reha für EMAH zu verbessern?
Nicht nur für die Leidtragenden selbst, sondern auch im Sinne des Gesundheits- und Sozialversicherungswesens ist am Reha-Versorgungsengpass für die stetig wachsende Patient:innengruppe der EMAH dringend etwas zu ändern. „Diese Mangelversorgung beeinträchtigt die Wiedereingliederung von EMAH in den Arbeitsmarkt und die Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit. Damit fallen zugleich wertvolle Mitglieder der Beitragszahlergemeinschaft aus. Wer ein Jahr auf seine Reha-Maßnahme warten muss, der fehlt dem Arbeitsmarkt“, gibt die JEMAH-Vorsitzende Christina Pack zu bedenken.
Einen Ansatz für die Patientengruppe der jüngeren EMAH im Alter bis ca. 25 Jahre sieht DGPK-Präsidentin und EMAH-Spezialistin Prof. Dr. Ulrike Herberg in solchen Rehabilitationskliniken, die Reha-Behandlungen für chronisch kranke Kinder und Jugendliche bzw. eine Familienorientierte Reha (FOR) anbieten. Das sind die Nachsorgekliniken Tannheim (FOR und junge Reha), Bad Oexen (FOR) und die Ostseeklinik Boltenhagen (Kinder-Reha, Mutter-Kind-Kuren). „Jüngere EMAH bis zu einem Alter von etwa 25 Jahren sehen wir in diesen Kliniken mit Themen wie Berufs- und Lebensplanung sowie Familiengründung gut versorgt“, so Prof. Herberg, Leiterin des überregionalen EMAH-Zentrums am Universitätsklinikum Aachen. Für ältere EMAH-Patient:innen ab 35 Jahren sieht die DGPK die Notwendigkeit, das Spektrum der Reha-Kliniken mit EMAH-Expertise zu erweitern, weil bei diesen Patient:innen Komorbiditäten beziehungsweise erworbene Herz-Kreislauf-Erkrankungen dazu kommen wie koronare Herzkrankheit, Klappenerkrankungen oder Herzinsuffizienz. „Es wäre wünschenswert, wenn sich zum Beispiel drei bis fünf kardiologische Reha-Kliniken bereit erklären würden, sich der EMAH-Patient:innen anzunehmen. Es sollte dann während der Reha-Maßnahme, also des stationären oder ambulanten Aufenthaltes, eine EMAH-Kardiologin oder ein EMAH-Kardiologe in der Klinik verfügbar sein und individuell die notwendigen Maßnahmen für den/die EMAH-Patient:in empfehlen“, so Prof. Herberg. Welche Reha-Kliniken in Nord-, Süd- und Mitteldeutschland eine EMAH-Erweiterung vollziehen könnten, dazu müssten sich die Fachgesellschaften DGPK und die Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR) erst austauschen. „Ein Netzwerk von Reha-Kliniken einschließlich der auf Kinder und Jugendliche spezialisierten Einrichtungen wäre zu begrüßen und hilfreich“, erklärt dazu die DGPK-Präsidentin. Ein unüberwindliches Problem der Kostenübernahme durch Krankenkassen beziehungsweise Rentenversicherungsträger sehe sie nicht.
Leitlinienkonforme Nachsorge von EMAH lebenswichtig
Wie wichtig eine leitlinienkonforme Versorgung von Menschen mit AHF ist, hat unlängst das Projekt OptAHF mit Hilfe von Daten des Statistischen Bundesamtes und der BARMER aufgezeigt. Nach Angaben des Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA) zeigen die Ergebnisse dieses Projekts u.a., dass „entgegen geltender Leitlinienempfehlung fast 50 Prozent der erwachsenen Patientinnen und Patienten mit einem AHF ausschließlich hausärztlich versorgt wurden“, d.h. nicht in EMAH-Schwerpunktpraxen und EMAH-Ambulanzen der EMAH-Zentren bzw. EMAH-Kliniken. „Dies betraf auch über 25 Prozent der Patientinnen und Patienten mit komplexen AHF“. Dabei sind, wie der G-BA betont, Menschen mit AHF „auf eine lebenslange, spezifische Betreuung angewiesen“. Der G-BA stellte fest: „Diese Versorgung war mit einem signifikant früheren und höheren Sterberisiko und dem Risiko von schweren unerwünschten Ereignissen assoziiert.“ Die DGPK sieht hier die Krankenkassen als potenzielle Stellen, EMAH unter ihren Mitgliedern über die regelmäßige Nachsorge ihres Herzfehlers bei einem EMAH-zertifizierten Kardiologen zu informieren.
Literatur
Link zum Projekt OptAHF: www.g-ba.de/...
Das Aktionsbündnis Angeborene Herzfehler (ABAHF)
Um in der Öffentlichkeit mit einer Stimme für eine bessere Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern und deren Familien einzutreten und ihnen noch effektiver zu helfen, haben sich 2014 auf Initiative der Deutschen Herzstiftung e. V. bundesweit tätige Patientenorganisationen zum „Aktionsbündnis Angeborene Herzfehler“ (ABAHF) zusammengeschlossen. Die Organisationen sind: Bundesverband Herzkranke Kinder e.V., Bundesverein Jemah e.V., Herzkind e.V., Interessengemeinschaft Das Herzkranke Kind e.V. und die Kinderherzstiftung der Deutschen Herzstiftung e.V.
Etwa 8.700 Neugeborene mit angeborenem Herzfehler kommen in Deutschland jährlich zur Welt. Heute erreichen rund 95 % dieser Kinder dank der Fortschritte der Kinderherzchirurgie und Kinderkardiologie das Erwachsenenalter. Die Zahl der Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler (EMAH) wird auf über 350.000 geschätzt. Zur Homepage: www.abahf.de/.