Allerdings hätten sich 2008 die Befürchtungen der chinesischen Regierung bestätigt, "was die Nachteile eines westlichen Finanzsystems ohne Spielregeln sind. Deshalb ist es für uns jetzt das Wichtigste, die Schwächen des Systems genau zu studieren", sagte Li Jiange.
Bei den bevorstehenden Marktreformen müsse man sich auf "viele verschiedene Widerstände einstellen". Es gehe weniger darum, "einzelne Gegner zu überreden, sondern alle Parteien so einzubinden, dass eine konsensfähige, politische Entscheidung möglich ist".
Spätestens die Resultate der Reformen würden dann auch die hartnäckigsten Gegner überzeugen. "Das war zum Beispiel so, als wir gegen großen Widerstand begonnen haben, den Renminbi aufzuwerten. Die Exporteure hatten große Bedenken, dass sie weniger in die Welt verkaufen würden. Das Gegenteil war der Fall."
Als "Vater" der Krankenversicherung reformerfahren
Li hat große Erfahrung mit Reformen, weil er auch der "Vater" der ersten Krankenversicherung für Chinas Landbevölkerung ist, die er über zehn Jahre gegen großen Widerstand des Finanzministeriums aufgebaut hat. "Möglicherweise bin ich der einzige chinesische Politiker, der beide Bereiche sehr gut kennt", so Li.
"Man kann mit Stolz sagen, dass unsere Reform sehr erfolgreich ist. Denn sie versorgt nicht nur die Landbevölkerung, sondern auch einen Teil der in den Städten lebenden Menschen. Insgesamt sind jetzt knapp eine Milliarde Menschen krankenversichert. In den USA sind heute noch rund 60 Millionen Menschen überhaupt nicht krankenversichert. Allerdings können wir noch weniger zahlen, umgerechnet zwischen 50 und 80 US-Dollar im Jahr. Dennoch können die Amerikaner von uns eins lernen: wie wichtig es ist, allen Menschen eine Grundversicherung zu geben."
Der Widerstand sei "sehr groß gewesen". Es sei zu teuer und widerspreche der Jahrtausende alten Tradition, dass die Familien für sich selbst sorgten, hielt ihm das Finanzministerium entgegen. Die Regierung hat dennoch beschlossen, eine solche Versicherung aufzubauen."
Auch wenn man bei der Versicherung schon sehr weit gekommen sei, müsse man nun mehr Krankenhäuser bauen und die medizinische Versorgung insgesamt verbessern. "Da ist noch viel im Argen, und es betrifft jeden Menschen in unserem Land. Deshalb sollte man in diesem Bereich einen besonderen Schwerpunkt setzen", sagte Li Jiange.
Li, der 2012 von der chinesischen Ärztekammer - als erster Nicht-Mediziner - mit dem Preis für medizinische Wissenschaft und Technologie ausgezeichnet worden war, sieht die Einführung einer Sozialversicherung in China als Paradigmenwechsel: "Wir haben bei Null angefangen. Das war ein langer und schwerer Weg, aber mittlerweile sind insgesamt rund eine Milliarde Menschen krankenversichert; jedem Versicherten stehen rund 340 Yuan zu. Vor zehn Jahren war das noch unvorstellbar. Niemand baute auf Unterstützung des Staates. Das ist für China eine unbeschreibliche Errungenschaft."
"Auch viel von Deutschland gelernt"
Bei der Einführung einer "sozialistischen Marktwirtschaft" hat China nach Lis Worten "auch viel von Deutschland gelernt. Nun wird beschlossen, dass der Markt eine noch größere Rolle spielen soll und der Staat immer weniger eingreift." Allerdings sieht der Experte auch Probleme bei sozialen Modellen europäischen Zuschnitts: "Solche Sozialsysteme sind ein Fass ohne Boden. Es wird zwar auch den Armen geholfen, aber die Faulen profitieren ebenfalls. Da muss man unserer Meinung nach aufpassen. Denn wir wissen alle, dass die Deutschen ein sehr fleißiges Volk sind. Und wenn in einem so fleißigen Land faule Leute vom Staat profitieren, wird das wohl überall passieren können. Darüber machen wir uns schon Gedanken. Unser Ziel ist es, der armen Bevölkerung zu helfen. Nicht den faulen Menschen."