Seit einigen Monaten kursieren in den Medien Berichte über eine angebliche onkologisch-therapeutische Wirkung des Opioids Methadon, das die meisten Menschen vor allem als „Entzugsmittel“ für Heroinabhängige kennen. „Wir setzen Methadon zudem seit vielen Jahren bei Patienten mit Tumorschmerzen ein. Es ist ein stark wirkendes Medikament mit erheblichen Nebenwirkungen und überdies nicht einfach zu steuern, da es eine hohe Halbwertszeit besitzt“, erklärt PD Dr. med. Stefan Wirz, Sprecher des Arbeitskreises Tumorschmerz der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. Damit steige die Gefahr, dass sich die Konzentration von Methadon im Blut stark erhöht und es zu lebensgefährlichen Komplikationen kommt, wie beispielsweise einem Atemstillstand. Weitere opioidtypische Nebenwirkungen von Methadon sind zudem Übelkeit und Erbrechen, Verstopfung, Atembeschwerden, Veränderung der Geschlechtshormone und Herzrhythmusstörungen.
Einige Fernseh- und Hörfunkbeiträge haben erste Erkenntnisse zu „Methadon als Krebsmittel“ aus Labor- und tierexperimentellen Studien sowie einer im März veröffentlichten Studie aufgegriffen, an der 27 Krebspatienten teilnahmen, die Hirntumore (Gliome) haben. Diese Beiträge vermittelten den Eindruck, dass Methadon vor allem für therapieresistente Tumorleiden eine erfolgversprechende Therapieoption sei. „Das ist falsch. Was im Labor und in sehr kleinen Studien funktioniert, hat bei Patienten in der breiten Anwendung nicht zwangsläufig die gleiche Wirkung“, betont Wirz, der als Chefarzt der Abteilung für Anästhesie, Interdisziplinäre Intensivmedizin, Schmerzmedizin/Palliativmedizin am katholischen Krankenhaus im Siebengebirge, Bad Honnef, tätig ist. Infolge von Medienberichten entstand außerdem ein erheblicher Druck auf Ärzte, Methadon zu verschreiben.
Im Laborversuch hatten Forscher 2014 herausgefunden, dass die Gabe von Methadon bei Glioblastomzellen, die Wirkung von Zytostatika, also Medikamenten, die verhindern oder verzögern, dass sich Tumorzellen teilen und verbreiten, um 90 Prozent verstärken. Grund dafür sind Opioid-Rezeptoren an der Oberfläche der Tumorzellen, an die das Methadon, aber auch die anderen zur Schmerztherapie eingesetzten Opioide, andocken. Dadurch wird die Aufnahme des „Zellgifts“ (das Zytostatikum) in die Zelle erleichtert und der Transport aus der Zelle gehemmt, sodass sich das Medikament in den Krebszellen besser anreichert. Zwei günstige Effekte, die das Absterben der Tumorzelle beschleunigen können. „Ob Methadon oder andere Opioide diese unterstützende und verstärkende Wirkung auch bei Patienten mit Glioblastom haben könnten, weiß man zum jetzigen Zeitpunkt nicht“, so Wirz.
Methadon ist nur zur Schmerztherapie oder zur Substitution bei Opiatabhängigkeit zugelassen. „Eine Prognosebesserung durch Methadon bei Tumorpatienten ist nicht wissenschaftlich belegt. Der Arbeitskreis Tumorschmerz lehnt daher – wie einige andere medizinische Fachgesellschaften auch – eine Anwendung Methadons zur Tumortherapie ab“, betont Wirz. Der Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft Professor Dr. med. Martin Schmelz ergänzt: „Ein zentrales ärztliches Behandlungsziel lautet: ‚Erstens: Richte keinen Schaden an.‘ Wenn also die Aktivierung von Opioid-Rezeptoren an Tumorzellen für die Wirkung von Methadon verantwortlich sein soll, muss doch an Tumorzellen zunächst getestet werden, ob die klinisch ohnehin breit eingesetzten Opioide wie Morphin, Fentanyl oder Oxycodon die gleiche Wirkung haben.“ Bevor eine problematische Substanz wie Methadon am Menschen getestet wird, muss demnach klar sein, dass man den gleichen Effekt nicht auch mit einer nebenwirkungsärmeren Substanz erzielen kann. Es existieren derzeit aber weder diese Grundlagenergebnisse noch die erforderlichen kontrollierten Studien an Patienten. Ohne diese Evidenz darf eine verantwortungsvolle Medizin den Einsatz von Methadon zur Tumortherapie nicht befürworten.
„Mit der Hoffnung und den Erwartungen der Patienten darf man nicht leichtfertig umgehen“, so Schmelz, der an der Klinik für Anästhesiologie an der Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg mit experimenteller Schmerzforschung befasst ist. In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Heimatfakultät, aus der die Primärergebnisse zu Methadon stammen, sieht der Schmerz-Präsident zudem die Gefahr, dass Patienten durch solche Fehlinformationen eine etablierte und wissenschaftlich belegte Therapie ablehnen könnten, um stattdessen eine Methadon-Therapie zu fordern, deren Wirksamkeit nicht erwiesen ist.
Literatur:
Onken J, Friesen C, Vajkoczy P, Misch M: Safety and Tolerance of D, L-Methadone in Combination
with Chemotherapy in Patients with Glioma. Anticancer Res. 37:1227-1235, 2017. http://ar.iiarjournals.org/...
Hofbauer H, Schenk, M, Kieselbach, K, Wirz, S: Einsatz von Methadon zur Unterstützung der onkologischen Therapie? Eine Stellungnahme des Arbeitskreises Tumorschmerz der Deutschen Schmerzgesellschaft. Der Schmerz, Februar 2017, Volume 31, S. 2-4. DOI 10.1007/s00482-016-0183-9. https://link.springer.com/article/10.1007/s00482-016-0183-9
Methadon bei Krebspatienten: Zweifel an Wirksamkeit und Sicherheit. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO), 26.04.2017. https://www.dgho.de/informationen/stellungnahmen/gute-aerztliche-praxis/DGHO_Stellungnahme_Methadon%2020170426_.pdf
Gliomtherapie mit Methadon: bisher nur experimentell getestet – Wirkung beim Menschen völlig unklar.
Gemeinsame Stellungnahme der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft in der Deutschen Krebsgesellschaft (NOA) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 26.03.2015
https://www.dgn.org/images/red_pressemitteilungen/2015/150326_Stellungnahme_NOA_DGN_Methadon_bei_Glioblastom_final.pdf
http://www.uniklinik-ulm.de/news/article/1119/stellungnahme-zur-tumortherapie-mit-methadon-1.html