Auch wenn die Auftragsbücher gut gefüllt sind und mehr als 96% der Betriebe im Dachdeckerhandwerk die weiteren Aussichten als „sehr gut“ bis „befriedigend“ beurteilen: Wenn der Nachwuchs fehlt, muss der Kunde möglicherweise auch mal warten. Das jedenfalls befürchtet Baden-Württembergs Dachdecker-Landesinnungsmeister Hans-Peter Kistenberger. Denn dem positiven Trend bei den Baugenehmigungen (+4% bei Wohngebäuden und 30% bei Nichtwohngebäuden) steht ein Rückgang der Lehrlingszahlen von 11,3% gegenüber. Nach Kistenbergers Meinung ist aber nicht der demografische Wandel, sondern der Trend zum „Abitur um jeden Preis mit nachfolgendem Studium-Versuch“ Schuld an der Nachwuchs-Misere im gesamten Handwerk.
Daher startet sein Landesinnungsverband eine Nachwuchskampagne, mit der auf die Vorteile der Ausbildung im Handwerk und die Karriere- und Verdienstchancen deutlich hingewiesen wird. Unter dem Motto „Oben ist das neue vorn“ wird landesweit – auch unter Einsatz des verbandseigenen Dachdecker-Show-Trucks - das Dachdeckerhandwerk als zukunftssichere Alternative zum oft wackeligen Schreibtischjob präsentiert.
Zu etwas mehr Geduld bei der Auftragsbearbeitung, die Bauherren in Kauf nehmen müssen, haben natürlich auch die Wetterkapriolen des vergangenen Jahres beigetragen. So entstand ein Auftragsstau, der inzwischen aber immer weiter abgearbeitet werden konnte.
Als Bremsklotz, der leider immer noch nicht dauerhaft beseitigt ist, nennt Landesinnungsmeister Kistenberger die HBCD-Entsorgungsproblematik. Nach wie vor gibt es nur eine zeitlich befristete Vereinbarung zur Entsorgung von Styropor-Dämmstoffen. „Und das in einer Zeit der Niedrig-Zinsen, die Investitionen in die energetische Optimierung so lohnend wie selten machen“, so der Landesinnungsmeister. Leider aber haben auch die zeitweise drastisch gesunkenen Energiepreise den Bauherren vorgegaukelt, dass sich solche Investitionen nicht mehr lohnen, vermutet Kistenberger. Dabei ist nach seiner Ansicht die beste Geldanlage die Investition in den Werterhalt und die Wertsteigerung einer Immobilie.
Die unmittelbaren wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Entsorgungsproblematik dokumentiert die Handwerksberichterstattung des Statistischen Bundesamtes für das 4. Quartal 2016: Trotz weitgehend voller Auftragsbücher haben die deutschen Dachdeckerbetriebe das Jahr 2016 ohne Umsatzwachstum abgeschlossen. Grund dafür waren allein die schlechten Umsätze im letzten Quartal 2016, die um 4,2 % unter dem Vergleichswert des Vorjahres lagen. Viele Dachdeckerbetriebe konnten Aufträge nicht ausführen bzw. erst gar nicht annehmen, weil die Entsorgung der alten Dämmstoffe nicht möglich war.
Als „wenig Kunden- und Qualitätsorientiert“ könnte sich nach Meinung des Landesinnungsmeisters die von der EU geplante „elektronische Dienstleistungskarte“ erweisen. Sie soll grenzübergreifend auch dem Bauhandwerk neue Kundenkreise erschließen. Kistenberger befürchtet aber, dass aufgrund der hohen Personalnebenkosten in Deutschland dies zu einem recht einseitigen grenzüberschreitenden „Bauhandwerks-Tourismus“ aus anderen EU-Staaten führen wird. Diese „Nebenstrecke“ wird nach seiner Ansicht teilweise eine „Überholspur“, worunter die gewohnt hohe Qualität von Handwerkerleistungen mit dem Hintergrund der bewährten deutschen Meisterpflicht leiden könnte.
Dennoch blickt Hans-Peter Kistenberger optimistisch in die Zukunft des Fachgewerks für die Dach-, Wand- und Abdichtungstechnik, so die offizielle Definition. „Das hohe Leistungs- und Qualitätsniveau unserer Dachdeckerbetriebe zahlt sich langfristig für die Bauherren aus – denn nichts ist teurer als ein neues, undichtes Dach vom Billiganbieter“.