Die Geschichte der Wandmalereien ist eine des sich wandelnden Kunstgeschmacks: Die Fresken waren während der Domrestaurierung ab 1957 aus dem Dom entfernt worden, weil die religiös-romantische Kunstrichtung der Nazarener-Bewegung, der Schraudolph angehörte, damals als Kitsch verpönt war. Außerdem passten die farbenfrohen Bilder nach damaliger Auslegung nicht zur romanischen Bauweise der weltberühmten Kathedrale. Viele der Kunstwerke wurden zerstört, doch einige konnten gerettet und eingelagert werden: Bilder aus dem Stephanus-Zyklus, aus dem Bernhard-Zyklus und als Hauptwerk die monumentale Marienkrönung. Inzwischen ist ihr künstlerischer Wert längst wieder unbestritten. Die Fresken wurden in mühevoller Kleinarbeit restauriert, um sie wieder für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Kaisersaal erhält konkrete Bestimmung
Der Kaisersaal im Weltkulturerbe Speyerer Dom hat mit der Dauerausstellung der Schraudolph-Fresken erstmals eine konkrete Bestimmung erhalten. Zuvor stand der 500 Quadratmeter große Saal im Westbau des Doms leer oder diente als Lagerraum. 2010 begann der Ausbau mit Mitteln aus dem Konjunkturpaket II. „Weil der Saal nie richtig genutzt worden war, gab es keinen historischen Befund“, berichtet Architekt Mario Colletto, der noch als stellvertretender Dombaumeister mit der Ausgestaltung des Kaisersaals beauftragt wurde. Seit Januar ist er Dombaumeister. „Wir mussten den Raum komplett neu fassen“, betont er. Für die elf Meter breite und siebeneinhalb Meter hohe Marienkrönung, die in der Apsis des Chorraums hing, wurde sogar eine Kuppelkonstruktion aus Gips nachgebildet. Bei der Farbgebung und ornamentalen Gestaltung orientierte Colletto sich an Vorlagen des Dekorationsmalers Joseph Schwarzmann, der gemeinsam mit Schraudolph Mitte des 19. Jahrhunderts dem Dom ausgemalt hat.
Mineralische Optik mit Histolith Innenkalk
Üblicherweise werden Anstriche im fast 1000 Jahre alten Speyerer Dom mit einfacher Kalkfarbe ausgeführt, die in den Werkstätten des Doms in großen Fässern vorrätig ist. „Für bestimmte Bereiche im Kaisersaal brauchten wir aber kräftigere Farben, als sie mit reinem Sumpfkalk möglich sind“, erklärt Colletto. Er erkundigte sich, welche Kalkfarben es am Markt gibt, und seine Wahl fiel auf die Produktserie Histolith aus dem Hause Caparol, die speziell für den Einsatz in denkmalgeschützten und historischen Gebäuden entwickelt wurde. Der Histolith Innenkalk auf Basis von Kalkhydrat enthält Leinöl für die Verbesserung des Pigmentbindevermögens und damit für die Farbkräftigkeit. Die Grundfarbe ist Weiß, das Produkt ist aber in vielen Farbtönen abtönbar. Der Anstrich ist zudem hoch wasserdampfdurchlässig, saugfähig und sorptionsfähig, spannungsarm und mehrfach überstreichbar. „Die Histolith-Kalkfarben haben sich bereits bei der Restaurierung von zahlreichen historischen Gebäuden ausgezeichnet bewährt. Weil ihre Oberfläche wischfest ist, eignen sich unsere Kalkfarben auch sehr gut als Wandanstrich für Wohnbauten und erfreuen sich daher insbesondere im ökologisch geprägten Baubereich zunehmender Beliebtheit “, sagt Dr. Christian Brandes von der Caparol-Baudenkmalpflege.
Colletto ließ sich Musterflächen zeigen und Mischproben anfertigen, er prüfte Deckkraft und Trocknung – und war schließlich überzeugt. „Die Farben sind sehr gut. Sie entsprechen von der mineralischen Optik her der Oberfläche des Kalks und haben sehr gute physikalische Eigenschaften, zum Beispiel eine hohe Dampfdiffusionsoffenheit“, sagt Colletto. Alle Gewölbe im 25 Meter hohen Kaisersaal wurden mit Histolith Innenkalk gestrichen – in kräftigem Blau, Rot, Grün und Gelb. Auch für die Applikationen und Dekomalereien wurde der Kalkanstrich von Caparol verwendet.
