Die Hauptverhandlung am 6. November 2012 fand in der Kleinstadt Silivri, etwa zwei Stunden von Istanbul entfernt, statt. Die Verhandlung war wegen Überfüllung des Gerichtssaals im Juli 2012 dorthin verlegt worden. Auch diesmal wurde jedoch nur ein zu kleiner Verhandlungssaal zur Verfügung gestellt. Darin fanden nicht alle Verteidiger Platz. Neben den rund 40 Prozessbeobachterinnen und Prozessbeobachtern, die europäische und internationale Anwaltsorganisationen entsendet hatten, erhielten keine weiteren Zuhörer Einlass in den Gerichtssaal.
Seit fast einem Jahr sind derzeit 26 der Angeklagten inhaftiert, die bis zur nächsten Hauptverhandlung am 3. Januar 2013 in Untersuchungshaft verbleiben sollen. "Diese lange Untersuchungshaft ohne die Möglichkeit, sich effektiv gegen die Vorwürfe zu verteidigen, kommt einer Strafe ohne Urteil gleich", so Rechtsanwältin Gül Pinar, die den Prozess vor Ort für den Deutschen Anwaltverein (DAV) beobachtete. Es liege ein massiver Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz vor, der auch im türkischen Recht verankert sei. Nach der türkischen Strafprozessordnung darf die Hauptverhandlung bei inhaftierten Angeklagten nicht länger als 30 Tage unterbrochen werden.
Die Verteidigerinnen und Verteidiger der Angeklagten hatten überdies keinen ungehinderten Zugang zu ihren Mandanten. Grund dafür war neben dem Platzmangel eine dichte Polizeikette, die beide Seiten voneinander trennte. Die Verteidigungsrechte wurden zudem dadurch beschränkt, dass der vorsitzende Richter die Redezeit der Verteidiger beschränkte und ihnen das Mikrofon abschaltete, wenn sie diese überschritten.
Aktuell liegt ein Gesetzesentwurf vor, der Angeklagten die Verteidigung auf Kurdisch ermöglichen soll. Den Antrag der Verteidiger, die Verteidigung der Angeklagten auf Kurdisch zuzulassen oder die Verhandlung unter Freilassung der Angeklagten zu unterbrechen, bis das entsprechende Gesetzt vom Parlament verabschiedet ist, lehnte das Gericht ab. Erklärungen der Angeklagten zur Sache wurden nicht entgegen genommen. Die Verteidigerinnen und Verteidiger verließen daraufhin geschlossen den Gerichtssaal. Der vorsitzende Richter setzte die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Verteidiger fort, obwohl nach der türkischen Strafprozessordnung in den Fällen, in denen eine Freiheitsstrafe von mehr als 5 Jahren angedroht wird, ein Verteidiger anwesend sein muss.
"Was dann im Gerichtssaal geschah, war grotesk", schilderte Rechtsanwältin Gül Pinar. "Der vorsitzende Richter stellte den Angeklagten Fragen, beantwortete sie sich selbst und unterbrach nach einer halben Stunde die Verhandlung, um diese auf den 3. Januar 2013 zu vertagen und zu verkünden, dass alle Haftbefehle aufrecht erhalten bleiben. Hierüber ernsthaft zu berichten, fällt angesichts der absurden und grotesken Situation schwer."
Der DAV beobachtet das Verfahren gemeinsam mit dem RAV aus Sorge um die Berufsausübungsrechte der betroffenen Anwältinnen und Anwälte. "In diesem Prozess geht es nicht um die Aufklärung angeblicher Straftaten. Es handelt sich vielmehr um einen politisch motivierten Prozess, der jegliche Verteidigungstätigkeit ad absurdum führt und die Menschenrechte verletzt", so das Fazit der beiden Prozessbeochterinnen, Rechtsanwältin Gül Pinar, Mitglied des DAV-Ausschusses Strafrecht, und Rechtsanwältin Antonia von der Behrens (RAV).