1. Beim Verlassen von Bord des Kreuzfahrtschiffes MS Costa Concordia kann es zu Verletzungen gekommen sein. An wen wenden sich die Passagiere? An den Reiseveranstalter oder die Reederei?
Degott:
Sowohl an die Reederei des Schiffes als auch an den Reiseveranstalter, bei dem die Kreuzfahrt gebucht wurde. Bei einer internationalen Seebeförderung haftet der tatsächliche Beförderer, wie hier die Reederei, bei der kein Verschulden vorliegen muss. Es gibt aber Haftungshöchstgrenzen, wobei das Verschulden der Reederei vermutet wird. Bei leichtfertigem Handeln gibt es eine unbeschränkte Haftung.
Die Haftung der Reederei Costa führt bei Tod oder Körperverletzung zu einem Höchstbetrag von ca. 270.000 Euro. Der Beförderer, also die Reederei, muss binnen 15 Tagen nach Feststellung des Schadensersatzberechtigten eine Vorschusszahlung leisten, damit unmittelbar wirtschaftliche Bedürfnisse gedeckt werden können. Im Todesfall beträgt diese mindestens 21.000 Euro.
Das Verhalten des Kapitäns der Costa Concordia legt nahe, dass er leichtfertig gehandelt hat. Das hat zur Folge, dass letzten Endes eine unbegrenzte Haftung entsteht.
Die Ansprüche sollten umgehend bei der Reederei bzw. bei der dahinterstehenden Haftpflichtversicherung gemeldet werden. Die Verjährungsfrist für solche Schadensersatzforderungen wegen Tod oder Körperverletzung eines Reisenden oder wegen Verlust oder Beschädigung von Gepäck läuft zwei Jahre. Die Frist beginnt mit dem Tag der tatsächlichen Ausschiffung des Reisenden, also am 13. Januar 2012.
2. Beim zügigen Verlassen des Schiffes mussten auch Gepäck und Wertgegenstände zurückgelassen werden. Bekommen Passagiere ihren Schaden ersetzt? Ist der Schadenersatz summarisch begrenzt, wenn es beispielsweise um teuren Schmuck geht?
Degott:
Auch für Verlust oder Beschädigung von Kabinengepäck haftet der Beförderer, allerdings grundsätzlich begrenzt auf ca. 2.430 Euro pro Passagier. Für Verlust oder Beschädigung von Geld, Gold, Schmuck oder sonstigen Wertsachen besteht keine Haftung. Eine Ausnahme gäbe es nur, wenn die Wertsachen beim Beförderer zur sicheren Aufbewahrung hinterlegt worden waren, beispielsweise im Schiffssafe. Aber auch hier gibt es eine Ausnahme von dem Grundsatz. Die Haftungsgrenze fällt weg, wenn wie hier etwa dem Kapitän leichtfertiges Verhalten vorgeworfen und nachgewiesen werden kann. Es bestehen also gute Chancen, dass die Betroffenen sämtlichen Schaden ersetzt bekommen.
3. Habe ich neben den seerechtlichen Haftungsvorschriften auch Ansprüche gegen den Reiseveranstalter?
Degott:
Neben den seerechtlichen Haftungsvorschriften bestehen aber vertragliche Ansprüche aus einem Pauschalreisevertrag nach Maßgabe des EU-Rechts gegen den Veranstalter. Insoweit besteht zunächst der Anspruch auf Minderung, also auf Rückzahlung des anteiligen Reisepreises, da die Reise abgebrochen werden musste. Je nach Umstand des Einzelfalles ist sogar daran zu denken, den vollen Reisepreis zurück zu verlangen, wenn der Erholungswert infolge des Havarie-Ereignisses vollständig zunichte gemacht worden ist.
Dies liegt hier nahe. Zu denken wäre auch an ein vertragliches Schmerzensgeld aufgrund der Art und Weise des Verlassen des Schiffes.
4. Durch das Unglück konnten wahrscheinlich die Passagiere nicht ihre gebuchten Rückreisemöglichkeiten in Anspruch nehmen. Manche Passagiere sind individuell zurückgereist. Erhalten sie diese Reisekosten ersetzt?
Degott:
Auch hier haben die Reisenden einen Anspruch aus dem Pauschalreiserecht. Nutzlose Aufwendungen für die ursprünglich gebuchten Rückreisemöglichkeiten oder aber auch Zusatzkosten für kurzfristige Rückreisemöglichkeiten werden ersetzt. In Betracht kommen insoweit Kosten für An- und Abreise zum Hafen, Kosten für Zwischenübernachtungen, Kosten für notwendig gewordene Taxifahrten, Zusatzkosten für frühere Rückreise-Flüge und insbesondere Kosten für Heilbehandlung, die von der Krankenkasse nicht übernommen werden. Anspruchsgegner ist hier der Reiseveranstalter. Alle Ansprüche müssen innerhalb eines Monats nach vertraglichem Reiseende beim Reiseveranstalter geltend gemacht werden und haben auch eine Verjährungsfrist von zwei Jahren.
5. Unter den Todesopfern gab es auch Deutsche, noch immer werden Personen vermisst. Welche Ansprüche haben die Hinterbliebenen, wenn das Opfer gefunden worden ist?
Degott:
Wie oben bereits ausgeführt bestehen die Ansprüche aus dem Seehaftungsrecht gegenüber der Reederei geltend gemacht werden, bis hin zu der Todesfallzahlung von mindestens 21.000 Euro pro Passagier. Daneben gibt es selbstverständlich auch noch andere Ansprüche der Hinterbliebenen auf Unterhalt. Auch an Trauerschmerzensgeld kann gedacht werden, wenn der Todesfall medizinisch greifbare Schäden bei Hinterbliebenen verursacht hat, die über die normale Trauerbelastung belegbar hinausgehen. Auch der Verkehrsgerichtstag hat sich 2012 für ein generelles Hinterbliebenenschmerzensgeld ausgesprochen.
6. Wie sieht es aus, wenn nicht zügig oder noch nicht die letzten Vermissten gefunden werden?
Degott:
Damit die Rechtsfolgen, wie beispielsweise die Erbfolge, eintreten können, muss amtlich der Tod festgestellt werden. Bei Vermissten ist nach den gesetzlichen Vorgaben eine formelle Todeserklärung zu beantragen. Sobald diese vorliegt, kann ein Erbschein beantragt werden, mit dem die Erbenstellung der jeweiligen Hinterbliebenen vom Nachlassgericht festgestellt wird.