Gemeinschaftlich erschlossen – getrennt gebaut
Als das ehemalige Rechtsmedizinische Institut der Göttinger Universität seinen Standort am Windausweg aufgab, nutzten drei ortsansässige Wohnungsunternehmen die Gunst der Stunde und erwarben das 27.000 Quadratmeter große Gelände in erstklassiger Lage vom Land Niedersachsen zum Zwecke der Wohnbebauung. Die Erschließung des Baufeldes erfolgte durch die Eigentümer gemeinsam, die Bebauung behielt sich der jeweilige Bauherr vor. Das komme der Vielfalt der Stadt zugute, argumentierte Vorstandsmitglied Scherrer und verwies in diesem Zusammenhang auf die Sünden der 70er Jahre. Im Rahmen eines 2007 von der Stadt Göttingen ausgelobten Gutachterverfahrens entstanden die planungsrechtlichen Voraussetzungen für das neue Wohnquartier am Windausweg. Bezahlbarer Wohnungsbau in exponierter Lage, so Scherrer, sei nur bei optimaler Grundstücksausnutzung und entsprechenden baurechtlichen Rahmenbedingungen zu machen.
Zeitgemäß bauen heißt für die Wohnungsgenossenschaft Göttingen e.V. nicht nur, der Vielfalt der Wohnbedürfnisse Rechnung zu tragen, sondern Nachhaltigkeit und Energieeffizienz oberste Priorität einzuräumen. Das war zugleich Voraussetzung für die Erlangung zinsgünstiger KfW-Kredite und die Bezahlbarkeit des Wohnraums. „Mit jährlich 40 kWh/m² Primär- und 15 kWh/m² Heizenergiebedarf erreichen wir den energetischen Standard von Passivhäusern“, konstatierte Scherrer.
Gespräch mit künftigen Bewohnern gesucht
Die Planung des anspruchsvollen Projektes hatte die Wohnungsgenossenschaft an das renommierte in Göttingen ansässige Büros bmp architekten vergeben. Architekt und Stadtplaner Jochen Görres von bmp verwies darauf, dass im Planungsprozess entscheidende Impulse im Gespräch mit den künftigen Bewohnern der Wohngebäude ausgingen. Denn das öffentliche Interesse am Wohnungsbauvorhaben Windausweg war von Anfang an groß. Dafür sorgten neben der günstigen Lage des Quartiers die Attraktivität des Ensembles und die Vielfalt des Wohnangebots. Im Baufeld der Wohnungsgenossenschaft bilden zwei riegelförmige fünfgeschossige Bauten und zwei viergeschossige Stadtvillen mit Wohnungen für junge Familien, Zwei-Personen-Haushalte und Singles sowie altersgerecht gestaltete Wohnungen einen gemeinsamen Gartenhof.
Die Genossenschaft, hob Scherrer hervor, habe in den Gesprächen über zeitgemäßes Bauen eine Reihe von Überraschungen erlebt. So sprachen sich zum Beispiel viele der Befragten für einen vom Bauherrn in der Wertigkeit unterschätzten Mieterkeller aus. Das angedachte offene Wohnen stieß zunächst auf Vorbehalte, im Verlaufe der Diskussion aber zunehmend auf Akzeptanz. Eine wichtige Rolle spielten im Dialog mit den Nutzern Fragen der Energieeffizienz und Haustechnik. Es sei nicht von vornherein klar gewesen, wohin die „Reise“ energetisch führen würde, gestand Architekt Görres ein. Fest stand jedoch, dass der ins Auge gefasste Passivhaus-Standard zwingend den Einsatz von Wohnungslüftungsanlagen erforderte. Aus der Abfrage individueller Bedürfnisse und Wünsche nach Wohnqualität entstand das Konzept eines Wohnungsbauprojektes, das auf weitgehend maßgeschneiderte, energetisch effiziente Wohnungen abzielte.
