Ein halbes Jahr nach Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine zieht die Diakonie Katastrophenhilfe eine erste Bilanz ihrer Arbeit vor Ort. „Dank der enormen Spendenbereitschaft und unserer versierten Partnerorganisationen konnten wir in der Ukraine und den Nachbarländern in kürzester Zeit eines der größten Hilfsprogramme in der fast 70-jährigen Geschichte der Diakonie Katastrophenhilfe auf die Beine stellen“, sagt Dagmar Pruin, Präsidentin des evangelischen Hilfswerks bei der Vorstellung des Jahresberichts 2021. Jetzt gehe es darum, die Menschen vor dem kommenden Winter zu schützen.
Pruin mahnte, Regionen wie Ostafrika bei Hilfsprogrammen nicht zu vergessen. Die Staatengemeinschaft müsse entschlossener gegen die schwere globale Hungerkrise vorgehen und die Nothilfe deutlich ausbauen. Auch die Bundesregierung müsse insgesamt mehr Mittel für Humanitäre Hilfe bereitstellen.
Unmittelbar nach Beginn des Krieges konnten Geflüchtete aus der Ukraine in vielen Nachbarländern mit dem versorgt werden, was sie am nötigsten gebraucht haben – etwa Lebensmittel und Unterkünfte. In der zweiten Phase der Nothilfe stellt die Diakonie Katastrophenhilfe etwa in Polen weiterhin Wohnraum und Bargeld-Hilfen für Geflüchtete zur Verfügung. „Mit den Geldkarten können sich Familien gezielt das kaufen, was sie am dringendsten benötigen. Diese Hilfe ist effektiv, würdevoll und rettet Leben, denn sie orientiert sich an den Bedürfnissen der Menschen“, sagt Pruin, die sich selbst wenige Wochen nach Kriegsbeginn in Rumänien ein Bild der Lage gemacht hat.
In der Ukraine selbst verteilt die Diakonie Katastrophenhilfe Hilfsgüter, da viele Grundnahrungsmitteln auf den Märkten im stark betroffenen Osten des Landes schlicht nicht verfügbar und deshalb keine Bargeld-Hilfen möglich sind. Derzeit schickt das Hilfswerk zweimal im Monat Material wie Lebensmittel, Baby-Nahrung und Hygiene-Artikel per LKW-Konvoi ins Land. Sorgen bereitet Pruin der kommende Winter: „Es gibt sehr viele Menschen, deren Häuser zerbombt wurden oder die kein Dach mehr über dem Kopf haben – von Heizungen und warmem Wasser ganz zu schweigen. Das wird einer unserer Schwerpunkte sein.“
Neben dem Krieg in der Ukraine steht für die Diakonie Katastrophenhilfe aktuell die globale Hungerkrise im Fokus. Viele Länder und Regionen sind betroffen, etwa der Jemen, Afghanistan und der Osten Afrikas. „Dort schlägt die Klimakrise so erbarmungslos zu wie in kaum einer anderen Region“, sagte Pruin mit Blick auf Ostafrika. Schwere Dürren in Somalia und Kenia sowie großflächige Überschwemmungen im Südsudan, gepaart mit hoher Inflation und teils äußerst unruhigen politische Lagen, ergeben eine lebensgefährliche Mischung in der gesamten Region. „Für Menschen, die ohnehin nur von einer Mahlzeit zur nächsten planen können, ist diese Ballung von Krisen eine Frage von Leben und Tod“, sagte Pruin. „Wir erwarten, dass mit der deutlichen Zunahme der Not auch die Finanzierung der Hilfe Schritt hält.“ Sie mahnt: „Die Menschheit muss im Jahr 2022 dazu in der Lage sein, der schleichenden Katastrophe des Hungers endlich wirksam und nachhaltig entgegenzutreten.“
Die deutsche Bunderegierung dürfe in ihrem Engagement nicht nachlassen, fordert Pruin: „Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2023 sieht eine Kürzung der Mittel für die Humanitäre Hilfe vor. Angesichts der immensen Not und Inflation müssen diese Ausgaben aber um mindestens 20 Prozent steigen.“
Eingaben und Ausgaben
Die Diakonie Katastrophenhilfe hat ihre Spendeneinnahmen im Vergleich zum Vorjahr mit 66,6 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Das liegt zum größten Teil an der überwältigenden Spendenbereitschaft für die Betroffenen der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Auch die zweckfreien Spenden, die vor allem für Hilfe in sogenannten „vergessenen Katastrophen“ wichtig sind, sind mit etwa 15 Millionen Euro leicht gestiegen. Ebenso konnte das Hilfswerk bei den öffentlichen Mitteln von Bundesregierung und Europäischer Union ein deutliches Plus von etwa 14 Millionen Euro verbuchen. Der Hauptgrund für diesen Zuwachs ist ein großes, mehrjähriges Projekt zur Hungerhilfe in Ostafrika, das vom Auswärtigen Amt gefördert wird. Die Gesamteinnahmen der Diakonie Katastrophenhilfe lagen mit 101,7 Millionen Euro doppelt so hoch wie im Vorjahr. So konnten Hilfsprojekte in Höhe von 87,5 Millionen Euro neu bewilligt werden. Die meisten Mittel flossen nach Afrika. Der Anteil von Werbung und Verwaltung an den Gesamtausgaben ist gesunken und liegt bei 7,1 Prozent.