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Was heißt hier "blöde"?

Festwoche zum 300. Geburtstag des Dichters, Sammlers und Netzwerkers Gleim

(lifePR) (Halberstadt, )
Am 2. April 2019 jährt sich der Geburtstag von Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) zum 300. Mal. Das Gleimhaus in Halberstadt feiert dies mit dem Jubiläumsprogramm Gleim300, das mit einer Festwoche beginnt.

Staats- und Kulturminister Rainer Robra, der Schirmherr des Programms, eröffnet die Festwoche am 2. April 2019, um 14 Uhr. Bei dem Festakt wird auch die Audioinstallation „Sprechende Bilder“ in Betrieb genommen, welche die Briefe aus Gleims Literaturarchiv mit der Porträtgemäldesammlung in seinem „Freundschaftstempel“ verbindet. Zudem wird die Neuauflage der seit längerem vergriffenen „Auserwählten Werke“ Gleims vorgestellt. Deren Herausgeber, der Gleim-Kenner Walter Hettche, spricht über Gleims Dichtung. Schauspieler des Nordharzer Städtebundtheaters sorgen für einen poetischen Rahmen.

Am Samstag, dem 6. April, um 20 Uhr, lädt das Gleimhaus in Kooperation mit dem Nordharzer Städtebundtheater zur „Gleim-Nacht“ mit Kostümen aus dem Rokoko, kulinarischen Köstlichkeiten und einer Inszenierung von Gleims Drama „Der blöde Schäfer“ ein.

Gleim wurde als junger Autor mit scherzhafter Dichtung von Wein, Weib und Lebensfreude nach dem Muster des griechischen Dichters Anakreon gleichsam über Nacht berühmt. Häufig sind seine Gedichte in der Schäferwelt angesiedelt. Auch ein Schäferstück brachte er auf die Bühne, das ebenso leichtfüssig, heiter, sinnenfroh – eben scherzhaft – ist wie seine Dichtung, ein Paradebeispiel der Lebensfreude des Rokoko. „Blöde“ bedeutet in der Sprache der Zeit „schüchtern“. Die Schüchternheit eines Schäfers kostete Gleim ihrem beträchtlichen komischen Potenzial nach aus.

Nachdem Gleim mit scherzhafter Dichtung berühmt geworden war, steigerte er seine Popularität durch literarisch völlig neuartige patriotische Dichtung während des Siebenjährigen Krieges noch beträchtlich. Auch als Fabeldichter hatte er zwischenzeitlich Anerkennung gefunden. Ein weiterer Bestseller gelang ihm mit der Spruchdichtung „Halladat oder das rote Buch“. Mit Arbeiten in den verschiedensten literarischen Gattungen einschließlich des Briefes hat Gleim in der deutschen Literatur der Aufklärung bedeutende Impulse gesetzt. Er war einer der meistgelesenen Autoren seiner Generation und bis ins hohe Alter auch als moralische Instanz geachtet.

Indes wurden seine lebens- und sinnenfrohen Gedichte bald als läppisch abgetan. Gleim wurde zum Inbegriff des Unernsten wie seine Epoche, das Rokoko, überhaupt. Ein missgünstiges Wort Goethes tat ein Übriges, seinen Ruf zu beschädigen. Die patriotischen Gedichte erregten spätestens seit Mitte des 20. Jahrhundert Missbehagen. Gleim wurde beinahe zur Unperson. Vielleicht erlitt kein anderer Dichter durch die Literaturgeschichtsschreibung der Jahrhunderte einen derartigen Verfall seiner Wertschätzung wie eben Gleim. Lediglich als Genie der Freundschaft, als Sammler und Archivar der deutschen Aufklärung blieb sein Ansehen ungebrochen. Gleim hat eine Porträtgalerie der Dichter und Denker seiner Zeit, eine beachtliche Bibliothek und das erste deutsche Literaturarchiv zusammengetragen. Die Sammlungen sind in seinem einstigen Wohnhaus am Halberstädter Dom, das 1862 als eines der ersten deutschen Dichtermuseen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, erhalten. Literarisch jedoch blieb Gleims Ruf miserabel. Immerhin beschäftigt sich die Germanistik seit den letzten Jahrzehnten wieder verstärkt mit dem Dichter. In der Ausstellung „Scherz – die heitere Seite der Aufklärung“ will das Gleimhaus ab Juni 2019 das streitbare Phänomen ‚Scherz‘ darstellen, das als Stilprinzip des Rokoko gelten kann, aber auch bis heute von geselligkeitsstiftender Bedeutung ist.

