„Als Patientenorganisation geht es der DMSG in erster Linie darum, dass alle MS Erkrankten am therapeutischen Fortschritt teilhaben können. Dies zu sichern, ist Aufgabe der Politik“, erklärt Prof. Dr. med. Judith Haas, Vorsitzende der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft, Bundesverband e.V.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat die gesetzliche Aufgabe, den (Zusatz)-Nutzen eines neuen Arzneimittel gegenüber zu den bereits vorhandenen Therapiemöglichkeiten, der sogenannten "zweckmäßigen Vergleichstherapie" zu bewerten. Die Verhandlungen zum Erstattungsbetrag zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgen nach Beschlussfassung des G-BA zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem pharmazeutischen Unternehmen. Das heißt: In Abhängigkeit von dem Zusatznutzen, den ein Medikament im Vergleich hat, wird das Medikament bewertet und das Pharmaunternehmen mit den Kostenträgern Preisverhandlungen führen. Das Nutzenbewertungsverfahren hat für den Wirkstoff Ocrelizumab, soweit uns bekannt ist, gerade erst begonnen. Ob Roche den aktuell genannten Preis tatsächlich erzielen wird, ist derzeit also noch unklar.
Bietet das neue Medikament einen höheren Nutzen für Patienten?
Ocrelizumab ist ein weiteres hochwirksames Medikament in der Behandlung der schubförmigen MS und das erste Medikament, das bei der ohne Schübe verlaufenden Multiplen Sklerose eine Wirksamkeit gezeigt hat. Grundsätzlich ist auch bei der schubförmigen MS jedes weitere Therapieprinzip eine Bereicherung der individuellen therapeutischen Möglichkeiten. Die Nutzenbewertung erfolgt durch G-BA und IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) und ist bisher nicht abgeschlossen.
Sind Auswirkungen auf die Versorgung von MS-Patienten mit dem neuen Medikament zu befürchten wegen der gestiegenen Kosten? Wie viele Patienten sind in Deutschland betroffen?
In Deutschland sind nach aktuellen Schätzungen ca. 240 000 Menschen betroffen, maximal 24.000 leiden an der primär fortschreitenden Form ohne Schübe, von denen ohnehin nicht alle mit diesem neuen Medikament behandelt werden können, da sie nicht die Voraussetzungen der Zulassung erfüllen. Für die DMSG als Patientenorganisation ist die Sicherheit einer langjährigen Therapie bei einer lebensbegleitenden Erkrankung wie der MS von entscheidender Bedeutung.
Wie lauten Ihre Forderungen an die Politik?
Grundsätzlich vertritt die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft die Auffassung, dass Medikamentenpreise nicht zu einer Verringerung von Therapiemöglichkeiten führen dürfen. Wenn darüber diskutiert wird, ob ein möglicherweise gleichwertiges Medikament mit einem geringeren Preis bereits auf dem Markt ist, dann müssen Vergleichsstudien zur Sicherheit und Wirksamkeit durchgeführt werden. Insbesondere der Aspekt der Sicherheit ist der DMSG als Patientenorganisation sehr wichtig. Auch dieser Aspekt kann nur in Vergleichsstudien beurteilt werden. Auch der G-BA fordert das Vorliegen wissenschaftlicher Evidenz bei der Bewertung von neuen Therapien. Diese Evidenz ist bei der billigeren Substanz Rituximab aktuell nicht gegeben. Um sicher zu stellen, dass die DMSG die Patienten weiterhin als unabhängige Instanz über Wirkung und Nebenwirkung von Medikamenten informieren kann, müssen auch die Rechte und vor allen Dingen die Möglichkeiten der Selbsthilfe gestärkt werden.