Hohe Deckkraft spart Zeit
Die für Kalkfarben untypische hohe Deckkraft des Histolith Innenkalks überraschte Colletto: „Zweimal streichen reicht aus – den normalen Sumpfkalk muss man fünf Mal auftragen.“ Diese Eigenschaft ermöglicht flottes Vorankommen, was insbesondere bei Termindruck von Vorteil ist. „Wenn man für große Flächen wenig Zeit hat und kostenorientiert arbeiten muss, sind die Kalkfarben der Histolith-Reihe ideal“, findet Colletto. „Gezielt eingesetzt sind sie eine gute Alternative im Denkmalbereich. Nur Fachleute können erkennen, dass es sich um industriell gefertigte Kalkfarbe handelt. Das gewährleistet ein hohes Maß an Authentizität.“
Die Malerarbeiten im Kaisersaal führten zwei auf Kirchenmalerei spezialisierte Firmen aus: Kirchenrestaurierer Johann Kallinger aus Bayern und der Malerbetrieb Bernhard Weimert aus Offenbach an der Queich. „Die Histolith Produkte können aber auch von normalen Malerbetrieben verarbeitet werden“, bemerkt Colletto. Sie eigneten sich daher beispielsweise auch für Kirchen in ländlichen Regionen.
Das Licht der Heiligen erhellt den Kaisersaal
Kalk als Anstrichmittel war im Kaisersaal nicht nur der historischen Authentizität wegen erste Wahl. Als grundsätzlich matte Farbe mit hohem Maß an Lichtbrechung passt er auch zum indirekten Beleuchtungskonzept des Ausstellungsraums, das sich der Dombaumeister ausgedacht hat: „Wir arbeiten hier mit Streiflicht“, erklärt er. Die Bildträger der teilweise 100 Quadratmeter großen Schraudolph-Fresken enthalten Lichtleisten mit LED-Lampen, die die Wandgemälde von vier Seiten aus verschiedenen Winkeln anstrahlen. Das Licht der Leuchtdioden hat keinen UV-Anteil, das reduziert den Insektenbefall. Die wenige Wärme wird über die Bildträger abgeführt.
„Durch die flächige Beleuchtung der Bilder erreichen wir, dass im gesamten Raum kein weiteres künstliches Licht nötig ist“, erklärt Colletto. Wie früher, als ausschließlich Kerzen in den Kirchen brannten und das Gold der Heiligendarstellungen das Licht reflektierte, wird nun auch der Kaisersaal allein durch die Beleuchtung der Kunstwerke illuminiert – die Heiligen erhellen gewissermaßen den Raum. „Das ist ja ein sakraler Raum“, betont Colletto, „da kann man nicht einfach auf die Bilder draufstrahlen wie im Museum.“ Der geistliche Charakter des Kaisersaals wird den Besuchern der Freskenausstellung auch durch die Sichtbeziehung zum Innenraum des Doms vergegenwärtigt: Eine Glastür zur Empore ermöglich den Blick in die Kathedrale und durch das mit einer Glasplatte abgedeckte Glockenloch im Fußboden kann man in die Vorhalle schauen.
Nina Voigt
INFOBOX: Die Restaurierung der Schraudolph-Fresken
Als die Schraudolph-Fresken 1957 aus dem Speyerer Dom entfernt wurden, beauftragte das Domkapitel den Herxheimer Restaurator Otto Schultz damit, die größten und wichtigsten Werke abzunehmen und zu retten. Nach Angaben des Bistums Speyer gelang es Schultz, mit Knochenleim und Hanfgewebe die oberste Malschicht vom Putz zu lösen. Die Gemälde lagerten dann zusammengerollt zwei Jahrzehnte im Kaisersaal, bis Anfang der 80er Jahre der Restaurator Vitus Wurmdobler ein Verfahren entwickelte, um die Schauseite der Bilder wieder sichtbar zu machen: Nach der Reinigung von allen Putzresten wurde die Rückfläche der Malschicht laut Bistum mit einem Glasfasergewebe als neuem Träger verschmolzen. Hanfstoff und Knochenleim auf der Bildoberfläche wurden mit aufgeweicht, bis sich die Stoffflicken abziehen ließen und die auf dem Glasfasergewebe haftende Malschicht wieder frei lag. In seiner Werkstatt in Erbes-Büdesheim konservierte und restaurierte Wurmdobler die Fresken über drei Jahrzehnte.