Zur Gleim-Nacht sind die Gäste auch im historischen Kostüm gern gesehen. Der Eintritt ist frei.

Weitere Informationen unter www.gleim300.de

Gleim-Woche, Gleim300
2. April 2019, 14.00 Uhr | Festakt zum 300. Geburtstag Gleims mit Inbetriebnahme der Audioinstallation „Sprechende Bilder“ in Gleims Freundschaftstempel und Präsentation der Neuauflage von Gleims „Ausgewählten Werke“
3. April 2019, 19.30 Uhr | Lauter lächelnde Leute – Selfie mit Gleim
4. April 2019, 19.30 Uhr | Geselliger Abend mit Kostbarkeiten aus der Gleim-Bibliothek
5. April 2019, 19.30 Uhr | Briefeschreiber in ihrem Element
6. April 2019, ab 20.00 Uhr | Gleim-Nacht
7. April 2019, 14.00 Uhr | Feier von Gleims Geburtstag für kleine und große Gäste
15. Juni bis 15. September | Scherz – die heitere Seite der Aufklärung. Ausstellung zum 300. Geburtstag Johann Wilhelm Ludwig Gleims. Mit umfangreichem Veranstaltungsprogramm
21. bis 30. September | Netzwerk – Dichtung – Bildungslust. Gleim-Literaturtage (=Landesliteraturtage Sachsen-Anhalt)
26. Oktober 2019 bis 2. April 2020 | aufklärung.mit.machen – Eine Ausstellung für und mit Menschen der Gegenwart

Johann Wilhelm Ludwig Gleim wurde als Sohn eines Steuereinnehmers 1719 in Ermsleben bei Aschersleben geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft in Halle lebte er in Berlin und Potsdam und kam 1747 als – modern gesagt – Verwaltungsleiter des Domstiftes nach Halberstadt, wo er bis zu seinem Tod 1803 lebte. Waren es in seiner Jugend seine dichterischen Werke, die ihn bekannt machten, so wurde es im Alter mehr und mehr seine Förder- und Sammlungstätigkeit. Gleim war im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts der größte bürgerliche Mäzen für junge Dichter im nord- und mitteldeutschen Raum. Er nutzte seine vielen hundert Freund- und Bekanntschaften, um etwas für die deutsche Literatur zu tun. "Vater Gleim" – wie er genannt wurde – war eine Instanz im literarischen Leben.

Gleim betrachtete die Bildnisse seiner Freunde in seinem Freundschaftstempel nicht nur, er prostete ihnen zu, küsste sie, sprach mit ihnen. Doch Gleim hat seine Freunde nicht nur malen lassen, sondern auch rege Briefwechsel mit ihnen geführt und diese Briefe zum Grundstock seines Literaturarchivs gemacht.

Das Projekt „Sprechende Bilder“ verknüpft dieses Archiv mit den Porträts zu einer Audioinstallation in Gleims Freundschaftstempel. Die Besucher werden die Bilder zum Sprechen bringen. 31 Porträts können gezielt nach 10 Themen befragt werden: Gleim, Porträt, Literatur, Zeitereignisse, Scherz, Freundschaft, Pläne, Streit, beim Hausherrn, Persönliches. Schauspieler des Nordharzer Städtebundtheaters haben hierfür Passagen aus Briefen Gleims und seiner Freunde eingesprochen. Die Installation wird entwickelt und realisiert in einer Kooperation der Halberstädter Kreativagentur „Ideengut“ mit den Studiengängen „Medieninformatik“ und „Medien- und Spielekonzeption“ der Hochschule Harz und dem Gleimhaus. Das Projekt wird gefördert von der Investitionsbank Sachsen-Anhalt im Rahmen des Programms „Sachsen-Anhalt DIGITAL“.

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