Durch seine Arbeiten und Ideen auf dem Gebiet der Theorie der Elementarteilchen und der Mathematischen Physik schuf Julius Wess neue physikalische Konzepte und prägte so eine ganze Forscher-generation. Er begründete zusammen mit Bruno Zumino 1973 die Supersymmetrie: Ein bahnbrechendes Modell, das in vielen Gebieten der Theoretischen Physik seine Anwendung gefunden hat und auch in der Mathematik neue Entwicklungen einleitete. Die Supersymmetrie verallgemeinert das in der Physik (und insbesondere in der Elementarteilchenphysik) so erfolgreich angewendete Symmetrieprinzip um einen weiteren Aspekt: Es stellt eine Verbindung zwischen den Bausteinen der Materie und den zwischen Ihnen wirkenden Kräften her.
Die mathematische Existenz dieser Symmetrie war zunächst das eigentlich überraschende Ergebnis der Arbeiten von Wess und Zumino. Die Anwendungen in der Teilchenphysik wurden dann schrittweise erkannt. So ist es beispielsweise im Rahmen einer supersymmetrischen Theorie möglich, die starke und die elektroschwache Kraft in einer so genannten Grand Unified Theory (GUT) zu vereinheitlichen. Darüber hinaus stellt Supersymmetrie einen ersten Schritt auf der Suche nach einer Quantengravitation, d.h. einer vereinheitlichten Theorie aller Kräfte der Natur dar. So ist sie auch zentrales Element der Stringtheorie – einem viel versprechenden Kandidaten für eine Quantengravitation.
Die Supersymmetrie sagt die Existenz neuer Elementarteilchen voraus, die von
2008 an mit Hilfe der Experimente am LHC gesucht werden. Eines dieser Elementarteilchen könnte auch der Ursprung der so genannten Dunklen Materie sein, die einen überraschend großen Teil der Energiedichte unseres Universums ausmacht. Zusätzlich gibt es in supersymmetrischen Theorien Ansatzpunkte zur Lösung weiterer grundlegender Rätsel der Physik, beispielsweise zur Frage, warum es im Universum überhaupt Materie gibt und warum Materie Masse hat. Obwohl die experimentelle Bestätigung der Supersymmetrie noch aussteht, hat sie sich zu einem dominanten Thema der theoretischen Teilchenphysik entwickelt. Ihre Aktualität ist ungebrochen und auch von zentraler Bedeutung für die Gestaltung neuer Experimente weit über die gegenwärtige Zeit hinaus.
Julius Wess, geboren 1934 im österreichischen Oberwölz, studierte in Wien und promovierte 1957 bei Hans Thirring. Er setzte seine wissenschaftliche Arbeit am CERN fort, lehrte ab 1966 am Courant Institute der University of New York und wurde 1968 als Professor an die Universität Karlsruhe berufen. 1990 berief die Max-Planck-Gesellschaft ihn zum Direktor des damaligen Max-Planck-Instituts für Physik und Astrophysik in München. Gleichzeitig war er Ordinarius für theoretische Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Julius Wess hat sich immer in besonderer Weise um seine Studenten bemüht. Er pflegte mit ihnen einen intensiven Kontakt und band sie aktiv in seine Forschungsprojekte mit ein. Viele seiner Schüler sind heute in einflussreichen Positionen sowohl in der akademischen Welt wie auch in der Industrie.
Julius Wess war ein „besessener“ Forscher und versuchte immer wissenschaftliches Neuland zu betreten. Seine mathematische Begabung gepaart mit seinem physikalischen Verständnis und seiner physikalischen Intuition machten ihn zu einem der originellsten und kreativsten theoretischen Physiker der letzten 50 Jahre. So gibt es neben der Erfindung der Supersymmetrie eine Reihe weiterer zentraler Arbeiten, die die Physik nachhaltig prägten. Zuletzt verfolgte er die Idee, Raum und Zeit bei sehr kleinen Entfernungen zu modifizieren und ihre geometrische Struktur grundlegend zu verändern. Auch das wissenschaftliche Schicksal dieser so genannten nicht-kommutativen Geometrie darf Julius Wess leider nicht mehr erleben.
Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit engagierte Julius Wess sich für die intensive Förderung von Forschung und Lehre in den vom Krieg betroffenen Balkanländern. Dieses Engagement war ihm eine Herzensangelegenheit und ging auf eigene Erfahrungen nach dem zweiten Weltkrieg zurück: Seine eigene wissenschaftliche Arbeit und Auslandsaufenthalte wurden damals von der Fulbright Stiftung gefördert. 1999 gründete Wess daher zusammen mit anderen Kollegen den Verein „Wissenschaftler in globaler Verantwortung“, der Wissenschaftler aus dem ehemaligen Jugoslawien unbürokratisch in Forschung und Lehre unterstützt. Das langfristig und flexibel angelegte Programm ermöglicht es vor allem jungen engagierten Wissenschaftlern aus den vom Krieg betroffenen Balkanländern, einen Teil ihrer Ausbildung an deutschen Forschungseinrichtungen zu absolvieren.
Julius Wess erhielt mehrere Ehrendoktorwürden und wurde für seine wissenschaftlichen Leistungen vielfach ausgezeichnet, unter anderem:
- Albert Einstein Visiting Professorship, Institute for Advanced
Study, Princeton, 1981
- Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 1986
- Max-Planck-Medaille der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, 1987
- Dannie Heineman Prize for Mathematical Physics, American Physical
Society and American Institute of Physics, zusammen mit Bruno Zumino, 1988
- Wigner Medal, Group Theory and Fundamental Physics Foundation, zusammen mit Bruno Zumino, 1992
Julius Wess war Mitglied folgender Akademien:
Bayerische Akademie der Wissenschaften, Deutsche Akademie für Naturforscher, Leopoldina, Halle Korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.