Spannend, hintergründig, präzise: Fortschritte in der Therapie der Multiplen Sklerose
Die größte Anzahl therapeutischer Innovationen in der Neurologie fanden in jüngster Zeit im Bereich der Multiplen Sklerose statt. Die Entwicklungen in der Behandlung der vergangenen Jahre sind so bedeutend, dass Anna-Lena Dohrmann diesem Thema ein fast halbstündiges Radio-Feature widmet. "Ende der Lähmung? Aufbruchstimmung bei Multipler Sklerose" wurde im Deutschlandfunk ausgestrahlt und jetzt mit dem Deutschen Journalistenpreis Neurologie in der Kategorie "Elektronische Medien" prämiert. Die Sendung zeichnet sich besonders durch einen faszinierenden, aber nicht unkritischen Blick auf diese neuroimmunologische Erkrankung aus. Patienten, Ärzte und Wissenschaftler kommen zu Wort. Es bleibt 26 Minuten lang spannend. Die Jury wertet dieses Hörfunk-Feature als herausragend, weil es ein Vorbild für andere journalistische Arbeiten darstellt und zeigt, wie ein hochkomplexes Thema dramaturgisch unterhaltend - aber nicht trivial - für ein Laienpublikum aufgearbeitet werden kann. "Ich möchte mich bei allen bedanken, die sich viel Zeit genommen haben, mir das Rätsel Multiple Sklerose näher zu bringen", sagt Dohrmann. "Die Umsetzung war nur möglich, weil mich engagierte Ärzte und Wissenschaftler in ihren Alltag blicken ließen und viele Betroffene mir von ihrem Schicksal erzählten."
Anna-Lena Dohrmann, geboren 1986 in Kiel, hat in Bremen Journalistik studiert und studiert derzeit Medizin in Leipzig. Parallel arbeitet sie als freie Journalistin, hauptsächlich für den Deutschlandfunk und den MDR sowie das Lokalradio der Universität Leipzig, mephisto 97,6. Im Juli 2014 wurde sie mit dem Autorenpreis Sklerodermie ausgezeichnet.
Investigativ, kritisch, hartnäckig: Problematische Tendenzen bei klinischen Studien
Auch das Dossier "Eine Überdosis Risiko" von Nadine Ahr (Foto l.) und Christiane Hawranek beschäftigt sich mit der Krankheit Multiple Sklerose - allerdings aus einem ganz anderen Blickwinkel. Die beiden Journalistinnen haben recherchiert, wie Pharmafirmen klinische Studien zu neuen Medikamenten für diese Krankheit unter oftmals fragwürdigen Bedingungen im Ausland durchführen lassen. Dort existiert ein Ethikrat meist nur auf dem Papier, Nebenwirkungen werden verschwiegen, Patienten unter Druck gesetzt. Denn jeder Proband bedeutet für den vermittelnden Arzt einen finanziellen Gewinn. Außerdem sind klinische Studien oft die einzige Chance für die Patienten, mit guten Medikamenten behandelt zu werden, die die klammen Krankenkassen nicht bezahlen. Läuft die Studie aus, endet auch die Behandlung.
Die Recherchen für diese Geschichte waren langwierig, fast ein halbes Jahr kämpften sich die Autorinnen durch ein Dickicht des Schweigens, bis sie Patienten und Ärzte als Interviewpartner gewinnen konnten. Sie reisten nach Moskau und St. Petersburg, um ihre Informanten zu treffen.
"Es war wichtig, dass wir diesen Artikel als Team recherchiert haben. Jeder von uns hätte zwischendurch aufgegeben, wenn nicht die andere zum Weitermachen ermutigt hätte", sagt Nadine Ahr. Ermöglicht wurden die Recherchen durch eine Kooperation von BR und DIE ZEIT. Zusätzlich zum Artikel sendete der Bayerische Rundfunk ein Hörfunk-Feature (Funkstreifzug, B5 aktuell/ Notizbuch, Bayern 2). Den Auftraggebern gilt Dank, dass sie in Zeiten knapper redaktioneller Ressourcen ihre Autoren so umfangreich unterstützt haben.
"Der Artikel zeichnet sich durch eine kritische, aber unvoreingenommene und herausragend recherchierte Argumentation aus und bringt Tatsachen ans Licht, die hierzulande der Öffentlichkeit noch kaum bekannt sind", urteilt Professor Hans-Christoph Diener, Mitglied der Jury und Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.
Nadine Ahr, geboren 1982 in Hannover, arbeitet als Pauschalistin für das Ressort Dossier bei der ZEIT. Sie hat in Hannover Geschichte, Politik und Medienwissenschaften studiert und ist Absolventin der Evangelischen Journalistenschule in Berlin. Nadine Ahr wurde mit dem Reporterpreis als "Beste freie Reporterin" (2011) ausgezeichnet, 2012 erhielt sie für ihre Reportagen den Alexander-Rhomberg-Preis von der Gesellschaft für deutsche Sprache.
Christiane Hawranek, geboren 1984 in Forchheim, arbeitet für den Bayerischen Rundfunk (Redaktion Politik & Hintergrund) und die ZEIT. Sie hat in Erlangen und Rennes (Frankreich) Theater- und Medienwissenschaften sowie Politikwissenschaften studiert und ist Absolventin der Evangelischen Journalistenschule in Berlin, wo sie Nadine Ahr kennengelernt hat. Sie interessiert sich für alles, was mit Leben und Tod zu tun hat und berichtet am liebsten über medizinethische oder soziale Themen. Sie wurde bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet, wie etwa dem Best Cancer Reporter Award, dem EU Health Prize for Journalists oder dem Axel-Springer-Preis.
Der Deutsche Journalistenpreis Neurologie wird seit 2008 von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie vergeben und ist mit insgesamt 3000 Euro in zwei Kategorien dotiert. Der Preis wird nicht von der Industrie unterstützt. Er würdigt Autoren mit journalistischen Beiträgen für die breite Öffentlichkeit, die sich einerseits durch fundierte Recherche, andererseits aber auch durch journalistische Kompetenz und Kreativität auszeichnen. Jährlich bewerben sich mehr als 50 Journalisten oder Autorenteams um die Auszeichnung. Die Jury besteht aus dem 1. Vorsitzenden und dem Pressesprecher der DGN sowie renommierten Journalisten, in diesem Jahr Vera Cordes (Visite, NDR), Dr. Joachim Müller-Jung (FAZ), Volkart Wildermuth (Freier Journalist, Preisträger 2013) und Dr. Hans Haltmeier (Apotheken Umschau). Die Preisverleihung findet während der Eröffnungsveranstaltung des 87. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie am Dienstag, 16. September 2014, von 10:30 - 12:30 Uhr im Internationalen Congress Center München im Rahmen der Neurowoche 2014 statt.
Medienvertreter sind herzlich zu der Veranstaltung eingeladen.