Welche Folgen hat die Niederländische Gänsepolitik für Mensch und Tier? Der DJV befragte Marlies Kolthof von der Koninklijke Nederlandse Jagers Vereniging (KNJV), dem Dachverband der Niederländischen Jäger.
DJV: Warum ist der Bestand von Wildgänsen so stark angestiegen?
Kolthof: Das ist bis jetzt offiziell unbekannt. Untersucht wird, ob die veränderte Landwirtschaft im Norden und Süden von Russland etwas damit zu tun hat. Aber auch, ob der Seeadler eine Rolle spielt, der auf seinem Zug von und nach Nordeuropa verstärkt vorkommt und vielleicht die Gänse dazu bewegt, in Holland zu bleiben. Was wir aber mit Sicherheit sagen können: Die Niederlande ist für Gänse sehr attraktiv. Es gibt ausreichend Wasser und Ruhegebiete, aber auch Grasland und Ackerbau.
Die Zahl der Gänse nimmt immer noch sehr stark zu, weil sie in Holland immer noch ein wahres Paradies finden und sich erfolgreich reproduzieren. In Friesland wurden Muttertiere mit zehn bis zwölf Jungen beobachtet.
DJV: Warum wurde die Jagd auf Gänse verboten?
Kolthof: Man muss leider sagen: Das war 1999 ein Sieg für die Holländischen Vogelschützer (Vogelbescherming) und andere Organisationen, die sich gegen die Jagd auf Zugvögel ausgesprochen haben. Im Jahr 1999 gab es keine oder sehr wenige Brutvögel. Im Jahr 2002 wurde dann die "Flora- en Faunawet" angenommen, die das Jagdverbot auf Gänse bekräftigte. Der Gedanke war, dass die Zugvögel Gäste sind, denen man Gastfreundlichkeit erweist und die man nicht bejagt. Schadensausgleichzahlungen an Bauern hat man ab 1999 einfach akzeptiert. Aber schon 2003 hat sich das geändert, die landwirtschaftlichen Schäden waren einfach zu groß. Da hat man lokal wieder Sonderregelungen eingeführt, die eine Bejagung zulassen. Dabei gilt aber, dass man zuerst versuchen muss, die Gänse zu verjagen, bevor man das Jagdgewehr nutzen darf.
DJV: Mittlerweile werden Gänse regional als Plage von der Bevölkerung gesehen. Eine Kommission hat verschiedene Methoden zur "Schädlingsbekämpfung" vorgeschlagen. Was ist mit der Jagd? Warum sind die niederländischen Jäger aus der Kommission ausgestiegen?
Kolthof: Anfang 2011 haben sich acht Organisationen zusammengesetzt, um nach Lösungen für die Probleme mit Sommer- und Wintergänsen zu suchen. Diese Gruppe wurde G-8 genannt. Die KNJV war dabei, zusammen mit dem Vogelschutz, Landwirten und anderen großen Grundbesitzern. Es wurde schnell deutlich, dass die Einstellung zu Zugvögeln teils unverändert war: Das sind unsere Gäste, die lässt man in Ruhe. So entstand dann eine "Lösung", die vorsieht, Gänse im Sommer intensiv zu managen, aber dann die Wintergänse in Ruhe zu lassen. Das bedeutet in der Praxis, dass man erst Anfang August nach der Brut- und Aufzuchtzeit mit der Jagd anfangen könnte und im Oktober schon wieder stoppen müsste, da die ersten Zugvögel ankommen. In dieser kurzen Zeit, so der Vorschlag, sollen dann wenigstens 120.000 bis 150.000 Gänse geschossen werden. Dazu haben unsere Mitglieder gesagt: Das schaffen wir einfach nicht, und dass löst nicht das Problem der landwirtschaftlichen Schäden im Winter, wenn die Zahl der Gänse um ein Vielfaches höher ist. Die KNJV hat dann beschlossen, die Beratung zu verlassen und ihren eigenen Kurs einzuschlagen. G-8 wurde zu G-7 und hat den Vertrag trotzdem veröffentlicht.
In der Zwischenzeit sind die Gänse-Zahlen in Holland so angestiegen, dass wir glauben, dass man mit dem bloßen Erlegen nicht mehr Herr der Lage werden kann. Auch Gänse in der Mauserzeit zusammenzutreiben, zu fangen und zu begasen könnte helfen sowie das Schütteln von Eiern. Es gilt: "und" und nicht "entweder oder". Kürzlich hat man beispielsweise innerhalb von drei Wochen in der Nähe vom Flughafen Schiphol 2000 Gänse zusammengetrieben und begast. Die Gänse wurden geschlachtet und der 'Voedselbank' zur Verfügung gestellt, einer Einrichtung, die arme Leute mit Essen versorgt.
DJV: Laut Prognosen explodieren die Wildgans-Bestände in den Niederlanden förmlich. Kann die Jagd da noch etwas retten?
Kolthof: Die Jagd kann nur noch etwas retten, wenn die Jäger Möglichkeiten bekommen, das ganze Jahr die Gänse zu bejagen. Zusätzlich bedarf es im Moment unbedingt anderer Maßnahmen, wie die Begasung und das Schütteln von Eiern. Wenn die Jäger beispielsweise fünf Jahre lang wenig beschränkte Jagdmöglichkeiten hätten, könnte man die Zahl der Gänse wieder auf eine akzeptables Niveau zurückbringen und wieder beginnen, über die Jagd die Gänsepopulation zu regulieren.
DJV: Wie steht die Bevölkerung zu den steigenden Gänsebeständen? Gibt es Entschädigungen für Schäden in der Landwirtschaft?
Kolthof: Die Meinung der niederländischen Bevölkerung zu Gänsen ist eigentlich nie eingeholt worden. Man kann aber ruhig sagen, dass im Moment die Bauern nicht mehr die einzige Gruppe von Menschen ist, die von Gänsen verursachte Schäden hautnah erlebt. Im Westen der Niederlande gibt es verschiedene Seen mit Sandstränden, die Erholungssuchende nicht mehr nutzen können, weil Gänse sie als Toilette benutzen. Einzelne Strände wurden sogar von Behörden geschlossen. Wenn 'normale' Bürger mehr mit den Problemen konfrontiert werden, wird das Verständnis für die Jäger einfacher. Die Schäden für Bauern werden immer noch bezahlt. Im Winter ist es sogar so, dass man eine Vergütung, ein regelrechtes Gehalt bekommt, wenn man sein Grasland für die Gänse freigibt.
DJV: Gänsevernichtungsfeldzug statt nachhaltiger Bejagung? Was fordern die niederländischen Jäger?
Kolthof: Die philosophische Frage in Holland ist im Moment sicher: Reden wir noch von Gänsemanagement oder Vernichtung? Die Diskussion flammte vor ein paar Monaten auf, als vorgeschlagen wurde, die Muttergänse vom Nest wegzuschießen, weil das einfach so effizient ist. Sogar die Vogelschützer haben gesagt, dass das im äußersten Fall eine Möglichkeit wäre. Die Jäger haben immer wieder gesagt, sie sind keine Vernichter, sie wollen eine verantwortungsvolle Gänsejagd - im Winter und im Sommer.