C. Weiller, M. Rijntjes, A. Ferbert, H. Angstwurm, G. Schackert
Aktuell wird in der Öffentlichkeit die Qualität der Hirntoddiagnostik angezweifelt. Anlass ist eine Statistik der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), nach der innerhalb von drei Jahren bei acht Organspendern der Hirntod formal nicht richtig diagnostiziert worden sei. In allen Fällen fiel der Fehler auf, bevor es zur Organentnahme kam. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) und die Deutsche Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI) nehmen diese Berichterstattung zum Anlass für eine Stellungnahme. Erstens: Die Hirntoddiagnostik ist eine der sichersten Diagnosen in der Medizin, wenn sie nach den in Deutschland geltenden Kriterien durchgeführt wird. Um diesen hohen Standard auch qualitativ abzusichern, sollte – wie bisher nicht vorgeschrieben – mindestens ein Neurologe oder Neurochirurg mit langjähriger Erfahrung in der Intensivmedizin und Hirntoddiagnostik beteiligt sein. Zweitens: Das derzeit diskutierte Konzept des Non-Heart-Beating-Donors, das die geltende Hirntoddefinition als Voraussetzung für eine Organentnahme ergänzen soll, ist weiterhin strikt abzulehnen, da es ein höheres Risiko von Fehldiagnosen in sich birgt.
Mindestens ein Neurologe oder Neurochirurg sollte an der Diagnose des Hirntodes beteiligt sein
Es gibt zwei Möglichkeiten, den Tod eines Menschen festzustellen: erstens die sogenannten sicheren Todeszeichen, wie zum Beispiel Leichenflecken, die jeder Arzt erkennen muss. Die zweite Möglichkeit ist die Feststellung des Hirntodes.
Die Kriterien des Hirntodes sind fest geregelt und basieren auf zwei Prinzipien: erstens dem Nachweis des Ausfalls der gesamten Hirnfunktionen und zweitens dem Nachweis der Irreversibilität. Dazu müssen folgende Voraussetzungen vorliegen: Die Ursache der für den Hirntod verantwortlichen primären oder sekundären Hirnschädigung muss bekannt sein, unter Ausschluss von Intoxikationen, neuromuskulärer Blockade, primärer Hypothermie, Kreislaufschock oder eines Komas aufgrund einer endokrinen, metabolischen oder entzündlichen Erkrankung. Der Hirntod kann nur bei aufrechterhaltener Herz- und Kreislauffunktion und maschineller Beatmung diagnostiziert werden.
Für die Feststellung des Hirntodes ist seit den 80er-Jahren in Deutschland das Ausfüllen eines sehr sorgfältig erstellten Hirntodprotokolls (zuletzt im Jahr 1998 erneuert durch den wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer) durch zwei in der Intensivmedizin erfahrene Ärzte erforderlich. Diese Ärzte dürfen nicht dem Transplantationsteam angehören.
Die Untersuchung muss nach genau vorgegebenen Kriterien den irreversiblen Ausfall aller Hirnfunktionen dokumentieren. Dabei muss streng auf die Randbedingungen geachtet werden, die eine fälschliche Annahme des Ausfalls der Hirnfunktionen bedingen könnten (z.B. die Gabe von sedierenden Medikamenten, gegen die gegebenenfalls Antidots getestet werden müssen). Die Irreversibilität wird durch eine zweite Feststellung des Ausfalls der gesamten Hirnfunktion nach einer angemessenen Beobachtungszeit (mindestens 12 Stunden) oder nach entsprechenden Zusatzuntersuchungen (sog. Null-Linien-EEG, nachgewiesener Ausfall der Durchblutung des Gehirns, etc.) festgestellt. Der Hirntod bedeutet den Tod des Individuums, festgestellt durch den irreversiblen Ausfall der Gesamtfunktionen des Gehirns. Der Zeitpunkt des Todes fällt mit dem Nachweis der Irreversibilität zusammen.
Die DGN, die DGNC und die DGNI vertreten die Meinung, dass zumindest einer der beiden hirntoddiagnostizierenden Ärzte ein Neurologe oder Neurochirurg mit langjähriger Erfahrung in Intensivmedizin und regelmäßiger praktischer Erfahrung in der Hirntodbestimmung sein sollte.
Hirntodbestimmungen werden nicht nur vor dem Hintergrund einer eventuellen Transplantation durchgeführt. Es ist genau wie bei anderen Organen ein diagnostisches Verfahren für die Überprüfung der Funktionsfähigkeit, in diesem Fall des Gehirns. Diese Überprüfung ist immer indiziert, wenn vermutet wird, dass die gesamte Hirnfunktion irreversibel ausgefallen ist.
