Überlebenschancen für kleine Bullenhaie verbessern
Bereits zum dritten Mal arbeitet die Deutsche Stiftung Meeresschutz mit Kerstin Glaus zusammen. Die Auswertung der gesammelten eDNA-Proben übernimmt SPYGEN, ein darauf spezialisiertes Forschungslabor. Weitere Unterstützung erhält das Bullenhai-Projekt von Experten auf den Gebieten der eDNA-Forschung, Bioinformatik und Bullenhaibiologie.
Ziel des vorerst bis Dezember 2023 terminierten Projekts ist es, die Überlebenschancen für heranwachsende, junge Bullenhaie zu verbessern. Dazu muss man wissen, wo sie leben, welchen Gefahren sie außer dem Fischfang noch ausgesetzt sind und wie man diese entschärfen kann.
„Als Top-Prädatoren spielen Bullenhaie eine wichtige Rolle für die Gesundheit von Meeres- und Süßwasserökosystemen. Kinderstuben sind entscheidend für das Überleben dieser sich langsam vermehrenden Haie. Sie sind lebend gebärend. Meist bringt ein Weibchen allerdings nicht mehr als dreizehn Jungtiere zur Welt. Und dies nur alle zwei Jahre – wenn überhaupt“, sagt der Biologe Ulrich Karlowski von der Deutschen Stiftung Meeresschutz.
Bullenhaie – wie lange noch?
Die zwischen 2,1 und 3,5 m langen und bis zu 320 kg schweren Bullenhaie (Carcharhinus leucas) gehören zu den wenigen Haiarten, die auch im Brack- und Süßwasser leben. Man nennt sie auch Stier- oder Sambesihai.
Bullenhaie kommen weltweit in tropischen und subtropischen Gewässern entlang von Küsten, in Mündungsgebieten und sogar in Flüssen vor. Das macht sie anfällig für die Folgen von Zerstörung und Veränderung ihrer Lebensräume.
Zudem stehen sie unter enormem Fischereidruck. Bullenhaie, auch junge, werden gezielt befischt. Dabei sind vor allem ihr Fleisch und die Flossen begehrt. Hohe Beifangverluste treten aber auch in der Stell- oder Treibnetzfischerei, in Schleppnetzen und in der Langleinenfischerei auf. Eine weitere Gefahr droht ihnen von der sogenannten Sportfischerei, wo sie als beliebte Trophäe herhalten müssen.
Lebensraumverlust und Ausbeutung haben der Art bereits hart zugesetzt. In der Folge sind die Bestände in den letzten Jahrzehnten um 30–49 % zurückgegangen. Auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tierarten der Weltnaturschutzorganisation IUCN sind Bullenhaie als gefährdet mit abnehmender Bestandsentwicklung gelistet.
Dringend gesucht: junge Bullenhaie
Aus früheren Arbeiten von Kerstin Glaus ist bekannt, dass der Rewa ein wichtiger Lebensraum für neugeborene Bullenhaie in Fidschi ist. 2016 fing sie hier im Rahmen einer ihrer Studien 161 Neugeborene ein. Die Haibabys wurden markiert und unmittelbar darauf wieder freigelassen.
„Ich konnte jedoch keine Jungtiere, die das erste Lebensjahr noch nicht vollendet haben, und auch sonst keine älteren Jungtiere finden. Aus anderen Regionen wie z. B. Florida ist bekannt, dass die jungen Bullenhaie mehrere Jahre im Fluss leben. Dabei findet man ältere Jungtiere eher in Nähe der Flussmündung, jüngere eher flussaufwärts. Wir hätten diese Juvenilen eigentlich finden müssen, zumal wir ein ganzes Jahr durchgehend im Rewa nach ihnen gesucht haben“, so Kerstin Glaus zum rätselhaften Verbleib der jungen Bullenhaie.
Viele offene Fragen
Haben die kleinen Haie vielleicht gelernt, Netze zu meiden? Oder sterben zu viele in den Netzen lokaler Fischer? Gibt es andere ökologisch für junge Bullenhaie negative Einflüsse, wie Wasserverschmutzung oder Eutrophierung? Finden sie nicht mehr genug Beute?
eDNA-Analyse
Kerstin Glaus setzt für ihr Projekt die nicht invasive, relativ neue Methode der Analyse von Umwelt-DNA (eDNA) ein. Sie basiert auf der Gewinnung von genetischem Material. Denn jeder Organismus hinterlässt genetische Spuren (DNA) in seiner natürlichen Umgebung. Auf diese Weise lässt sich das Vorkommen selbst seltenster oder schwer auffindbarer Arten in einem Ökosystem auf effiziente Art und Weise untersuchen.
Daher muss man die jungen Bullenhaie weder einfangen noch aufwendig unter Wasser aufspüren. Auch auf andere gängige Methoden wie den ressourcenintensiven Einsatz ferngesteuerter Unterwasservideokameras mit Ködern kann verzichtet werden.
Aus zeitlich wiederholten Wasserproben isolierte eDNA wird im Labor vervielfältigt und sequenziert. Ein Abgleich mit Artendatenbanken liefert dann das Ergebnis und zeigt, welche Arten an einem bestimmten Ort leben oder dort vorbeigeschwommen sind. Zudem lassen sich örtliche und saisonale Schwankungen der Artenzusammensetzung anhand unterschiedlicher eDNA-Konzentrationen nachweisen.
„Außerdem wollen wir mehr erfahren über die Artzusammensetzung der Fische im Rewa, sowie biotische und abiotische Faktoren wie Sauerstoffgehalt im Wasser, Temperatur und pH-Werte erfassen. So könnten wir die verschiedenen Faktoren modellieren und Bedingungen erfassen, die das Auftreten und das Vorkommen von jungen Bullenhaien begünstigen“, erklärt Kerstin Glaus.
Licht in dunkle Diversität (versteckte Artenvielfalt) bringen
Von dunkler Diversität (dark diversity) spricht man in der Biodiversitätsforschung, wenn Arten, die es in einem Biotop eigentlich geben sollte, dort nicht gefunden werden können. Sind sie tatsächlich verschwunden? Oder sind sie so selten oder schwierig aufzuspüren, dass man sie mit gängigen Methoden nicht (mehr) findet?
Bei den jungen Altersklassen der Bullenhaie im Rewa-Fluss ist unklar, ob ihre dunkle Diversität darauf zurückzuführen ist, dass es keine mehr gibt oder ob es schlichtweg nicht gelingt, verbleibende Individuen zu entdecken. Mit eDNA-Analyse lässt sich Licht in dunkle Diversität bringen.