Unser Herz schlägt etwa 60 bis 100 Mal pro Minute, 80.000 bis 150.000 Mal am Tag. Dabei pumpt es unaufhörlich Blut durch den Körper, um ihn mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen. Ist die Pumpleistung vermindert, sprechen Mediziner von chronischer Herzschwäche oder Herzinsuffizienz. Häufig entsteht sie als Folge eines Herzinfarkts oder durch eine Verengung der Herzkranzgefäße. Die Betroffenen haben eine relativ schlechte Prognose. Atemnot, schlechte Belastbarkeit, Wassereinlagerungen bis hin zur Unbeweglichkeit, schwere Rhythmusstörungen oder Tod sind die Folgen. Informationen rund um die Volkskrankheit Herzschwäche bieten die bundesweiten Herzwochen unter dem Motto „Das schwache Herz“ mit Aufklärungsaktionen und Ratgeberinfos, abrufbar unter www.herzstiftung.de/herzwochen2020
Alternative zur Standardtherapie bei zusätzlich eingeschränkter Nierenfunktion
Herzwirksame Glykoside, eine Gruppe von Wirkstoffen, die im Fingerhut (Digitalis) vorkommen, steigern die Schlagkraft des Herzens. Diese Wirkung ist schon seit über 200 Jahren bekannt. Seitdem finden Digitalis-Präparate Anwendung in der Behandlung der Herzschwäche. Allerdings hat die Therapie mit Digitalis an Bedeutung verloren, weil inzwischen wirkungsvolle Medikamente entwickelt wurden wie Betablocker, ACE-Hemmer/Sartane, MRAs (Mineralkortikoid-Rezeptor-Antagonisten), die heute als Standardtherapie bei Herzschwäche gelten. Erst wenn diese Therapien ausgereizt sind, kommen Herzglykoside wie Digoxin oder Digitoxin zum Einsatz. „Manche Patienten vertragen die heutige Standardtherapie nicht. Viele Menschen mit schwachem Herzen haben eine deutlich eingeschränkte Nierenfunktion. Bei ihnen ist die Standardtherapie mit ACE-Hemmer/Sartan und MRA häufig nur begrenzt möglich, da sie die Nierenfunktion weiter verschlechtern und es zu hohen Kaliumspiegeln im Blut kommen kann. In diesen Fällen können Herzglykoside eine sinnvolle Alternative sein.“ erläutert Prof. Dr. med. Udo Bavendiek, Oberarzt in der Klinik für Kardiologie und Angiologie der MHH, der gemeinsam mit Klinikdirektor Prof. Bauersachs die DIGIT-HF Studie ins Leben gerufen hat und leitet.
Digitoxin: In der Therapie bewährt, aber Nutzenbeweis steht noch aus
Obwohl Digitalis-Präparate schon seit Jahrhunderten erfolgreich in der Herzschwächetherapie eingesetzt werden, steht der wissenschaftliche Beweis für ihren Nutzen noch aus. Die DIGIT-HF Studie soll nun klären, ob die Einnahme von Digitoxin zusätzlich zur heute üblichen Behandlung tatsächlich dazu führt, dass die Patienten länger leben und weniger Zeit im Krankenhaus verbringen müssen. Warum wurde Digitoxin als Wirkstoff gewählt? „Bisherige Studien wurden mit Digoxin durchgeführt. Der Einsatz von Digoxin ist aber bei einer gestörten Nierenfunktion nur eingeschränkt möglich, da es nahezu ausschließlich über die Niere ausgeschieden wird“, erklärt Bauersachs und fährt fort: „Im Gegensatz dazu wird Digitoxin bei einer gestörten Nierenfunktion vermehrt über den Darm ausgeschieden. Das Medikament Digitoxin ist somit auch für vorbelastete Patienten mit Nierenschwäche verträglich. Das haben Ergebnisse aus bisherigen Untersuchungen bestätigt.“ Auch Patienten mit Vorhofflimmern werden in die Untersuchungen einbezogen, weil derzeit noch wenig über den Nutzen von Digitalis-Glykosiden bei Patienten bekannt ist, die gleichzeitig an Herzschwäche und Vorhofflimmern erkrankt sind.
