Jun Ye, der wie Hall am JILA der Universität von Colorado und zugleich am National Institute of Standards and Technology (beide in Boulder) forscht, hat die „Vorlage“ von Hänsch und Hall aufgegriffen und die optische Messtechnik weiterentwickelt. Für seine experimentellen Arbeiten im Bereich der Femtosekundenlaser und Frequenzkämme wurde er mit einer der weltweit renommiertesten Auszeichnungen auf dem Gebiet der Optik geehrt, die auf der 18. interna- tionalen Fachmesse „LASER 2007. World of Photonics“ verliehen wurde. Die Auszeichnung, die mit 25.000 Euro dotiert ist, wird vom Ernst-Abbe-Fonds im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft alle zwei Jahre für herausragende Leistungen internationaler Optikforschung vergeben. Sie alterniert mit dem Otto-Schott- Forschungspreis für besondere Leistungen in der Glasforschung.
Mit der Frequenzkammtechnik ist es erstmals möglich, auf einfache Weise die Schwingungen des Lichts mit höchster Genauigkeit zu messen. „Wir sind heute so weit, dass wir 500.000 Milliarden Schwingungen in der Sekunde zählen können“, betont Hänsch. Jun Ye hat diese Mög- lichkeiten ergriffen und sich weltweit mit an die Spitze bei der Entwicklung von Frequenzstabilisierten Lasern und der daraus abgeleiteten Messtechnik katapultiert. So hat er mit seiner Gruppe im weltweiten Wettlauf um die beste optische Atomuhr ein Zeichen gesetzt: Seine Messanordnung gehört hinsichtlich Präzision und Stabilität zu den führenden Einrichtungen rund um den Erdball, wobei bestimmte optische Übergänge in Strontium-Atomen genutzt werden. Experten gehen davon aus, dass diese Uhr die Zeit präziser messen kann als die Cäsium-Uhr des National Institute of Standards and Technology (NIST), die in den USA ähnlich wie in Deutschland die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) Zeit und Frequenz vorgibt. Und dabei schon ziemlich genau ist, denn das „zeitliche Fehlverhalten“ liegt bei einer Sekunde in etwa 70 Millionen Jahren. „Wir benutzen eine Wolke aus extrem kalten Strontium-Atomen, die extrem schnell ticken, ein zweiter Laser zählt dann die Ticks“, erklärt Jun Ye, der hofft, dass am Ende seine Uhr um den Faktor 100 besser ist als die des NIST.
Unvorstellbar präzise Uhren verbessern die Navigation Genauere Uhren sind nicht nur eine Spielerei der Physiker, sondern in vielen Bereichen von großem Wert. „Das betrifft zum Beispiel die Navigation auf große Entfernungen. Je genauer die hier verwendeten Uhren sind, desto exakter wird auch die Positionsbestimmung“, erläutert Dr. Augustin Siegel, Leiter Konzernfunktion Forschung und Technologie von Carl Zeiss. Die Anwendungs- möglichkeiten reichen von besseren GPS-Systemen bis zur Bestimmung von weit entfernten Raumfahrzeugen. So wie zum Beispiel die Sonde Voyager 1, die vor 30 Jahren gestartet wurde und inzwischen unser Sonnensystem verlassen hat.
Darüber hinaus sind Frequenzkämme unschätz- bare und unverzichtbare Werkzeuge für die so genannten Hochgeschwindigkeitswissenschaften (ultrafast sciences). Gerade durch das Vordringen der Forschung in den Bereich von einzelnen Atomen und Molekülen, wie sie für den Nanokosmos typisch sind, werden immer kürzere Lichtblitze benötigt. Chemische Reaktionen starten mit der Bewegung von Elektronen – und die benötigen nur Attosekunden, also Trillionstel Sekunden (oder Milliardstel von Milliardstel Sekunden). Um es verständlicher zu machen: Eine Minute hat mehr Attosekunden als Minuten seit dem Urknall vergangen sind. Femtosekundenlaser sind zwar um den Faktor 1.000 langsamer, aber immer noch schnell genug, um die Bewegung von Atomen in Molekülen durch physikalische, chemische oder biologische Wirkungen zu beobachten. „Bisher waren wir in der Lage, einzelne Atome zu identifizieren. Die neue Art der Spektroskopie erlaubt uns erstmals auch mit unglaublicher Präzision, Moleküle zu bestimmen“, betont Dr. Ronald Holzwarth, Technischer Leiter der Menlo Systems GmbH (Martinsried), einem Hersteller von Frequenzkammsystemen. Holzwarth gehört mit Hänsch zu den Gründern dieses Starups in den Optischen Technologien, dessen Systeme insbesondere von Eichbehörden sehr gefragt sind. Diese Spektroskopie generiert eine Art Fingerabdruck von Molekülen, der in dieser Empfindlichkeit und Genauigkeit bislang nicht möglich war.
Wurden die bisherigen Carl-Zeiss-Forschungspreise auch für sehr anwendungsnahe Themen wie die Photodynamische Therapie am Auge oder die Entwicklung der blauen Leuchtdiode verge- ben, ist das diesjährige Thema eindeutig eine Grundlagenarbeit. „Es gibt noch keinen Ansatz für eine industrielle Anwendung der Arbeiten von Jun Ye. Fasziniert hat uns vielmehr, mit welcher Geschwindigkeit und welchem experimentellen Geschick unser Laureat einen Nobelpreis in forschungsrelevante Umsetzungen gebracht hat“, begründet Siegel die Entscheidung der Jury. Zahlreiche weitere Auszeichnungen, die Jun Ye bereits erhalten hat, zeigen eines ganz eindeutig: Die Fußstapfen der Vorbilder sind zwar wahrlich groß, aber offenbar nicht übergroß für den sympathischen Amerikaner.