Das Projekt nimmt Gestalt an
Ihr hohes energetisches Niveau verdanken die Wohnbauten am Windausweg dem perfekten Zusammenspiel von Gebäudehülle und Haustechnik. Man habe dabei das Angebot des Marktes ausgereizt, bemerkte Architekt Görres, und bei der Wahl der Dämmmaterialien hohe Maßstäbe angelegt. Das Capatect Wärmedämm-Verbundsystem mit der Dalmatiner Fassadendämmplatte, das Planer- und Objektberater Peter Schmidt offerierte, erwies sich in jeder Hinsicht als am besten geeignet. „Es handelte sich um ein zugelassenes System, entsprach den Anforderungen des Brandschutzes und stand in den benötigten Stärken zur Verfügung“, resümierte der Planer. Für die 17,5 cm starken Außenwände aus Kalksandstein wurden 300 mm, für die Kellerdecken 200 bis 250 mm und für die Flachdächer im Mittel sogar 400 mm Dämmstärke benötigt. Peter Schmidt führte weitere überzeugende Argumente zugunsten des Carbonfaser-WDVS und der vorgeschlagenen NQG-Beschichtung ins Feld. Die angebotene widerstandsfähige Carbonfaser-Armierung schützt die Dämmung zuverlässig gegen Vandalismus, unabsichtliche Zerstörung oder Witterungsunbilden wie zum Beispiel Hagel und wird damit der Forderung nach nachhaltiger Bauweise gerecht. Diesem Anliegen trägt auch die finale Beschichtung mit ThermoSan Fassadenputz und - Fassadenfarbe Rechnung, die die Oberfläche deutlich härter einstellt und einen wirksamen Schutz vor Algen- und Pilzbefall bildet. Die in der Nano-Quarz-Gitter (NQG)-Technologie hergestellten Putze und Farben wirken darüber hinaus der Schmutzanhaftung entgegen und leisten auf diesem Wege ihren Beitrag zur Langlebigkeit.
Den Zuschlag für die Ausführung der Arbeiten erhielt die Malerwerkstätten GmbH Lohrengel aus der Region, die Produkte von Caparol schätzt und den Umgang mit Capatect-WDVS beherrscht. Die Dransfelder Firma kann wie die Wohnungsgenossenschaft auf ein 120jähriges Bestehen zurückblicken. Sie bietet mit ihren bis zu 80 Mitarbeitern ein breites Spektrum von Leistungen an, arbeitet überwiegend im Bestand und bringt es im Jahr auf 15.000 bis 20.000 Quadratmeter Fassadensanierung. Stuckateurmeister Daniel Dietrich, der auf der Baustelle Regie führte, bezeichnete die logistische Bewältigung der Materialmengen als größte Schwierigkeit. Nach erfolgreicher Fertigstellung der Gebäudehülle mit den optisch reizvollen hölzernen Fensterschiebeläden wollte es die Genossenschaft genau wissen und unterzog die Gebäude einem Blower-door-Test, der zu ihrer Zufriedenheit ausfiel. „Wir wollten sicher sein“, sagte der Technische Leiter, „dass die den Bewohnern laut Bauvertrag geschuldete Qualität erbracht und das durch Undichtigkeit der Gebäudehülle verursachte Bauschadensrisiko minimiert ist“.
Modernste Technik im Einsatz
Für die Wärmeerzeugung der Gebäude reicht jeweils eine Gastherme aus. Sie wird unterstützt durch eine zentrale Lüftungsanlage, die über ein Zweirohrsystem frische Zuluft in die Wohnräume bläst, die mit Abluftwärme vorgewärmt ist. Gegenüber dezentralen Anlagen sei die Antriebsleistung geringer und die Wartung weniger aufwändig. Das Miteinander von Bauherr, Planer und Bewohnern hat am Göttinger Windausweg ein Wohnensemble hervorgebracht, das das Prädikat zeitgemäß und nachhaltig verdient. „Wir halten es für einen sinnvollen Ansatz“, so Vorstandsmitglied Carlo Scherrer abschließend, „sich mit einer gut gedämmten ressourcenschonenden Gebäudehülle für den Wandel in der Energieträger-Landschaft zu wappnen.“
Bautafel
Objekt: Am Windausweg Göttingen
Auftraggeber: Wohnungsgenossenschaft Göttingen e.G, Oesterleystr.4, 37083 Göttingen
Planung: bmp architekten,Görres Duhm GbR, Am Ebelhof 12, 37075 Göttingen
Rohbau: ARGE Windausweg BF 5 HMN –Ziegenhorn , 37124 Rosdorf/37154 Northeim
WDVS: Lohrengel Malerwerkstätten GmbH, Poststr. 3, 37127 Dransfeld
Heizung/Sanitär: Daume GmbH, Brandenburger Str. 1, 37115 Duderstadt
Bauzeit: 2010 - 2011