In der Substudie „Hochqualifiziertes Biobanking und Biomarker-Analysen in der DIGIT-HF-Studie“ wird eine Datenbank mit Patientenproben erstellt, um Biomarker zu identifizieren, mit denen die weitere Krankheitsentwicklung, beispielsweise eine Verschlechterung, frühzeitig vorhergesagt werden kann. Geeignete Biomarker würden es möglich machen, im Sinne einer personalisierten Medizin rechtzeitig therapeutisch gegenzusteuern. Ein weiteres Ziel der Studie ist es, mithilfe der Biomarker-Analysen bislang nicht bekannte Wirkmechanismen von Herzglykosiden zu identifizieren.
Die DIGIT-HF Studie wird von der MHH in Zusammenarbeit mit anderen Kliniken in Deutschland und Österreich durchgeführt. Zur Beantwortung der Forschungsfrage sind insgesamt etwa 1700 Studienpatienten nötig. 900 Patienten wurden bereits im Rahmen der Studie behandelt, weitere 800 Studienteilnehmer sollen bis 2024 eingeschlossen werden.
Dabei wird jeder Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip einer von zwei Behandlungsgruppen zugeordnet. Die Patienten der einen Gruppe bekommen das zu testende Medikament Digitoxin. Die anderen erhalten stattdessen ein identisch aussehendes Scheinmedikament (Placebo). Die Studie wird verblindet durchgeführt, das heißt weder Arzt noch Patient wissen, welcher Teilnehmer zu welcher Gruppe gehört.
Studie läuft auch in Corona-Zeiten
In diesem Jahr läuft die Durchführung der Studie wegen der Covid-19 Pandemie unter erschwerten Bedingungen ab. Während des Lockdowns im Frühjahr konnten persönliche Visiten nur dann stattfinden, wenn es medizinisch notwendig war, nicht zu reinen Forschungszwecken. „Aber wir haben Möglichkeiten gefunden, die Studienvisiten auf andere Art durchzuführen, zum Beispiel telefonisch. So konnten die bisherigen Teilnehmer problemlos im Rahmen der Studie weiter betreut werden. Sehr schwierig war in dieser Zeit jedoch der Einschluss neuer Patienten.“ sagt der Arzt und Forscher Bavendiek. Anders als die meisten klinischen Studien ist DIGIT-HF unabhängig von Industriegeldern finanziert. „Da die Pharmaindustrie in der Regel neue Wirkstoffe erforscht, hat sie wenig Interesse an dem alten Medikament Digitoxin, das schon lange für die Behandlung der Herzschwäche zugelassen ist“, erklärt Bauersachs, und weiter: „Der Nutzen der Digitalis-Präparate ist aber immer noch nicht zweifelsfrei wissenschaftlich nachgewiesen. Das sollte in einer klinischen Studie geklärt werden.“
Die beiden Studienleiter sehen dem Ergebnis zuversichtlich entgegen. „Wir hoffen, dass unsere Studie Digitoxin als Mehrwert-Medikament bestätigen wird. Wenn dieses Herzglykosid tatsächlich das Leben der Patienten verlängert und zu weniger Krankenhausaufenthalten führt, also auch die Lebensqualität der Betroffenen verbessert, haben wir ein wirksames und kostengünstiges Medikament, das die Behandlungsmöglichkeiten bei Herzschwäche deutlich erweitert“, fasst Bavendiek zusammen.
Tipp: Der Ratgeber „Das schwache Herz“ (180 S.) kann kostenfrei per Tel. unter 069 955128-400 (E-Mail: bestellung@herzstiftung.de) angefordert werden. Leicht verständlich informieren Herzexperten über Ursachen, Vorbeugung sowie über aktuelle Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten der Herzschwäche. Weitere Infos unter www.herzstiftung.de/herzwochen2020 und www.herzstiftung.de/herzschwaeche-therapie
Die Herzwochen stehen unter dem Motto „Das schwache Herz“ und richten sich an Patienten, Angehörige, Ärzte und alle, die sich für das Thema Herzschwäche interessieren. An der Aufklärungskampagne beteiligen sich Kliniken, niedergelassene Kardiologen, Krankenkassen und Betriebe. Infos zu Online-Vorträgen, Telefonaktionen und Ratgeber-Angeboten sind unter www.herzstiftung.de/herzwochen2020 abrufbar oder per Tel. 069 955128-333 zu erfragen.