Der Höhepunkt der Omikron-Welle scheint überschritten, die täglichen Zahlen an gemeldeten Corona-Neuinfektionen sinken. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat die Trendwende erklärt. Ist jetzt Zeit zum Durchatmen? „Bei uns in der Virologie können wir leider nicht durchschnaufen“, räumt Prof. Dr. med. Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main im aktuellen Herzstiftungs-Podcast der Reihe „Impuls: Wissen für ihre Gesundheit“ ein. Die Virologin verweist dabei insbesondere auf die an Häufigkeit zunehmende Corona-Virusvariante Omikron BA.2, „bei der wir noch nicht so genau wissen, wie schwer die Menschen daran erkranken.“ Auch der Kardiologe und Intensivmediziner Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung, spricht derzeit eher von einer „angespannten Verschnaufpause“. Im Podcast tauschen sich beide über aktuelle Erkenntnisse aus Virologie und Kardiologie aus: Was weiß man nach zwei Jahren Corona-Pandemie zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Virus und Impfung? Was zu neuen Virusvarianten? Und welche Perspektiven zeichnen sich in der Pandemiebekämpfung ab? Der Podcast ist vollständig abrufbar unter www.herzstiftung.de/podcast-covid-herz
Infektionen mit der Omikron-Variante: Doch nicht so schlimm?
Trotz nach wie vor hoher Infektionszahlen kursieren Stimmen, eine Infektion mit der aktuellen Omikron-Variante sei gar nicht so schlimm. Dem stimmt Virologin Ciesek allerdings keineswegs zu. Daten aus Großbritannien etwa hätten zwar gezeigt, dass Infektionen mit der BA.1-Variante tatsächlich „vergleichsweise leichter“ verlaufen. Man dürfe dabei jedoch nicht vergessen, dass gerade hier in Deutschland sehr viele Menschen schon geimpft seien. „Ich warne daher immer, dass die Infektion nicht nur ein Schnupfen ist.“ Ein Blick in die afrikanischen Länder zeige ferner, dass dort die Todeszahlen unter den Ungeimpften steigen. „Und auch hier können natürlich ältere Menschen oder Menschen, die nicht geimpft sind oder Vorerkrankungen haben, sehr schwer an Omikron erkranken.“
Covid-19-Impfung: Warum klar im Vorteil gegenüber natürlicher Infektion?
Zahlreiche Studien und Medienberichte gerade aus jüngster Zeit über das Auftreten seltener Fälle einer impfbedingten Herzentzündung (Myokarditis/Perikarditis) sorgen für Verunsicherung. Das Abwägen zwischen dem Risiko einer in der Regel mild verlaufenden Infektion mit der Omikron-Variante BA.1 und dem Risiko einer Myokarditis nach einer mRNA-Impfung fällt vielen Menschen schwer. Nach über 10 Milliarden Covid-Impfungen „gehen wir davon aus, dass es bei 3 bis 5 pro 100.00 Impfungen zu einer assoziierten Myokarditis kommt“, d.h. im zeitlichen Zusammenhang einer mRNA-Impfung, berichtet Voigtländer. Junge Männer zwischen 15 bis 30 Jahren hätten dabei zwar ein deutlich höheres Risiko, eine – meistens milde - Myokarditis zu bekommen, junge Frauen hingegen nicht. Aber wegen der Furcht vor diesem immer noch insgesamt seltenen Ereignis und unter der Annahme, eine Erkrankung mit BA.1 sei milde, auf eine Impfung verzichten zu können, hält Ciesek für einen Trugschluss. Sie stellt unmissverständlich klar: „Wir wissen auch: Wenn jemand ungeimpft ist und jetzt an Omikron mild erkrankt, dann entwickelt er zum Beispiel keine ausreichende Immunität gegen andere Virus-Varianten.“ Die Medizinerin sieht in Omikron „nicht die letzte Variante“ und geht davon aus, dass vielleicht sogar Delta wiederkommt. Der Vorteil liege daher weiterhin klar auf der Seite der Covid-Impfung. „Das sehe ich ganz genauso“, pflichtet Kardiologe Voigtländer bei. Diese Position unterstreichen auch aktuelle Daten mit dem Fokus auf kardiovaskuläre Komplikationen als Folgeschäden einer Covid-19-Erkrankung. (Infos zur Covid-Impfung und Häufigkeit von Nebenwirkungen unter www.herzstiftung.de/corona-impfung).
