Mit 4,21 Mrd. Euro ist der Umsatz im Bio-Facheinzelhandel im Vergleich zum Vorjahr um 3,7 Prozent zurückgegangen. Damit liegt er immer noch rund 12 Prozent über dem Vor-Corona-Jahr 2019 (3,76 Mrd. Euro). Im Drei-Jahres-Vergleich ist der Bio-Fachhandel seit 2019 jährlich um durchschnittlich sieben Prozent gewachsen. Im Einzelhandel kamen 2021, neben den Effekten der Urlaubssaison, die wiederholten Einschränkungen für Laden-Bistros negativ zum Tragen. Dieser Bereich hat einen wesentlichen Anteil am Umsatz der Bio-Läden. Der Großhandel profitierte 2021 schon von der Wiederaufnahme der Außer-Haus-Verpflegung und konnte wieder in Gastronomie, Schulen und Kantinen liefern.
Die Umsatzentwicklung im Naturkostfachhandel korrelierte dabei im Jahresverlauf 2021 mit der Strenge der jeweils geltenden Corona-Maßnahmen. So setzten sich im ersten, vom langen Lockdown geprägten Halbjahr die hohen Umsatzzuwächse von 2020 zunächst fort. Im ersten Quartal 2021 setzte der Großhandel mit 635,3 Mio. Euro noch einmal rund 10,4 Prozent mehr um als im ersten Quartal des Vorjahres (575,5 Mio. Euro). In den Sommermonaten, in denen die Menschen dank gelockerter Corona-Maßnahmen wieder reisen und mehr in Restaurants und Kantinen essen konnten, schwächte sich die Umsatzentwicklung entsprechend ab.
„Die Entwicklung in 2021 bestätigt: Wenn die Außer-Haus-Verpflegung nur eingeschränkt möglich ist, wird zu Hause gekocht. Dabei setzen sich die Menschen intensiver mit ihrer Ernährung auseinander. Das führt sie konsequenterweise in den Bio-Fachhandel. Denn hier erhalten sie qualitativ hochwertige Bio-Lebensmittel, mit denen sie sich, der Gesellschaft und der Umwelt etwas Gutes tun“, kommentiert Kathrin Jäckel, BNN-Geschäftsführerin, die Entwicklung. „Für Kund*innen spielt zudem das glaubwürdige und ganzheitliche Engagement des Bio-Fachhandels für Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle, wie eine Studie des Rheingold-Instituts kürzlich bestätigte“[2], ergänzt die BNN-Geschäftsführerin. Zu erwarten ist, dass 2022 die steigende Inflationsrate zusammen mit Teuerungen bei Rohwaren, Transport und Energie die Umsatzentwicklung im Bio-Groß- und -Einzelhandel beeinflussen werden.
Wahre Kosten & Preise: Mehrwertsteuer für Bio-Lebensmittel streichen
Wer heute Bio kauft, zahlt doppelt: Der Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden in der konventionellen Agrarindustrie verursacht Umweltfolgeschäden, wie z. B. durch die Nitratbelastung von Grundwasser. Die Kosten für die Behebung solcher Schäden werden pauschal über Steuern auf die Gesellschaft abgewälzt.
Die Bio-Landwirtschaft verzichtet auf chemisch-synthetische Pestizide und investiert zugleich unter anderem in artgerechte Tierhaltung. Das verursacht Mehrkosten, die bei Bio-Lebensmitteln und Naturwaren bereits weitgehend eingepreist sind und daher nicht zu Lasten der Allgemeinheit gehen. D.h.: Als Bürger*in und Bio-Konsument*in zahlt man derzeit doppelt für Umwelt- und Klimaschutz. Daher sollte die Besteuerung von nachhaltig und ökologisch erzeugten Lebensmitteln und Naturwaren reduziert werden. Der BNN fordert eine Reduktion der Mehrwertsteuer für Bio-Lebensmittel und Naturwaren auf 0 Prozent. Dadurch würde zusätzlich ein aktiver Anreiz für den Konsum nachhaltiger Produkte geschaffen werden. Aus Sicht des BNN ist zudem bei tierischen Erzeugnissen eine Anpassung des Mehrwertsteuersatzes an die entsprechende Tierhaltungsstufe dringend geboten – den geringsten Steuersatz für die höchste Tierhaltungsstufe. Unerwünschte Haltungsformen müssen steuerlich über dem Normalsatz belastet werden.
Pestizid-Abgabe: Verursacher an Kosten beteiligen
Der BNN fordert außerdem die Einführung einer Pestizid-Abgabe. Deutschland sollte hier dem Beispiel seiner europäischen Nachbarn Frankreich, Dänemark und Schweden folgen. Mit diesem Instrument werden die Verursacher von Umweltschäden an den Kosten, die der Einsatz von Pestiziden durch Ökosystemschäden herbeiführt, beteiligt. Eine Pestizid-Abgabe wäre ein geeignetes Instrument, um die Anwendung von chemisch-synthetischen und besonders gefährlichen Pestiziden insgesamt zu reduzieren und so den Zielvorgaben der EU-Kommission in der Farm-to-Fork-Strategie deutlich näher zu kommen.
„Die Bundesregierung sollte diese Lenkungsmöglichkeiten nutzen, um die Transformation der Lebensmittelwirtschaft voranzutreiben und um folgerichtig die Branchen und Unternehmen zu stärken, die sich tagtäglich aktiv für Klima- und Umweltschutz einsetzen“, resümiert Kathrin Jäckel.
Artenschutz im Handel sichert Versorgung und Handwerk
Neben dem Klimaschutz gilt es, auch die weiteren Positivwirkungen einer ökologischen Warenversorgung zu stärken. Der Bio-Fachhandel steht für Vielfalt in Verarbeitung und Handel. Aufgrund seiner kleineren und handwerklichen Strukturen ist nur dieser Bereich der Lebensmittelwirtschaft in der Lage, nachhaltig produzierte Rohwaren aus nicht-industriellen Strukturen zu verarbeiten und zu den Verbraucher*innen zu bringen. Mit dieser Vielfalt bietet er den Menschen eine echte Konsumalternative zu konventionellen Großstrukturen.
„Die Pandemie hat in vielen Bereichen gezeigt, wie fragil globale Lieferketten sind. Für Versorgungssicherheit und die Stärkung der ländlichen Regionen sollte vor allem das Bio, das aus vielfältigen, dezentralen und resilienten Strukturen stammt, weiterwachsen. Dafür braucht es politische Maßnahmen, die die Erzeugung, Verarbeitung und den Absatz gesunder, bezahlbarer und nachhaltiger Bio-Lebensmittel nicht nur in ihrer Breite, sondern auch in ihrer Vielfalt und Qualität fördern“, so die Einschätzung von Kathrin Jäckel.
[1] Die Umsatzangaben für den Naturkostfacheinzelhandel basieren auf der Hochrechnung der Umsatzdaten des Naturkostgroßhandels, erhoben im Rahmen der BNN-Marktdatenerhebung 2021.
2 Vgl. Rheingold Institut: Kunden für die Transformation der Lebensmittel-Wirtschaft gewinnen, 11/2021, Köln