Ob nach Feststellung des Hirntodes Organe zur Transplantation entnommen werden, oder nicht, richtet sich in Deutschland nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten zu Lebzeiten. Bei jeder Hirntodbestimmung ist es eine ärztliche Pflicht, den mutmaßlichen Willen des Toten zu ermitteln, um anderen Menschen helfen zu können. Hat ein Patient vor seiner Erkrankung zu erkennen gegeben, dass ihm nach dem Tod keine Organe entnommen werden dürfen, werden nach Feststellung des Hirntodes die Geräte, die Kreislauf und Atmung instand halten, ausgeschaltet.
Im Falle einer Transplantation kontrolliert die DSO, ob alle Hirntodprotokolle korrekt vorliegen.
Das Konzept des Non-Heart-Beating-Donors ist strikt abzulehnen
Der Nationale Ethikrat bereitet gerade eine Empfehlung vor, ob die Bestimmung des Hirntodes durch die Regelung des Non-Heart-Beating-Donors ergänzt werden soll. Wie in den USA, Spanien, Holland oder jüngst der Schweiz diskutiert, sollen danach alle Patienten, die einen Herzstillstand haben, der eine bestimmte, willkürlich festgelegte Zeit dauert (z.B. zwischen 2 und 10 Minuten), als Organspender in Frage kommen. Das Argument ist, dass es durch den Herz- und Kreislaufstillstand (ohne Reanimationsbemühungen, die selbst bei Herzstillstand zu einer Durchblutung führen) zu einer Unterbrechung der Durchblutung des Gehirns und dadurch zum Tod komme.
Die DGN, die DGNC und DGNI lehnen das Konzept des Non-Heart-Beating-Donors als grundlegend falsch ab.
Korrekt ist, dass sich die klinischen Ausfallsymptome des Gehirns nach einem mindestens zehnminütigen Herz- und Kreislaufstillstand ohne Reanimationsbemühungen zwar nachweisen lassen. Es ist aber keineswegs erwiesen, dass zu diesem Zeitpunkt die Gesamtfunktion des Gehirns unwiederbringlich, das heißt: irreversibel, ausgefallen ist. Gerade dies ist aber die Voraussetzung für die Todesfeststellung mittels Hirntodnachweis.
Dieses Konzept bringt offensichtliche Probleme im formalen Ablauf mit sich: Wer bestimmt die Dauer des Herzstillstandes, etwa Passanten? Was macht der Arzt, wenn er nach 9 Minuten zum Patienten kommt? Beginnt er die Reanimation oder ruft er nach 1 Minute das Transplantationsteam an?
Die Feststellung des Todes des Individuums, z.B. zum Zwecke der Transplantation, erfordert ein sicheres Todeszeichen – nicht ein mögliches und auch nicht ein vermutliches. Daher ist der sogenannte Non-Heart-Beating-Donor als Organspender abzulehnen.
Referenzen
Süddeutsche Zeitung, 18.02.2014: „Ärzte erklären Patienten oft fälschlich für hirntot“ und 4.03.2014: „Diagnose in der Dämmerung“
Pressemitteilung der Deutschen Stiftung Organtransplantation vom 18.02.2014: „Hirntoddiagnostik zu Unrecht unter Generalverdacht“
Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer: „Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes, Dritte Fortschreibung 1997 mit Ergänzungen gemäß Transplantationsgesetz (TPG)“, Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 30, 24. Juli 1998 (53), A-1861ff
Autoren
Prof. Dr. med. Cornelius Weiller ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und Direktor der Neurologischen Universitätsklinik, Universitätsklinikum Freiburg.
Prof. Dr. med. Gabriele Schackert ist 1. Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie und Direktorin der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie der TU Dresden.
Prof. Dr. med. Andreas Ferbert ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin und Direktor der Neurologischen Klinik am Klinikum Kassel.
Dr. med. Michel Rijntjes ist stellvertretender leitender Oberarzt der Neurologischen und Neurophysiologischen Universitätsklinik Freiburg.
Prof. Dr. med. Heinz Angstwurm beschäftigt sich seit den frühen 70er-Jahren mit der Hirntoddiagnostik, unter anderem als Mitglied in der „Ständigen Kommission Organtransplantation“ und arbeitete am Transplantationsgesetz von 1997 sowie an der anschließenden Richtlinie mit.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren mehr als 7500 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. http://www.dgn.org
Die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie e.V. (DGNC)
mit ihren rund 1500 Mitgliedern steht in der Verantwortung für die Fort- und Weiterbildung auf neurochirurgischem Gebiet, die Versorgung neurochirurgischer Krankheitsbilder, die Lehre und die Wissenschaft. www.dgnc.de
Die Deutsche Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin e.V. (DGNI)
mit ihren mehr als 700 Mitgliedern ist ein Zusammenschluss von neurologischen und neurochirurgischen Intensiv- und Notfallmedizinern. www.dgni.de
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