Covid-19 erhöht Risiko für Neuerkrankungen an Herz und Gefäßen
Voigtländer erinnert an eine zwei- bis dreifach höhere Mortalitätsrate bei den Menschen, die am Herzen vorerkrankt waren und sich in der ersten Welle mit SARS-CoV-2 infizierten. Für Kardiologen sei nicht nur zu sehen gewesen, dass diese Vorerkrankten bei einer Infektion sehr gefährdet sind, auch sei es bei Virusinfizierten zu neuen Herzerkrankungen gekommen: „Da war die Myokarditis das Hauptphänomen. Sie trat schätzungsweise bei etwa 11 von 100.000 Ungeimpften auf“, so der Ärztliche Direktor des Agaplesion Bethanien-Krankenhauses in Frankfurt am Main. Neben der Myokarditis infolge einer Covid-19-Erkrankung gebe es aber noch weitere Erkrankungen, die dem Herz-Kreislauf-System zugeordnet sind, wie Ciesek betont. „Gute Daten“ hierzu liefere eine in „Nature Medicine“ (1) erschienene Studie mit 150.000 älteren US-Veteranen, die im Durchschnitt 65 Jahre alt waren und eine Covid-Infektion durchgemacht haben. Im Vergleich zur Kontrollgruppe, die kein Covid hatte und zu einer zweiten Kontrollgruppe aus einer Zeit vor der Covid-Pandemie habe man deutlich gesehen, dass nach dem Infekt ein „erhöhtes Risiko“ besteht für Herzrhythmusstörungen, für eine Herzinsuffizienz und für eine koronare Herzkrankheit (KHK) – „auch wenn die Covid-Erkrankung selbst gar nicht so schwer war“, wie Prof. Ciesek zu bedenken gibt. „Das zeigt einmal mehr, dass es keine reine Lungenerkrankung ist, über die wir sprechen.“
Tückisches Virus mit hoher Wandlungsfähigkeit, Immunflucht bei Impfstoffen
Dass die Corona-Pandemie irgendwann den gleichen Lauf wie die Influenza durch Grippeviren nimmt, ist für den Herzspezialisten angesichts der „vielen Parallelen mit der Pandemie, die wir im Moment haben“, und unter der Voraussetzung jährlich adaptierter Impfstoffe denkbar. „Ein bisschen pessimistisch“ gibt sich hingegen Virologin Ciesek. Denn SARS-CoV-2 habe sich auch für Corona-Experten als unerwartet wandlungsfähig erwiesen und sich „in einem Jahr so viel verändert mit so vielen verschiedenen Varianten“. Die Virologin richtet ihren Blick daher zum einen auf die Eigenschaften künftiger Virusvarianten: Sind die Krankheitserreger womöglich aggressiver, kommt es verstärkt zur Immunflucht, so dass unsere Impfstoffe schlechter wirken? Zum anderen bräuchte es nach Auffassung von Ciesek dringend bessere antivirale Medikamente, weil die verfügbaren Impfstoffe alleine nicht zu einer sterilen Immunität führen – „also, dass man schon auf der Schleimhaut die Infektion abwehren kann“. Gerade Vorerkrankte oder Immunsupprimierte seien daher auf solche Medikamente angewiesen. Sie hätten zudem den Vorteil, dass sie relativ stabil wirksam bleiben, selbst wenn das Virus sich verändert.
Dass Long-Covid ein Problem sein wird, mit dem sich auch Herzmediziner und die Deutsche Herzstiftung zunehmend beschäftigen werden, betont der Herzstiftungs-Vorsitzende, „weil so wenig fassbar ist, was das genau ist: Ist es ein Chronic Fatigue Syndrom in Covid-Zeiten oder eine spezielle Antwort auf die Viruserkrankung?“ Mit Hilfe der Forschungsförderung nimmt sich die Herzstiftung diesem Thema an und prüft die Unterstützung einer Studie, die unter anderem Trainingsmethoden entwickelt, um betroffene Menschen wieder fit zu machen.
Den Podcast der Deutschen Herzstiftung mit Prof. Sandra Ciesek und Prof. Thomas Voigtländer aus der Reihe „imPULS: Wissen für Ihre Gesundheit“ zum Thema „Zwei Jahre Corona-Pandemie – Was wissen wir über Folgen fürs Herz?“ erreichen Sie unter www.herzstiftung.de/podcast-covid-herz
(1) Literatur: Xie, Y., Xu, E., Bowe, B. et al. Long-term cardiovascular outcomes of COVID-19. Nat Med (2022). https://doi.org/10.1038/s41591-022-01689-3
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