Konventionelle Kohlekraftwerke dürfen in Deutschland – über die bereits genehmigten oder im Bau befindlichen hinaus – nicht mehr errichtet werden. Sehr alte Kohlemeiler müssen entweder bestimmte Mindestwirkungsgrade einhalten oder aber abgeschaltet werden. Andernfalls kann die von der Bundesregierung für 2020 angestrebte Minderung des nationalen Kohlendioxid-Ausstoßes um 40 Prozent gegenüber 1990 nicht erreicht werden. Darauf hat die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) in Berlin hingewiesen und zugleich einen konkreten rechtlichen Rahmen vorgeschlagen, der künftig den Betrieb von fossil befeuerten Kraftwerken regeln soll.
"Atomausstieg, internationale Klimaschutzverpflichtungen und eine sichere und ausreichende Stromversorgung sind unter einen Hut zu bringen", sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake. Allerdings müsse dazu der "Rechtsrahmen für den Betrieb neuer und alter Kohlekraftwerke entscheidend modernisiert werden". Dagegen würden die Klimaziele der Bundesregierung weit verfehlt, wenn auch nur ein Teil der 19 derzeit geplanten konventionellen Stein- und Braunkohle-Kraftwerke errichtet und betrieben würde, warnte Baake. Neue Großkraftwerke auf Kohlebasis seien allenfalls dann tolerierbar, wenn diese mit so genannter Kohlendioxid-Abscheidung tatsächlich realisiert würden und eine sichere Endlagerung des Treibhausgases in tiefen geologischen Formationen gewährleistet wäre. Außerdem müsse die Abwärme solcher Kraftwerke zur Bereitstellung von Industrie- oder Raumwärme genutzt werden ("Kraft-Wärme-Kopplung", KWK). All dies sei jedoch derzeit nicht in Sicht.
Baake wandte sich gegen den Versuch der dominierenden Energiekonzerne, "die alte Angstdebatte über eine angeblich bevorstehende Stromlücke neu aufzulegen." Die Parallelen zur "Die-Lichter-gehen-aus-Kampagne" in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts seien unverkennbar - und die Argumente genauso haltlos wie damals. Zum einen hätten Kraftwerke in Deutschland im Jahr 2006 einen nie da gewesenen Stromüberschuss produziert und per Saldo rund 20 Milliarden Kilowattstunden (20 Terawattstunden,TWh) ins europäische Ausland exportiert. Der Exportüberschuss entspreche der Stromproduktion von vier bis fünf großen Kohleblöcken. 2007 seien immer noch 14 TWh mehr Strom exportiert als importiert worden, obwohl eine ganze Reihe von Atomkraftwerken praktisch ganzjährig (Biblis A und B) oder halbjährig (Brunsbüttel, Krümmel) abgeschaltet gewesen seien. Im vergangenen Jahr seien aus Atomenergie wegen der Langzeitstillstände einiger Meiler nur noch 22 Prozent des in Deutschland insgesamt produzierten Stroms erzeugt worden, ohne dass dies zu einer Stromknappheit geführt hätte. Einen Strombeitrag von 22 Prozent würden zudem die erneuerbaren Energien schon in wenigen Jahren erreichen (2007: gut 14 Prozent).
Viel Luft gebe es auch noch bei der Stromverschwendung. So seien stromfressende Stand-by-Schaltungen nach wie vor nicht verboten. Allein die klimaschädlichen und für die Kunden immer teureren Nachtstromspeicherheizungen verbrauchten Jahr für Jahr so viel Strom, wie fünf Atommeiler produzieren (36 TWh). Der nach dem Atomausstieg und dem Verzicht auf weitere konventionelle Kohlekraftwerke verbleibende Strombedarf könne aus großen und kleinen Erdgaskraftwerken bereitgestellt werden, die ebenfalls gleichzeitig Wärme für die Industrie und für die Raumheizung liefern müssten. Dadurch würden bisher im Wärmebereich eingesetzte Erdgasmengen für den Einsatz im Strombereich frei, ohne dass sich die Abhängigkeit Deutschlands von ausländischen Gaslieferungen erhöhen würde (über 80 Prozent des Erdgaseinsatzes erfolgt derzeit im Wärmebereich).
Baake betonte unter Verweis auf aktuelle DUH-Recherchen, dass die Energieversorger in Deutschland in 19 Fällen an ihren Neubauplänen für konventionelle Kohlekraftwerke festhielten, obwohl die EU-Kommission im Januar 2008 eine vollständige Versteigerung der CO2-Zertifikate ab 2013 vorgeschlagen hat. "Das Signal aus Brüssel und die Erwartungen des Bundesumweltministers allein reichen offensichtlich nicht aus, die Konzerne von ihrer klimafeindlichen Strategie abzubringen", sagte Baake. Wenn die Unternehmen mit ihrer Kohlestrategie durchkämen, könne dies zu einem "paradoxen Ergebnis" führen: Deutschland erzeuge dann nämlich "mit viel CO2 relativ wenig Strom", was bei immer weniger zur Verfügung stehenden CO2-Emissionsrechten in der EU, den Strom erst teuer und dann tatsächlich knapp mache. "Die Folge wird sein, dass der Druck für den Weiterbetrieb alter und störanfälliger Atomkraftwerke massiv steigt – ganz im Sinne der Betreiber".
Um dieser Sackgasse zu entrinnen, dürfe der derzeit noch im Bundes-Immissionsschutz-gesetz (BImSchG) verankerte Rechtsanspruch der Stromkonzerne auf den Bau konventioneller Klimakiller-Kraftwerke nicht unverändert in das von der Bundesregierung geplante Umweltgesetzbuch (UGB) übernommen werden, sagte die Leiterin Recht der Deutschen Umwelthilfe, Cornelia Nicklas.
Vielmehr sei es notwendig, die Genehmigung neuer, fossil befeuerter Kraftwerke an zusätzliche Voraussetzungen zu binden, und zwar an
- eine Pflicht zur Kraft-Wärme-Kopplung, um so den Verlust von Primärenergie und damit den Ausstoß von Klimagasen deutlich zu reduzieren;
- Mindestwirkungsgrade, die sicherstellen, dass effiziente Gas- und Kohlekraftwerke mit einer funktionstüchtigen CO2-Abscheidung und Lagerung zukünftig genehmigungsfähig wären, herkömmliche Kohlekraftwerke mit ihren hohen CO2-Emissionen jedoch nicht mehr.
Darüber hinaus müssten in Zukunft auch bestehende alte Kraftwerke vom Brennstoff abhängige Mindestwirkungsgrade erreichen (Vorschlag DUH: Steinkohlekraftwerke 38 Prozent; Braunkohlekraftwerke 36 Prozent ab 2010, was dem Stand der Technik des Jahres 1970 entspricht; ab 2020 sollen diese Wert um jeweils zwei Prozent verschärft werden).
Das Umweltgesetzbuch werde seinen Zweck, das deutsche Umweltrecht nicht nur zusammenzufassen und zu vereinfachen, sondern auch zukunftsfähig zu machen, verfehlen, wenn es "den Klimaschutz als zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts nicht stärker in den Vordergrund stellt", erläuterte Nicklas. "Wenn wir unser Energiesystem jetzt nicht unter den grundsätzlichen Vorbehalt der Klimaverträglichkeit stellen, werden wir das in wenigen Jahren nachholen, weil wir unsere Ziele verfehlt haben – dann wird diese Operation sehr viel schmerzhafter sein als heute."