Bei den „ besonderen Kindern“ aus dem Ausland, denen die Deutsche Lebensbrücke hilft, kommen finanzielle Sorgen hinzu. Eltern und Familie kratzen alles Geld zusammen, das sie haben. Petra Windisch de Lates: „Sie verkaufen sogar ihr Haus, um Reisen in Kliniken im Ausland zu bezahlen.“ Für die Therapien selbst und den Aufenthalt im fremden Land ist dann nichts mehr übrig. Die Deutsche Lebensbrücke organisiert die nötigen Summen durch Spenden. Auch das ist für viele Familien belastend: auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, ohne eine Gegenleistung erbringen zu können.
Auf unbestimmte Zeit getrennt
„Am schlimmsten ist für die meisten Familien, dass sie auf unbestimmte Zeit getrennt werden. Meistens ist es die Mutter, die das kranke Kind ins Ausland begleitet. Der Vater und die Geschwister bleiben zu Hause zurück. Sind die Kinder noch klein und dauert der Aufenthalt in der Klinik lange, kann es sogar passieren, dass sie die Mutter nicht mehr erkennen,“ berichtet Petra Windisch de Lates. Wie im Fall von Olga, die mit ihrer krebskranken TochterLisa ein Jahr in München lebte. Die damals dreijährige Lisa litt an einem durch radioaktiven Müll verursachten bösartigen Tumor im Ohr. Lisas Therapie war erfolgreich, Olga kann jetzt mit ihrer Tochter zurück nach Moskau. Doch für die Mutter ist die Situation kaum zu ertragen. Nach einem Jahr „zwischen den Welten“, in ständiger Angst um das Leben ihrer „großen“ Tochter und vor dem „Verlust“ ihrer Jüngsten, die mit ihren zwei Jahren inzwischen zur Oma „Mama“ sagt, ist Normalität für sie nicht mehr vorstellbar. „Hier unterstützen wir mit unserem Netzwerk vor Ort, damit die Familie wieder in den Alltag findet“, sagt Windisch de Lates. Denn so wie Olga geht es vielen Müttern von schwerkranken Kindern, die in Deutschland mithilfe der Deutschen Lebensbrücke geheilt wurden.
Nie mehr nach Hause?
Binta aus Gambia kam als Neunjährige mit schweren Herzfehlern nach München. Nach mehreren Operationen ist klar: Sie und ihr Vater Musa, der sie begleitet, müssen hier bleiben, wenn Binta überleben soll. Ihr Herzschrittmacher kann in ihrer Heimat nicht kontrolliert werden. Sollte sie schnelle Hilfe brauchen, wären die 500 km in die nächste Herzklinik in Dakkar viel zu weit. Musa steht vor der Herausforderung, als Alleinerziehender auf einem fremden Kontinent ohne Familiennetzwerk ein neues Leben für sich und seine Tochter aufzubauen. Musa war in der Heimat Yogalehrer in einem Touristenressorts, verdiente gut und hätte es sich nicht träumen lassen, einmal in Deutschland zu „stranden“. „Wir helfen ihm dabei, indem wir ihm den Weg durch die deutsche Bürokratie zeigen. Aber sich zurechtfinden und eine Existenz aufbauen muss er selbst,“ weiß Petra Windisch de Lates.
Verwaiste Eltern
Und dann sind da die Eltern, die sich ein Leben lang um ihre kranken Kinder kümmern. Sie richten alles nach ihrem Kind aus - die Wohnung, die Arbeit, die Freizeit. Viel Raum für ein eigenes Leben bleibt ihnen nicht. Das kranke Kind ist oft einziger Lebensinhalt. Alles dreht sich um Therapien, Pflege, Betreuung. Dazu der ständige Kampf mit Behörden und Versicherungen. Seit Jahrzehnten begleitet die Deutsche Lebensbrücke die Münchner Familie Thielen. Tochter Nicole erkrankte in ihrem 17. Lebensjahr an einer seltenen und nicht heilbaren Hauttuberkulose. Nach 10 Jahren Cortisonbehandlung erlitt sie einen Schlaganfall und war seitdem schwerstbehindert. Mutter Petra kümmerte sich aufopferungsvoll um Nicole, setzte Pflegekräfte und Therapien durch und war selbst rund um die Uhr für ihre Tochter da. Anfang März dann der Schock: Die Corona-Pademie und der erzwungene Umzug aus ihrem langjährigen Zuhause waren zu viel für Nicole, davon ist ihre inzwischen fast 80jährige Mutter überzeugt. Nicoles Herz hörte einfach auf zu schlagen. Windisch de Lates: „Über 40 Jahre war Nicole Petras Lebensinhalt. Jetzt steht sie von heute auf morgen alleine da. Sicher, die Last der Pflege, die der alten Dame am Schluss immer schwerer fiel, ist plötzlich weg. Aber gleichzeitig auch alles, was ihr Dasein bestimmt hat.“
Eine neue Wohnung, ein neues Leben - ob und wie Petra Thielen damit zurechtkommen wird, das wagt die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Lebensbrücke nicht vorherzusagen.
„Auch bei uns wird zu wenig getan, um die Eltern und Familien von schwer kranken Kindern zu unterstützen“, sagt Petra Windisch de Lates. Sie fordert regelmäßige Kuraufenthalte für die ganze Familie, vom Gesundheitssystem finanzierte therapeutische Begleitung - und engmaschige Betreuung in der ersten Zeit nach dem Tod eines Kindes.